Die tote Kuh kommt morgen rein

tote Kuh Erstens kommt es anders und zweitens schneller als man denkt. Eben noch hatte sich Reporter Ralf Heimann relativ kommod eingerichtet in der Redaktion der lokalen Tageszeitung seiner immerhin mittelgroßen Heimatstadt, schon fand er sich im Strom der täglichen Pendler wieder. Anders als die Meisten jedoch nahm er die entgegengesetzte Richtung, lebte weiter in der Stadt und arbeitete fürderhin für ein sich unendlich vor ihm ausdehnendes Jahr in der Ödnis des (fiktiven) Kaffs Borkendorf. Als Lokalredakteur beim (ebenfalls fiktiven) Borkendorfer Boten.

Ich hätte mir was Besseres vorstellen können. Ein gebrochenes Bein zum Beispiel. Oder eine Steuernachzahlung. Aber man wird ja nicht gefragt.” Wenn man als Einziger ein Auto hat und eine Erziehungsurlaubs-Vertretung (Erziehungsurlaub kommt ja bekanntermaßen immer so überraschend wie Weihnachten) schnellstmöglich geschickt werden muss – dann muss eben einer dran glauben und das Hohelied der prunklosen Prunksitzungen, Weihnachtsfeiern im März und Tauben-Ausstellungen an Landfrauen-Treffen nach Schützenfest-Orgien schreiben. Und die tote Kuh morgen rein setzen. Doch auch wenn auf dem Land beileibe nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen ist und auch des Reporters Trinkfestigkeit zumindest zu Beginn des Jahres nicht ganz mit der der Landbewohner mithalten kann – es ist auch nicht alles schlecht dort in Borkendorf.

Ich sach’s ja – ein großes Bild ist schnell geschrieben” Ralf Heimann, Autor von “die tote Kuh kommt morgen rein” weiß, wovon er schreibt. Mehr oder weniger zufällig avancierte er in den letzten Jahren zu so etwas wie einem Kronzeugen des Lokaljournalismus. Sechs Jahre ist es her, da entfachte er mit einem Tweet einen wahren Blumenkübel-Hype, über den sich halb Deutschland amüsierte und der zu einem Lehrstück in Sachen Verselbstständigung von Social Media Phänomenen wurde. Heimann arbeitete lange Jahre als Lokalredakteur im westfälischen Münster, startete vor einiger Zeit mutig die von ihm in der Hoffnung auf nicht-selbsterfüllende Prophezeiung sogenannte Operation Hara-Kiri, welche man auf seinem gleichnamigen Blog verfolgen kann und machte sich als freischaffender Journalist mit Schwerpunkt Absurdität des Lokaljournalismus in diversen Projekten selbstständig.

“Die tote Kuh” war das Erste dieser Projekte und darf gut und gerne als gelungen bezeichnet werden. Die größte und auch einzige Schwierigkeit, vor die sich der geneigte Leser und Rezensent dabei gestellt sieht, ist die Klassifizierung. Genauso ungerne wie sich Ralf Heimann in eine Schublade stecken lässt, genauso ist das Buch schwer einzuordnen. Ist es eine autobiographisch geschriebene Doku-Soap, ein Roman im Reporterstil, eine Reportage im Romanstil? Aber geschenkt – Schubladen neigen bekanntlich dazu, zu klemmen. Beschränken wir uns darauf, das Buch als das zu bezeichnen, was es ohne Zweifel ist: ein gefälliges, erfreuliches Lesevergnügen.

Ralf Heimanns Stärke ist – das weiß, wer ihm und seinen pointierten 140 Zeichen Rezensionen auf Twitter folgt – die augenzwinkernde Überspitzung. Genauso ist auch die tote Kuh zu verstehen, quasi ein Heimatroman der etwas anderen Art. Heimann kann gut über sich selbst lachen, nimmt sich daraus aber nicht unbedingt das Recht, auch über andere zu lachen. Er nimmt seine Protagonisten – auf beiden Seiten der Berichterstattung – zwar nur zu gerne auf den Arm, er tut dies aber nicht ohne Sympathie für die auftretenden Personen. Belustigung ist durchweg zu spüren, aber nie Herablassung. Dieser Balanceakt gelingt ihm außerordentlich gut, zumal mit einer durchweg flotten Schreibe versehen. Er hat einen sehr genauen Blick, nicht nur auf die Landbewohner und ihre teils sehr gewöhnungsbedürftigen Freizeitbetätigungen, sondern auch und gerade auf die, die darüber berichten und die aus jeder kleinsten Belanglosigkeit eine Nachricht zu stricken vermögen.

Dazu kommt: In Zeiten, in denen die Sehnsucht nach dem einfachen Leben auf dem Land geradezu messianische Züge annimmt und Magazine wie Land und Lustig oder wie sie eben alle heißen mögen, sich dem Zeitungssterben erstaunlich erfolgreich entgegenstemmen, kann man in der toten Kuh eine Menge Wahrheiten über die ganz speziellen Risiken und Nebenwirkunden des Landlebens erfahren. Denn das, worüber der Lokalreporter berichtet, ist letztendlich ja genau das, womit sich der Landlebende arrangieren muss. Getreu der alten Weisheit: Lärm gibt es schließlich auch in der Großstadt, der auf dem Land ist nur anders.


Genre: Dokumentation, Sachbuch
Illustrated by Scherz Frankfurt am Main

5 Gedanken zu „Die tote Kuh kommt morgen rein

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