Eva schläft

Dem Buch ist ein Prolog vorgestellt: Ein Päckchen für Eva kommt an. Die Mutter Gerda verweigert die Annahme, und unterschreibt dies, für ihre Tochter. Auf Frage sagt der Postbote, nun gehe das Päckchen zum Absender zurück, und fragt, was Eva gerade mache. Die Antwort: Eva schläft.

Danach geht es zurück in das Jahr „1919“, so heißt das Kapitel, als Evas Großvater Hermann im von Italienern besetzten Südtirol geboren wurde, er trifft täglich zwei andere Buben auf dem Schulweg, den Sepp und Paul Staggl, deren Lebenswege uns weiter begegnen werden. Paul ist der ärmste von ihnen, die Wiese liegt an einem Steilhang und ist immer im Schatten. Dann wendet sich das Schicksal: Herrmann wird früh ein Waisenkind, auch im weiteren Leben wird ihm nichts geschenkt werden.

Danach sind wir bei „km 0“ angekommen, so der Name des nächsten Kapitels. Eva ist eine erfolgreiche Art-Eventmanagerin von Anfang vierzig, die aus New York gejettet kommt, von ihrem Geliebten Carlo am Münchener Flughafen abgeholt wird. Er bringt sie nach Hause in Südtirol, sie haben bequemen Sex, immerhin lieben sie sich schon seit über 10 Jahren, und dass er verheiratet ist, stört sie, zur Überraschung aller, nicht.

In ihren Gedanken geht sie zurück in ihre Kindheit als uneheliches Kind ihrer Mutter, die ihr Brot als Köchin in einem edlen Hotel verdient hatte. Wichtig in ihrem Leben war Ulli, nach und nach verstehen wir, dass er ihr Cousin ist. Und Vito, eine Vaterfigur, der ihr und ihrer Mutter für einige Jahre Geborgenheit und Zuversicht gegeben hatte. Die letzten drei Jahrzehnte hatte sie nichts mehr von ihm gehört. Am Ende des Kapitels erreicht sie ein Telefonanruf: Der Anrufer bittet sie, ihn zu besuchen, er habe nicht mehr lange zu leben. Sie verspricht ihr Kommen.

Im nächsten Kapitel „1925-1962“ geht es weiter mit der Geschichte ihres Großvaters Herrmann, der erst ein Faschist und dann ein Nazi wurde. Weil der Schwingshackl Sepp nicht bereit ist, für die Deutsche Sache zu kämpfen, wird er tätlich angegriffen und sein Haus angebrannt. Später zieht Herrmann für das Dritte Reich in den Krieg, zur Ostfront, und wird danach von den anderen geächtet.

In km 35 bis 230 fährt Eva erst mit dem Bus zur Bahn, dann startet sie ihre Reise in den Süden Italien. Diese Wechsel zwischen gefahrenen Kilometern und der Geschichte Südtirols gibt es immer wieder, bis sie ankommt. Wir reisen mit ihr mit, wie Touristen, die die Schönheiten des Landes bewundern, aber auch ihren detaillierten Beobachtungen am Rande folgen: In Rom besuchte sie einen katholischen Gottesdienst in einem Gewerbegebiet am Bahnhof, im Zugabteil kommt sie mit einer Familie aus Messina ins Gespräch, und irgendwann stellt die Frau ihr die Frage, die sie schon zu oft beantworten musste: „Fühlen Sie sich als Italienerin oder als Deutsche?“

Auf der Rückseite des Buchumschlags heißt es: „Der Roman einer Provinz ohne Vaterland und eines Mädchens ohne Vater.“ Es geht um die Geschichte Südtirols, deren Fakten in den jeweiligen Zeitabschnitten aus der Sicht der dort lebenden Menschen beschrieben wird. Die Italiener geben nicht nur während der faschistischen Periode, auch nach dem Zweiten Weltkrieg noch die Besatzer, die Arbeitsplätze werden an Italiener vergeben, die Amtssprache ist Italienisch. Gerdas Bruder wird Bomber, stirbt bei einem Sprengstoffattentat.

Dr. S.Magnano, ein Südtiroler, der in Bologna promovierte, ist die Persönlichkeit, der eine Annäherung zwischen den Besatzern und der Bevölkerung gelingt. Die einzelnen Verhandlungspunkte und die Diskussionen dazu werden angeführt, wobei Aldo Moro der Gesprächsführer auf der italienischen Seite ist. Ein Höhepunkt ist dann das Festmahl, das im Hotel gegeben wird, in dem Gerda inzwischen zur Köchin avanciert ist.

Also kommen wir Leser wieder zu Evas Mutter, die gelernte Köchin, deren außergewöhnliche Schönheit ihr eine große Unnahbarkeit verleiht, mit der sie sich Männer vom Halse halten kann. Derer gibt es viele, „Matratze“ ist der Spitzname von Köchinnen in diesem Männerreich.
Wir sehen, wie hart die Art war, bevor es moderne Haushaltsgeräte gab, wie ihre Chefin sie um ihre Rente betrügt, vor allem gehen wir das Menü durch, das natürlich typisch österreichisch sein sollte (auch im italienischen Text werden die deutschen Begriffe verwandt). Gerdas Schnitzel werden durch einen Trick verbessert, schon den zu kennen, lohnt die Lektüre! Und beim Speisen fragen sich die Politiker, wer wohl das Schnitzel erfunden hat, jede Nation will es gewesen sein.

Eva war da schon in Pflege gegeben worden bei den Schwingshackls. So ein hübsches kleines Mädchen ohne Vater! Sepp ist es eine Genugtuung, die Enkelin von Herrmann, dem Loser, aufzunehmen. Der Vater ist Hannes Staggl, der Sohn von Paul, der inzwischen zu Reichtum gekommen ist: Sein schattiger Steilhang ist eine renommierte Skipiste (wir lernen nebenbei etwas über die Entwicklung der Skitechnologie). Nach einer kurzen Liebesaffäre war Gerda schwanger, wurde von ihrem Vater verstoßen, Hannes wird von seinem Vater in die USA geschickt, um den Massenskibetrieb zu erlernen.

An dieser Stelle möchte ich als Rezensentin, die ca. 12 Jahre älter ist als Eva, bekräftigen, dass dies ein Sittengemälde der 60er und 70er Jahre ist. Es war undenkbar, dass Gerda, oder Eva, einen Vaterschaftstest gefordert hätten. Die Ächtung Alleinerziehender war üblich. Und das nicht nur in fernen Gebirgstälern, auch in deutschen Großstädten. Dass Eva sich zu der Frau entwickeln konnte, die sie wurde, würde man heute ihrer Resilienz zuschreiben.

Geholfen hat aber auch die Fürsorge von Vito, den zu besuchen sie nach Reggio Calabria fährt. Er war es, der die Mutter überzeugte, dass sie auf der Schule bleibt und später studieren konnte. Aber warum hat sich das Liebespaar Gerda und Vito getrennt?

Das Buch lebt von seinem Spannungsbogen, den ich nicht gefährden will. Mir gefallen besonders die Wechselbeziehungen zwischen den Protagonisten und den politischen Verhältnissen, in denen sie leben. Die Charaktere stimmen. Und der Übersetzerin ist es gelungen, die poetischen Beschreibungen der Reise in Bella Italia gut rüberzubringen.


Genre: Gesellschaftsroman
Illustrated by Wagenbach

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