Es lebe der Zufall
Mit dem Namen eines auf Clausewitz zurückgehenden, militärischen Strategiespiels deutet der Roman «Risiko» von Steffen Kopetzky auf sein Thema hin. Es handelt sich um die wie ein Hasardspiel anmutende Afghanistan-Expedition der Mittelmächte Deutschland und Österreich zu Beginn des Ersten Weltkriegs, die es als ‹Niedermayer-Hentig-Expedition› tatsächlich gegeben hat. Angeregt dazu wurde der Autor, wie er im Interview erklärte, durch das Buch «East of Constantinople» von Peter Hopkins, in dem er ein Foto von Oskar von Niedermayer in Kabul entdeckte, der darauf aussah «wie aus einem Karl-May-Roman entsprungen». Das reale historische Geschehen ist hier fiktional angereichert zu einem dickleibigen Abenteuerroman, der vor allem durch seine Gutmenschen und sein Draufgängertum an den mit Abstand auflagestärksten deutschen Schriftsteller aller Zeiten erinnert, Kara Ben Nemsi lässt grüßen!
Als junger, aus München stammender Marinefunker erlebt Sebastian Stichnote den Kriegsbeginn im Mittelmeer auf dem Kleinen Kreuzer ‹Bremen›, der vor der britischen Übermacht nach Konstantinopel fliehen muss und dort umgeflaggt in die Kriegsmarine der neutralen Türkei eingegliedert wird. Der technisch gewiefte Funker schließt sich daraufhin einer geheimen Expedition nach Kabul an, deren Ziel es ist, den Emir von Afghanistan zum Kriegseintritt gegen die Engländer zu bewegen. Im Ringen um die Vorherrschaft der Großmächte in Zentralasien geht der in Berlin ausgeheckte Plan davon aus, man könne die islamischen Völker dort zum Dschihad aufhetzen, zum Heiligen Krieg, um dadurch endlich die Vormacht der Briten zu brechen. Die 5000 Kilometer lange Reise der anfangs knapp hundertköpfigen Expedition führt sie vom Bosporus zunächst mit der Eisenbahn quer durch das Osmanische Reich über Aleppo nach Bagdad und von dort als Karawane über Isfahan und durch die Kewir-Wüste in Persien an den Hindukusch, nach Kabul.
Stichnote als Held der Geschichte ist der unangefochtene Großmeister des als Metapher für den gesamten Roman dienenden, militärischen Strategiespiels um die Weltherrschaft. Im Laufe der Expedition muss er seine schweren Funkgeräte zurücklassen und auf seine Brieftauben zurückgreifen, mit denen er Berichte an die zurückgebliebene Etappe schickt. Bei seinem im Prolog geschilderten Mordanschlag fungiert ein von ihm aufgelassener, weißer Jagdfalke als Startsignal. Man merkt dem Roman an solchen Details eine sorgfältige, umfassende Recherchearbeit an, deren Ergebnisse in dieses überreiche narrative Gemenge aus Fakten und Fiktion einfließen. «Risiko» enthält alle Zutaten für einen unterhaltsamen Roman, zu denen hier zuvorderst natürlich die Abenteuerlust gehört. Aber auch Verrat, Missgunst, Kameradschaft, Strapazen, Rückschläge, Beinahe-Katastrophen, Kämpfe und unzählige andere Ereignisse gehören zu diesem üppigen Erzählkosmos. Wirklich ganz am Rande dieser ansonsten ziemlich alkoholseligen, archetypischen Männerwelt, als geschickt eingebaute, erzählerische Klammer lediglich, gehört sogar die Liebe dazu. Sie führt denn auch prompt zu einem im Epilog verschämt angedeuteten, kitschigen Ende, – an den großen Kollegen aus Radebeul erinnernd.
Es hätte diesem Roman wirklich nicht geschadet, die maritime erste Hälfte einfach ganz wegzulassen und sich auf die Expedition als den eigentlichen Erzählstoff zu beschränken, für den es ja eine interessante historische Vorlage gibt. Sprachlich überzeugend ohne Schnörkel wird hier eine Geschichte erzählt, deren üppiger Plot sich in hemmungsloser Phantasie von Abenteuer zu Abenteuer stürzt und dabei ungeniert von den unwahrscheinlichsten Zufällen lebt. Ungebremst mäandernd muss hier selbst das allerkleinste Detail dann unbedingt auch noch erzählt werden, – vieles von dieser stofflichen Überfülle aber ist einfach nur störender, manchmal sogar ärgerlicher Ballast! Abenteuer liebende Leser werden ihren Spaß haben an diesem Roman, andere hingegen werden sich ziemlich langweilen oder entnervt abbrechen!
Fazit: mäßig
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