München in den 90er Jahren. WG-Küchen, Boots zum Mini-Rock, die erste E-Mail Adresse, Szene-Clubs und die berüchtigten
harten Türen – wer reinkam, war drin.
“Wer reinkommt, ist drin” war einst titelgebend für die allererste Folge der unvergessenen Fernsehserie Kir-Royal, nun ist es der Titel von Verena Carls neuem Roman. Passt prima, spiegelt auch ihr Buch das mitunter absurde Leben in der Münchner Lifestyle-Gesellschaft. Die Autorin nimmt uns mit auf eine Zeitreise in die 90er, dem möglicherweise letzten Jahrzehnt der Sorglosigkeit und wirtschaftlicher Unbekümmertheit. In eine Zeit, als ein schlichtes “Wir gehen bald online” auch harte Türen öffnen konnte. Verena Carl entwirft ihr Panorama der 90er mit Hilfe zweier ganz unterschiedlicher Frauen, beide Mitte Zwanzig und auf der Suche nach einem möglichst anspruchsvollem Platz im Leben, am liebsten in der medialen Avantgarde jener Tage.
Zuerst lernen wir Ulli kennen, Tochter aus gutem pfälzischen Gastronomen-Haus, eine Land-Pomeranze wie aus dem Bilderbuch. Sponsered by Daddy, inklusive Kleinwagen und erstem PC macht sie sich auf zum Studium in die Weltstadt München und findet sich aus purem Zufall in einer WG wieder mit Johanna, genannt Jo. Jo, die weiß, was und wie es geht, Scheidungskind, dafür mit hippen Eltern. Jo, die das Wort Generation Praktikum erfunden haben könnte, trotzdem aber unbeirrt an ihre große, glamouröse Medienkarriere glaubt. Die beiden Frauen haben zunächst wenig gemeinsam, verbindende Konstante, besser Nicht-Konstante ist Sascha. Sascha kommt aus dem Osten, was ihm aber allenfalls eine interessante exotische Note verleiht – mit der Politik haben es weder Ulli noch Jo so, auch wenn man sich gerne abgeklärt gibt. Ulli begehrt Sascha, dieser wiederum Jo, diese weiß nicht so recht. Eigentlich ist es ihr lieber, nicht nur von Praktikum zu Praktikum zu hüpfen, sondern auch von Mann zu Mann. Im Zuge der beginnenden New Economy stolpern dann allerdings erst Ulli und dann der eigentlich gar nicht ehrgeizige Sascha die Karriereleiter hoch, während Jo…… “München, diese Glücksversprechungsmaschine, dieser einarmige Bandit mit den bunten Knöpfen. Was hatten sie da alles hineingeworfen, Jo und sie. Aber nie war herausgefallen, was sie sich gewünscht hatten in diesem lang vergangenen Sommer.” Denn dann kommt alles anders und zweitens, als man denkt. Der Roman lebt von den unterschiedlichen Figuren, deren Geschichten sich nicht im Seichten verlieren, sondern durchaus auch Brüche durchleben und die sich überraschend und geschickt konträr, aber dennoch aufeinander zu entwickeln.
Verena Carl erzählt leicht und locker, ohne ins allzu Seichte oder Kitschige abzurutschen. Gerne erinnert man sich mit ihr an die vielen Attribute jener Epoche und schwelgt für eine kurze Zeit wieder im damaligen Gefühl der Leichtigkeit des Seins. Schnell erkennt man aber auch die Geschichten wieder, die klarmachen, wie zerbrechlich Lebensträume sind, und wie oft eine Chance nur durch den Zufall bestimmt wird. Der Buch ist sehr auf die persönliche Ebene seiner Figuren ausgerichtet, es ist ganz sicher kein politisch motiviertes. Und dennoch – ist es nicht gerade das Fehlen der politischen Diskussionen und Intentionen, die entlarvend sind für diese Zeit? Gerade heute kommt man bei der Lektüre nicht umhin, sich zu fragen, ob vieles von dem Chaos, der Nicht-Bereitschaft zu Verantwortung nicht auch in diesen schaumschlagenden 90er Jahren begründet liegt.
Fazit: Ungeachtet dieser Gedanken sei “Wer reinkommt, ist drin” denjenigen empfohlen, die sich gerne noch mal an die 90er erinnern mögen, die gerne gut erzählte Lebensgeschichten lesen und die ein längst vergangenes Lebensgefühl noch einmal aufleben lassen möchten.
Die Autorin: Für die entworfenen Lebensläufe von Ulli und Jo hat Verena Carl Anleihen bei sich selbst getätigt. Die gebürtige Freiburgerin ging fürs Studium nach München, über die in den damals ganz neu aufkommenden, bis heute beliebten Poetry Slams kam sie zum Schreiben und lebt heute als freie Autorin und Journalistin in Hamburg. Sie absolvierte die Berliner Script Akademie, was dem Buch im Übrigen auch durchaus anzumerken ist. Dürfte sich prima als Drehbuch-Vorlage eignen. Da die Geschichte gerade auch für Akteure jedweden Medienzirkus sentimentale Erinnerungen an verschwenderischere Zeiten birgt, ist die Prognose, Ulli und Jo demnächst wenigstens im Fernsehfilm der Woche agieren zu sehen, wohl nicht allzu gewagt.
Mehr über die Autorin auf ihrer Homepage der schönen Worte.
Kleine Anmerkung zum Schluss:
“Wer reinkommt, ist drin” ist eins der ersten Bücher, welches der Eichborn-Verlag in seinem neuen Zuhause unter dem Bastei Lübbe Dach herausgebracht hat. Bastei Lübbe hatte versprochen, den Stil des “frechen Verlages mit der Fliege” beizubehalten. Der Anfang ist gemacht, hier stelle ich erfreut fest, ein typisches Eichborn-Buch in den Händen zu halten. Wenn es was zu meckern gibt, dann allenfalls am ziemlich pinken Cover. Hätte ich es so in der Buchhandlung gesehen, ohne vorher etwas darüber zu wissen, ich wäre daran vorbei gegangen. Fälschlicherweise in die Sorte Frauenlektüre eingeordnet, die ich nicht lese. Das ursprüngliche geplante Cover, noch auf der Webseite des Eichborn Verlags zu sehen, gefällt mir schon alleine wegen des im Buch so oft erwähnten Tulpenvorhangs wesentlich besser. Aber wie gesagt – wenn mehr nicht zu meckern ist – ist das Buch gut.
Diskussion dieser Rezension im Blog der Literaturzeitschrift