NSA – Nationales Sicherheits-Amt

Was wäre geschehen, wenn die Nazis schon über die heutige Computertechnologie verfügt hätten, wenn sie ihre Bürger hätten total überwachen und aus den Datenbergen Bewegungsprofile erstellen können? – Andreas Eschbachs Ausgangsfrage in seinem Roman »NSA« ist ebenso klug wie spannend.

Um seine Frage zu illustrieren, bedient sich der Autor zweier Figuren, die mit Einschränkung als Heldin und Antiheld bezeichnet werden können.

Da ist zum einen Helene Bodenkamp aus Weimar. Ein hässliches Entlein, das von ihren nationalsozialistisch orientierten Eltern unter die Haube gebracht werden soll, jedoch kein gesteigertes Interesse an Männern hat. Zu allem Überfluss macht das Töchterlein noch eine Ausbildung zur Programmiererin, pardon: zur Programmstrickerin, eine Tätigkeit, die ihr im Unterschied zu anderen Fächern ausgesprochen leicht fällt und Freude beschert.

Zum anderen schildert Eschbach den Lebensweg von Eugen Lettke, einem unsympathischen Einzelgänger, der bei seiner Mutter lebt und in seiner Jugend tief gedemütigt wurde: Bei einem Strip-Poker im Bekanntenkreis wurde er mit gezinkten Karten dazu gezwungen, sich vor den anderen Jugendlichen auszuziehen. Vier anwesende Mädchen machten sich über ihn lustig und verletzten ihn damit so schwer, dass er sein gesamtes Leben auf Rache sinnt.

Seine Tätigkeit bei der NSA, dem Nationalen Sicherheits-Amt, kommt Lettke dabei enorm zugute. Denn bei dieser bereits in der Kaiserzeit gegründeten Behörde laufen alle Datenströme zusammen, die im Deutschen Reich gesammelt und erfasst werden. Da im Reich, das Eschbach zeichnet, auch das Bargeld abgeschafft wurde, ist außerdem jeder klitzekleine Zahlungsfluss nachvollziehbar.

So gelingt es Lettke, die Mädchen aus der Pokerrunde ausfindig zu machen und über jede von ihnen verfängliches Material zusammenzustellen, mit dem er sie konfrontiert. Der Erpresser genießt seine Macht über die Frauen und lässt sich sein Stillschweigen mit perversen sexuellen Dienstleistungen bezahlen.

Just in dieser Schnüffelbehörde wird Helene als Programmstrickerin angestellt. Da die NSA sich gegen die Vereinnahmung durch das Reichssicherheitshauptamt wehren und seine Unabhängigkeit bewahren will, „strickt“ sie ein Programm, mit dem von Deutschen versteckte Juden aufgespürt werden können. Auf der Grundlage der durch rationierte Lebensmittel berechneten Pro-Kopf-Kalorienmenge erkennt das Programm Auffälligkeiten, die zielsicher zu Haushalten führen, die überdurchschnittlich viel Lebensmittel einkaufen. Bei den so ermittelten Adressen führen Hausdurchsuchungen mit großer Treffsicherheit zur Verhaftung gesuchter Menschen und deren Deportation in Konzentrationslager.

Helene wird aufgrund ihres Geschicks als Strickerin mit immer komplexeren und komplizierteren Programmabfragen konfrontiert. Durch das Hacken amerikanischer Rechner gelingt es ihr sogar, an die Pläne deutscher, in die USA emigrierter Physiker zum Bau der Atombombe zu kommen.

All diese Erkenntnisse verkauft Lettke gegenüber der Führung des NSA wesentlich als sein Werk. Schließlich zitiert der „Führer“ den Unsympathen zu sich und verspricht ihm höchste Ehren. Gleichzeitig befiehlt er den noch in Deutschland verbliebenen Fachleuten, die Waffe zu bauen, um damit den schon länger nicht mehr optimal laufenden Krieg zu Gunsten Deutschlands zu wenden.

Helene erkennt, dass sie mit ihrer enthusiastischen Leidenschaft als Schreibtischtäterin ein Blutbad anrichtet und Menschen ans Messer liefert. Bei ihrer einzigen Freundin, die mit ihrem Mann einen Bauernhof betreibt, lernt sie einen in einem Versteck lebenden jungen Fahnenflüchtigen kennen und verliebt sich in ihn.

Schnell findet sie durch Datenabgleich heraus, dass sie auch ihre Freundin samt den versteckten Mann der SS ausliefern würde, wenn sie nicht etwas unternimmt. Ergo beginnt sie, Ausgangsdaten, die in ihre eigenen Berechnungen einfließen, zu manipulieren, um die Entdeckung zu verhindern.

Eschbach schildert die beiden Lebensläufe ebenso nachvollziehbar wie spannend. Auch das Ende des 750-seitigen Science-Fiction-Krimis ist in sich logisch und folgerichtig, wenn sich auch mancher Leser einen andere Antwort auf die Ausgangsfrage wünschen mag, was geschehen wäre, hätten die Nazis tätsächlich schon über unsere heutigen Bespitzelungs- und Datensammelmöglichkeiten verfügt.

Der Roman wird damit auch zu einer deutlichen Warnung, wohin es führen kann, wenn die Datensammelwut so weitergeht wie bisher und zu allem Überfluss auch noch das Bargeld abgeschafft werden sollte: Der einzelne Bürger wird vollkommen nackt und zum potentiellen Erpressungsopfer für jeden Schreibtischhengst, der Zugang zu den Quellen hat. Kommt dann noch eine Diktatur oder eine ähnlich politische Konstellation hinzu, dann erlischt das letzte Licht der Hoffnung auf ein selbstbestimmtes Dasein am Ende des Tunnels.

Eschbachs „NSA“ ist ein psychologisch vielschichtig angelegter, enorm spannender Entwicklungsroman, der durchaus auch als Thriller wie als dystopischer Science-Fiction gelesen werden kann. Lediglich das im Nazi-Look gehaltene Cover des Buches, hielt mich tagelang davon ab, in den Text einzutauchen.

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Genre: Dystopie, Endzeitthriller, Roman, Science-fiction
Illustrated by Bastei Lübbe

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