Die Habenichtse

Kein Wohlfühlroman

Mit dem Roman «Die Habenichtse» von 2006 hat Katharina Hacker eine ungewöhnlich konträre Rezeption ausgelöst, den fast durchweg positiven Buch-Besprechungen des Feuilletons stehen überwiegend negative, fast wütende Bewertungen der Leserschaft gegenüber. Nicht zuletzt hat dieser Roman ja den Frankfurter Buchpreis gewonnen, und die Jury hatte damals dazu ausgeführt: «In einer flirrenden, atmosphärisch dichten Sprache führt Katharina Hacker ihre Helden durch Geschichtsräume und in Problemfelder der unmittelbarsten Gegenwart, ihre Fragen sind unsere Fragen: Wie willst du leben? Was sind deine Werte? Wie sollst und wie kannst du handeln? Die Qualität des Romans besteht darin, diese Fragen in Geschichten aufzulösen, die sich mit den plakativen Antworten von Politik und Medien nicht zufriedengeben». Wer hat denn nun recht, die Profis oder die Laien?

Die in 39 Kapiteln mit wechselnden Handlungssträngen erzählte Geschichte vom Haben und Sein bildet soziologisch drei Gesellschaftsschichten ab, das verwahrloste Prekariat, die kleinkriminelle Unterwelt und den gutsituierten Mittelstand. Handlungsorte sind London und Berlin, der Zeitrahmen wird durch die Zäsur von 9/11 und den Beginn des Irakkrieges geprägt. Recht plakativ steht gleich zu Beginn des Plots der Angriff auf das World Trade Center, der 33jährige Berliner Jurist Jakob hätte just an diesem Tag einen Termin mit einem Kunden dort gehabt. Den hat aber auf seinen Wunsch ein Kollege kurzfristig für ihn wahrgenommen, der dann bei dem Anschlag umgekommen ist. Jakob wollte unbedingt eine gleichzeitig in Berlin stattfindende Party besuchen, auf der er seine frühere Freundin und große Liebe Isabelle wieder zu treffen hoffte. Er findet tatsächlich erneut mit ihr zusammen, sie heiraten bald darauf, der verhängnisvollen politischen Zäsur zeitgleich ist dies also ein ebensolcher Einschnitt in sein bisheriges Privatleben. Der in New York umgekommene Kollege war für einen Wechsel in eine Londoner Kanzlei vorgesehen, die sich auf komplizierte Restitutionsbegehren spezialisiert hat, die in die DDR und bis in die Nazizeit zurückgreifen. Nun bekommt Jakob den Posten und zieht mit seiner Frau nach London, Isabelle kann als Mitinhaberin einer Grafikagentur problemlos auch per Heim-Office kreativ in ihrer Firma mitarbeiten. Die neuen Nachbarn sind eine Proletarier-Familie mit zwei Kindern, der Vater ein brutaler Säufer, es geht oft laut zu nebenan. In der Nachbarschaft gibt es aber auch den Dealer und Kleinkriminellen Jim, der von einem Ausbruch aus seinem Milieu träumt, wenn er seine verschwundene Freundin Mae wiedergefunden hat.

Über die verschiedenen Figurengruppen wird in diversen Rückblicken aus Sicht der Handelnden berichtet, wobei die Vielzahl der Figuren die Leser vor ziemliche Probleme stellt. Einerseits, weil sie ohne Einführung quasi hineingeschubst werden in die Handlung, andererseits aber auch, weil sie kaum Empathie zu erzeugen vermögen, man weiß fast nichts von ihnen. Nach etwa einem Drittel des Romans beginnen die Handlungsstränge allmählich aufeinander zuzulaufen, es kommt zu ersten Begegnungen und auch Konfrontationen, man begreift allmählich, worauf das hinaus soll.

Der Reiz dieses raffiniert konstruierten, zeitkritischen Romans liegt in der Konfrontation dieser verschiedenen Lebensformen in stimmigen Szenen, mit dem verblüffenden Ergebnis, dass auch das junge Paar zu den «Habenichtsen» gehört, – nicht materiell, sondern seelisch. Denn sie sind menschlich verarmt, ihr Leben ist völlig aus den Fugen geraten, sie haben sich allzu schnell auseinandergelebt und scheitern an ihrer Gedankenlosigkeit. Jakob ist von seinem charismatischen, homosexuellen Chef fasziniert, Isabelle fühlt sich zu dem verwahrlosten Junkie hingezogen, wird von ihm aber verachtet und gedemütigt. Minutiös und hoch verdichtet wird hier lakonisch über Desillusionierung berichtet, kein Wohlfühlroman also, eher ein ambitioniertes Sprachkunstwerk, wie man es selten zu lesen bekommt.

Fazit: erfreulich

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Genre: Roman
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