Rastlos, leer und unersättlich
Der 2008 erschienene Roman «Das dunkle Schiff» des in Ost-Berlin geborenen Sherko Fatah behandelt eine derzeit hochaktuelle Thematik. Was bei dem Schriftsteller mit irakisch-kurdischen Wurzeln die Peschmerga sind, ‹Die dem Tod ins Auge sehenden Gotteskrieger› der Kurden im Irak, das sind dieser Tage die Taliban in Afghanistan, die dem Westen eine desaströse Niederlage und einen alle Medien beherrschenden, unrühmlichen Abgang nach einem zwanzigjährigen Krieg beschert haben. Es ist die Konfrontation verschiedener Welten, die das gesamte Werk dieses von zwei völlig unterschiedlichen Kulturen gleichermaßen geprägten Autors bestimmt. Es ist aber auch die gekonnte Einbindung all jener Fährnisse, denen ein aus dieser chaotischen Weltregion in rechtsstaatliche Gefilde fliehender Mensch begegnet, welche diese bedrückende Geschichte so einmalig macht.
Wie kein zweiter versteht es nämlich der Autor, die durch den Krieg verursachten Gewaltexzesse und die daraus resultierenden Folgen für die Zivilbevölkerung, ihre Entwurzelung und erzwungene Flucht ins Exil, in eine spannende Geschichte zu integrieren. Der fettleibige junge Iraker Kerim erlebt den Mord an seinem Vater durch Schergen des Diktators Saddam Hussein. Er schließt sich, als er während einer Autofahrt den Peschmarga in die Hände fällt, dieser terroristischen Befreiungs-Bewegung an. Nach einer Ausbildung an Waffen beteiligt er sich an verschiedenen Kommando-Unternehmen gegen die vorrückenden Amerikaner. Einmal dokumentiert er mit der Video-Kamera ein Selbstmord-Attentat auf einem belebten Marktplatz. Als sich ihm die Gelegenheit bietet, entwendet er einem der Rebellen-Anführer einen hohen Dollarbetrag und flüchtet damit zurück nach Hause. Das viele Geld ermöglicht ihm nun die schon lang ersehnte Flucht in die Freiheit, er will nach Europa. Schlepper bringen ihn außer Landes, als blinder Passagier gelangt er im Laderaum eines Frachters nach Europa und landet schließlich bei seinem Onkel, der seit Jahrzehnten in Berlin lebt. Mit Sonja lernt er eine junge Frau kennen, die ihm das Leben rettet, als er ins Eis einbricht, und erlebt seine Initiation mit ihr. Schließlich wird sogar sein Exilantrag genehmigt, aber die Geister der Vergangenheit holen ihn dann doch wieder ein.
In einer sachlich nüchternen Sprache wird hier behutsam voranschreitend eine Geschichte von den verschlungenen Wegen erzählt, auf denen die Odyssee des Helden ihrem Höhepunkt zustrebt. Ohne stilistische Arabesken zwar, aber in der Fülle von Zufällen und Begebenheiten orientalisch breit ausgeschmückt, ist der Plot gleichwohl durchgängig plausibel. Und er ist von der ersten bis zur letzten Seite spannend wie ein guter Abenteuer-Roman, man ist ans «Wilde Kurdistan» von Karl May erinnert und an Robinson Crusoe. Als Figur bleibt der Protagonist Kerim leider ziemlich farblos, narrativ befindet er sich durchgängig in einer weitgehend passiven Opferrolle, aus der er sich nicht herauslöst. Er ist, und bleibt es auch, ein Getriebener, dem nur durch glücklichste Umstände vieles gelingt.
Wirklich grandios wird dieser bedrückende Roman immer dann, wenn es um die Darstellung der gravierenden kulturellen Unterschiede zwischen Orient und Okzident geht, um die vermeintliche Überlegenheit der westlichen Lebensweise also. In vielen Rückblenden erinnert sich Kerim an die Kampfreden seines Lehrers bei den Peschmerga: «Es geht immer um das Geld, glaube mir, sie sind davon besessen. Es macht sie kalt und hart, und doch ist es das einzige, woran sie wirklich glauben. […] Sie sagen, sie lieben die Freiheit, doch ihre Freiheit ist die Einsamkeit. Sie sagen, sie lieben das Leben, aber dieses Leben ist Gier. Sie sagen Fortschritt, doch dieser Fortschritt bereitet nur das Terrain, das sie morgen ausbeuten und zerstören werden, rastlos, leer und unersättlich». Angenehm für den Leser ist, dass Sherko Fatah sich bei solcherlei kontemplativen Exkursionen wohlweislich aller moralischen Wertungen enthält.
Fazit: erfreulich
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