Klösterliche Identitätssuche
Der erste Roman des vielseitig begabten E.T.A. Hoffmann, der erfolgreich als Jurist, Schriftsteller, Kapellmeister, Komponist und Zeichner tätig war, gilt als eines der bedeutendsten literarischen Werke der Schwarzen Romantik. In zwei Teilen 1815/16 erschienen, hat diese fiktive Autobiografie eines Kapuzinermönches zunächst eine sehr zwiespältige Aufnahme gefunden. Goethe nannte, als Sprachrohr quasi für die breite Ablehnung in der Wissenschaft, den Autor einen «krankhaft Verirrten» und warnte ausdrücklich vor der Wirkung seiner verderblichen Phantasie. Hebbel hingegen lobte in seinem Tagebuch den Roman als «ein höchst bedeutendes Buch», das eine eigene Gattung begründe. Wie auch immer, sein Status als Klassiker der Weltliteratur wird auch nach zweihundert Jahre eindeutig bestätigt durch regelmäßige Neuauflagen, die das anhaltende Interesse der Leser widerspiegeln, meines eingeschlossen!
Franz findet nach einer glücklichen Kindheit Aufnahme in einem Kapuzinerkloster, nimmt dort den Namen Medardus an und wird wegen seiner beispielhaften Frömmigkeit mit der Verwaltung der Reliquien betraut, unter denen sich auch ein Elixier befindet, das vom heiligen Antonius stammen soll. Er wird zudem weithin berühmt für seine aufwühlenden Predigten, was ihn bald hochmütig werden lässt. Als nun eines Tages die schöne Aurelie, die dem Bildnis der heiligen Rosalia in der Kapelle zum Verwechseln ähnlich sieht, ihm im Beichtstuhl ihre Liebe gesteht, stürzt der fromme Mann in einen verheerenden Strudel von leiblicher Begierde und quälenden Schuldgefühlen. In seiner Verzweiflung trinkt er von dem Teufelselixier, er will Aurelie unbedingt wiederfinden. Als der Abt aber seinen inneren Zwiespalt bemerkt, schickt er ihn kurzerhand mit einem Auftrag nach Rom.
Was folgt ist eine verwirrende Geschichte mit vielen Figuren, von denen sich nach und nach herausstellt, dass die meisten entfernt verwandt sind mit Bruder Medardus. Wobei sein Ururgroßvater Francesco der Maler, der auch öfter mal als Untoter im violetten Mantel erscheint, durch eine teuflische Buhlschaft schwere Schuld auf sich geladen hat, ein in der väterlichen Linie weitervererbtes Verhängnis, das auch auf ihn selbst fällt. In einem nebulös zwischen Traum und Wirklichkeit wechselnden Geschehen begegnen ihm auf seinen Wanderungen die wundersamsten Menschen. Zu denen gehört auch sein wahnsinniger Doppelgänger, der fortan, in buntem Wechsel mit ihm, kaum unterscheidbar als Protagonist des Romans fungiert. Als Tochter eines Schlossherrn findet er auch Aurelie wieder, schließlich aber verführt ihn deren lüsterne Stiefmutter. Sein teuflischer Doppelgänger schlüpft in die Rolle des Grafen Viktorin, vormals Liebhaber der Schlossherrin, und ermordet sie.
Wir lesen als Buch die Aufzeichnungen des Bruders Medardus, E.T.A. Hoffmann versteckt sich in seinem virtuosen Plot hinter der Rolle des Herausgebers, ein typisches Merkmal dieses Romans. Denn auch der Mönch erfährt vieles aus seiner eigenen Lebensgeschichte nur durch Berichte anderer, zu denen vor allem aufgefundene Schriften des Malers gehören, die seine Triebhaftigkeit als Erbschuld aufzeigen. In einer barock ausgeschmückten Sprache wird hier von Wiedergängern und Nebelgestalten berichtet, von wundersamen und grausigen Erscheinungen, von tiefster Frömmigkeit und Selbstgeißelung. Die zum Teil lustigen Figuren sind allesamt sehr anschaulich beschrieben, ihre Dialoge werden in einer überhöhten Kunstsprache geführt, die blumenreich, aber mit gedanklicher Tiefe, das irrlichternde Geschehen vorantreiben. Natürlich ist all das nicht nur sprachlich abgehoben von der schnöden Lebensrealität, alles scheint sich total durchgeistigt in höheren Sphären abzuspielen. Selbst der Kampf des Protagonisten mit seinem teuflischen Doppelgänger findet zumeist rein gedanklich im tiefsten Inneren statt. Die verzweifelte Suche des Kapuziners nach seiner wahren Identität ist auch stilistisch als bereichernde Lektüre durchaus zu empfehlen.
Fazit: lesenswert
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