Amerika (Alle Toten fliegen hoch Band 1)

Mit seinem Erstling »Alle Toten fliegen hoch« begibt sich Joachim Meyerhoff auf das schlüpfrige Parkett der Autobiografie. Der in einer norddeutschen Kleinstadt aufgewachsene Autor, Baujahr 1967, setzt im Alter von 17 Jahren mit seiner Ich-Erzählung an. Chronologisch schildert er ein Jahr, das er als Austauschschüler in Amerika verbrachte und ihn ganz offensichtlich prägte.

Der 1,90 m große, blonde Lockenkopf Joachim charakterisiert sich in seinen Erinnerungen selbst als Landei, das kaum aus seiner kleinstädtischen Enge herausgekommen ist. Dabei ist er kein verschränkter, von seinen Mitschülern gequälter Außenseiter, er gehört vielmehr selbst zu den Quälgeistern und teilt in der Schule aus, was er von seinen beiden Brüdern einstecken muss.

Er hat Freunde, einen liebevollen Vater, eine liebevolle Mutter und sogar eine Freundin, mit der sich gerade Dinge entwickelten, die ihm durchaus gefallen. Seine Schulnoten sind miserabel, dafür zeichnet ihn eine Sportleidenschaft aus sowie sein Vermögen, Wasserscheuen die Angst vor dem nassen Element zu nehmen und ihnen das Schwimmen beizubringen. Trotz vieler persönlicher Niederlagen ist Joachim kein Einzelgänger mit fettigen Haaren, Pickeln und Bremsstreifen in der Unterhose, der tief im Wald mit einem gestohlenen Luftgewehre Eichhörnchen abknallt. Er ist kein Opfer, das missverstanden und gedemütigt versucht, aus der kleinstädtischen Enge zu entkommen und dennoch will und muss er unbedingt weg.

So reist Joachim mit der Bahn in die Großstadt Hamburg. Diese ist für ihn durch drei große Hs bestimmt: H wie Hauptbahnhof, H wie Hafenstraße und H wie Herbertstraße. Und indem er sich vornimmt, diese drei großen Hs anlässlich eines Aufnahmetests für ein Austauschjahr in den Vereinigten Staaten zu erkunden, beginnt seine eigentliche Odyssee.

Alles, was nun geschieht, hat eine ureigene Komik und macht einen wesentlichen Teil des Lesevergnügen aus, das Meyerhoff beschert. Entsetzt von den großstädtischen Lackaffen, die sich mit ihm um ein Austauschjahr in den USA bewerben, erkennt er, dass Großstädte wie San Francisco oder New York, von denen er träumt, eher ungeeignet für ihn sind. Eher widerwillig fühlt er deshalb die endlosen Fragebogen aus und gibt Antworten, von denen er glaubt, dass sie genau gegenteilig zu dem sind, was seine Altersgenossen mit den Gelfrisuren schreiben. Er bezeichnet sich als tief religiös, behauptet, Baseball spielen zu können und in der ländlichen Einsamkeit besonders gut klarzukommen. Seine Sprachkenntnisse seien ausgezeichnet und auf diese Art fantasiert er das Blaue vom Himmel.

Der Leser vermutet richtig, was den jungen Mann zunächst fassungslos macht: Joachim wird für ein Jahr als Austauschschüler genommen und für ein Jahr zu einer Gastfamilie nach Laramie in den wilden Westen geschickt. Dort begeistern ihn die amerikanischen Straßenkreuzer und ein Wasserbett, das in dem Zimmer steht, in dem er sein Amerika-Jahr verbringt. Konfrontiert mit der amerikanischen Alltagskultur schildert er auf vergnügliche Weise, wie schwer es ihm fällt, Anschluss zu finden oder sich sprachlich verständlich zu machen.

Das ändert sich erst, als er sich in der Schule für die Baseballmannschaft meldet und dabei auf einen Trainer stößt, der einen Deutschland-Fimmel hat. Der nimmt ihn, obwohl er erkennt, dass der Junge keinen Schimmer vom Spiel hat. Teil der Baseball-Mannschaft zu sein, verleiht Joachim Status. Freunde sind plötzlich kein Problem mehr, Mädchen werfen sich ihm an den Hals, sein Körper wird durch intensives Training athletisch und als er sich schlussendlich die Haare scheren lässt, betritt eine glatzköpfige Legende das Spielfeld: »The German«.

Meyerhoffs Text, der mit seinem Amerika-Jahr und der Rückkehr eines von Grund auf veränderten jungen Mannes schließt, ließt sich höchst vergnüglich. Der Einstieg in den Text wird anfangs ein wenig erschwert durch die Methode des Autors etwas langatmiger Rückblenden auf Ereignisse und Personen, die ihm mitunter unvermittelt einzufallen scheinen. Nach einer kurzen Eingewöhnungsphase lässt sich das aber als methodisch stringent erklären, zumal der immer wieder durchscheinende Humor und die oft unfreiwillige Situationskomik den Leser mitreißt in der selbstironischen Schilderung eines den Autor prägenden Jahres.


Genre: Autobiografie, Erinnerungen, Humor
Illustrated by Kiepenheuer & Witsch Köln

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