Hippie

Paulo Coelho: Hippie

Mit seiner Erzählung »Hippie« setzt Paulo Coelho den vor einem halben Jahrhundert um die Welt reisenden Blumenkindern ein literarisches Denkmal. Gleichzeitig schildert der brasilianische Bestsellerautor in einer bewegenden Liebesgeschichte seine Erlebnisse als junger Mann, der um die Welt zog.

Vor einem halben Jahrhundert befanden sich zwei Orte im Wettstreit um das Privileg, als Mittelpunkt der Welt zu gelten: Der Piccadilly Circus in London und der Dam in Amsterdam. Natürlich sahen dies nicht alle Menschen so. Die meisten hätten auf die Frage wohl geantwortet: das Weiße Haus in Washington und der Kreml in Moskau.

An den beiden genannten Zentren trafen sich junge Leute aus aller Welt, die neugierig auf den sogenannten Hippie-Trail gingen, als Reisende Erfahrungen suchten und nach eigenen Werten lebten. Den Takt bestimmte die Beatmusik, jene Musik, die von Liverpool kommend Welten aus den Angeln heben konnte. Von den meisten Erwachsenen als Bedrohung der Gesellschaft und der guten Sitten angesehen, zeichneten sich Hippies durch lange Haare, farbenfrohe Kleidung, Lebensfreude und einen lockeren Umgang mit Drogen und Sex aus.

Auch der 23-jährige junge Paulo aus Brasilien ist ein Hippie. Er will nach Machu Picchu, eine von den Inka im 15. Jahrhundert erbaute und später verlassene Ruinenstadt hoch in den peruanischen Anden, um Erleuchtung zu finden. Gemeinsam mit einer Freundin aus dem damals sozialistischen Jugoslawien trampt er weiter nach Vila Velha, eine geologische Stätte mit eindrucksvollen, vom Wind geschaffenen über 600 Millionen Jahre alten Steinskulpturen aus Sandstein.

Kurz davor werden die beiden von Geheimpolizisten gefangen genommen und brutal gefoltert. Als ihm Elektroschocks angedroht werden, reißt er sich zusammen. Seine Eltern hatten ihn bereits dreimal in eine Irrenanstalt eingewiesen, wo er jede Menge Elektroschocks bekommen hatte, um wieder auf den »richtigen« Weg gebracht zu werden. So entsetzt der junge Paulo auch ist, vor dieser »Behandlung« hat er keine Furcht mehr. Offensichtlich beeindruckt von seiner Haltung lassen ihn seine Kidnapper wieder frei.

»Der schlimmste Mord ist der, der an unserer Lebensfreude begangen wird.« Paulo Coelho in »Hippie«

Paulo Coelho. Foto: © Christian Alminana

Paulos Traum ist es, Schriftsteller zu werden, und er hat einen sehr hohen Preis dafür bezahlt: Aufenthalte in psychiatrischen Anstalten, Gefängnis und Folter, das Verbot der Mutter seiner Jugendfreundin, sich je wieder ihrer Tochter zu nähern, der Spott seiner Schulkameraden, als er begann, sich anders zu kleiden als sie. Nun findet er Gesinnungsgenossen unter den Hippies und weiß, dass er nicht mehr allein ist. Konsequent folgt er seinem Stern.

Paulho zieht nach Amsterdam und begegnet dort der Holländerin Karla, die einen Reisebegleiter Richtung Nepal sucht. Sie besuchen Hare-Krishna-Restaurants, und lernen den berühmten Undergroud-Club »Paradiso« kennen, der in einer Kirche logiert. Die beiden Hippies folgen der Flüsterpropaganda, die wie eine »Unsichtbare Zeitung« verrät, wo das nächste Konzert stattfindet, wo man kostenlos essen kann und welches die angesagte Reiseroute ist. Das wichtigste Buch dieser Gemeinschaft heißt »Europe On Five Dollars a Day« von Arthur Frommer.

Allerdings beschreibt das Vademecum nur Stationen in Europa. Doch die »Unsichtbare Zeitung« weiß, wie man weit darüber hinaus kommen kann. So landen die beiden in einem »Magic Bus«, der sie für lediglich 70 Dollar in die nepalesische Hauptstadt Kathmandu bringen soll. Mit an Bord sind andere junge Leute aus aller Welt, darunter auch polizeilich gesuchte Ausreißer, die von daheim weggelaufen sind.

Nach Begegnungen mit Rockern und der deutschen Polizei kommen sie in Istanbul an. Paulho möchte einen Meister bei den Sufis finden, der ihm Erleuchtung schenkt und bleibt in der Stadt, während Karla wieder den Bus besteigt und gen Nepal fährt. Februar 2005, als Paulho Coelho bereits ein weltbekannter Autor ist, hält er einen Vortrag in Amsterdam und fragt dort nach Karla, die er nicht vergessen kann aber nie wiedersehen soll.

Durch die Wahl der personalen Erzählperspektive auf die dritte Person (»er« und »sie«) schafft Coelho eine spannende Distanz zwischen seinen autobiographischen Schilderungen und den Gedanken und Gefühlen seines Protagonisten. Er schildert ausdrücklich nur Gegebenheiten, die den Tatsachen entsprechen und auch das geschilderte Personal seiner Erzählung gibt es wirklich.

»Hippie« ist eine einfühlsam verfasste Liebesgeschichte, die von dem spröden Paulho und der taktisch durchtriebenen Karla berichtet. Langsam und behutsam entwickelt sich die Beziehung zwischen den beiden, um dann in dem Moment, wo es richtig ernst wird, wieder auseinander zu fließen.

Aber so war die Hippie-Zeit: Nichts wurde für die Ewigkeit gebaut, Bindungen hatten geringe Bedeutung. Es ging darum, Freiheit zu entdecken. Und das war neben der Freiheit des Reisens, die ausgiebig gepflegt wurde, die Freiheit von Bindung und festen Beziehungen, wie sie aus dem Elternhaus abschreckend vorgelebt worden waren.

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Genre: Autobiografie, Erzählung, Roadtrip
Illustrated by Diogenes

Ein Gedanke zu „Hippie

  1. “Paulho möchte einen Meister bei den Sufis finden, der ihm Erleuchtung schenkt” Ja klar, natürlich….. sowas und vieles vieles mehr wollten viele sog. Hippies geschenkt bekommen, ich erinnere mich

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