Kalt wie dein Herz

Dennis Lehane Neuübersetzung Kalt wie dein Herz

Kalt wie dein Herz. “I heard the old men say: ‘All that is beautiful drifts away/Like the Waters’“. (W. B. Yeats) Ein neuer alter Fall für Kenzie & Gennaro, das Detektiv-Duo aus Boston. Die Neuübersetzung von Peter Torberg hält sich an die 1999 bei William Morris, New York unter dem Titel “Prayers for Rain” erschienene Originalausgabe.

Kalt wie dein Herz

Wahrlich kurz sind die schönen Momente, die vorbei huschen wie das Wasser. Ebenso wenig kann man diese Momente festhalten und was bleibt sind die Erinnerungen. Solche Erinnerungen an schöne Momente hat auch Patrick Kenzie, denn Angela Gennaro und er haben sich nicht nur als Arbeitskollegen, sondern auch als Sexpartner getrennt. Dabei war beiden klar, dass es immer schon mehr als nur Sex war. Vielleicht liegt es auch daran, dass sich der knallharte Detektiv Kenzie ein schlechtes Gewissen wegen einer Klientin macht. Kenzie hatte seinen Kumpel fürs Grobe, Bubba, auf einen Stalker, Cody Falk, angesetzt, der Karen Nichols das Leben schwer machte. Der Job war schnell erledigt, aber einige Wochen später erfährt Kenzie, dass sich eben diese Karen Nichols von der Aussichtsplattform des Bostoner Custom House im 25. Stock in den Tod gestürzt hat. Zuvor soll sie als Prostituierte gearbeitet haben und auch in der Drogenszene Bostons kein unbeschriebenes Blatt gewesen sein. All das passt so überhaupt nicht zu der Karen Nichols, die Kenzie kennengelernt hat, dass er beschliesst, sich hinter die Sache zu klemmen. “Diese Karen Nichols hatte auf mich nicht den Eindruck gemacht, dass sie nackt von einem Gebäude springt.” Sie war eher “diejenige, die ihre Socken bügelte und Stofftiere sammelte“. Zudem hat es der Killer nicht nur auf Frauen abgesehen, sondern auch auf putzige kleine Hunde. Und das ruft wiederum erst recht Bubba auf den Plan, das komödiantische Pendant zu Kenzie. Oder sollte man hier eher von einem alter ego sprechen? Denn alles was Kenzie offiziell nicht darf resp. was “illegal” ist, erledigt Bubba für ihn. Am Ende sogar das mit Vanessa.

“Niemand liebt.” Außer Bubba

“Sie war untergegangen und ich war beschäftigt gewesen”, plagt Kenzie das schlechte Gewissen. Doch selbst in seinen kühnsten Träumen hätte er es nie erahnen können, auf was für einen Psychopath, den Drahtzieher von Karen Nichols’ Selbstmord, er sich in diesem Fall einlässt. Gut, dass er dabei auch auf Ruprecht Rogowski aka Bubba und seine Angie zählen kann. Denn die Verbindungen ihres Großvaters, Vincent Patios, zur italienische Mafia, der “Familie” und Stevie Zambuca kann zumindest deren Einmischung in den knackigen Fall verhindern. Die eigentlichen Bösewichte finden sich aber zumeist in der eigenen “Familie” und nicht bei der Mafia. Denn im Mittelpunkt von “Kalt wie dein Herz” steht das Ehepaar Dawe, die eine Tochter mit Turnus arteriosus communis hatten und eine weitere Tochter plus einen Sohn. Was es damit auf sich hat, erfährt man auf 512 spannenden Seiten eines Krimis, der sich wie eine Offenbarung liest. Denn es geht wie immer um Vergebung. Liebe und Loyalität. Referenzen an Magnum, Burt Lancaster, Nirvana und den “Dritten Mann” (Holly Martens Inn) inklusive. Zudem erfährt man trotz der knallharten Macho-Rhetorik (Kenzie fährt Porsche und liebt Magnum, die Serie, nicht die Waffe!) und einiger flotten Sprüche, warum Männer nie weinen: “Ich fürchte, wenn ich erst mal damit anfangen, kann ich nicht wieder aufhören.”, meint Patrick Kenzie.

Dennis Lehane hat einen Krimi geschrieben, der sich nicht nur über das Genre amüsiert, sondern auch seine Protagonisten. Zum großen Gefallen es Publikums: Applaus!

Dennis Lehane
Kalt wie dein Herz
Ein Fall für Kenzie & Gennaro
Aus dem Amerikanischen von Peter Torberg
2022, Paperback, 512 Seiten
ISBN: 978-3-257-30046-8
€ (D) 18.00 / sFr 24.00* / € (A) 18.50
Diogenes Verlag


Genre: Hard-boiled Krimi
Illustrated by Diogenes

Kant. Erzählung. Krimi.

Kant. Ein knallharter Hard-boiled Krimi des deutschen Literaturgenies Fauser

Kant. “Im Auge des Tiger ist kein Platz für eine Ameise.” Das einzigartige und unglaubliche Werk Jörg Fausers zeitigte auch einige Krimis. Einer davon ist “Kant“, der als Fortsetzungsroman für die Zeitschrift Wiener geschrieben wurde und erstmals 1987 auch als Taschenbuch erschien.

Kant: Showdown im Playtime

Hezekiel Kant, Privatdetektiv, hat einen chinesischen Freund: Jimmy Chang. An dem muss auch Dr. Eduard Kopmann erst einmal vorbeikommen, bevor Kant seinen Auftrag annimmt. Es geht um seine Tochter. Tutti Kopmann. Und seine Frau. Lisa Kopmann, 41, seit 16 Jahren mit ihm verheiratet und die gemeinsame Tochter, 15. Kopmann Einkäufer für Spumex setzt Kant auf Lisa an. Denn das Vertrauen ist nach 16 Jahren Ehe zerrüttet. Der Kant folgt ihr alsbald ins Playtime und erfährt einiges über die Vergangenheit von Lisa. Bei einer Zigarre und Kaffee. Manchmal auch ein Bier. Oder ein ordentliches Quantum Whisky.

Milieustudien als Metier

Das Milieu in das Fauser seinen Protagonisten schickt dürft ihm selbst auch nicht so unbekannt gewesen sein. Seine Schilderungen des zur Schau gestelltem Pömps sprechen eine deutliche Sprache, wo der allzu früh verstorbene Schriftsteller seine Nächte verbracht hatte, bevor er zu schreiben anfing. Seinen Kant lässt er im Astra wohnen, einer billigen Absteige im Chinesenviertel von München. Für ihn hatte strategisches Denken schon lange das Krafttraining ersetzt. Denn wer im Milieu lebt, schwimmt darin wie ein Fisch im Wasser. Die Forderung nach einem Lösegeld von 500.000 Mark ist aber selbst für Kant etwas zu hoch gegriffen. Denn wie viel müsste der Kopmann dann mit der Spumex schon gemacht haben? Und Sparen gehört ja jetzt nicht unbedingt zum Metier der Kopmanns.

Charakterstudien im Yakuza-Stil

Huren machen für Geld gut, was andere für Liebe schlecht machen.” Ein gewisser Felix Esterhazy spielt aber auch eine wichtige Rolle in diesem Krimi im Münchner Künstler- und Rotlichtmilieu. Denn Max der Galerist verkauft gefälschte Klees und auch unzüchtige Fotos. “Als Lisa Kopmann den Telefonhörer auflegte, war es in dem großen Raum so still, dass Kant den Eiswürfel in seinem Whiskyglas schmelzen hörte.” Und langsam schmilzt auch das Eis in Kants Kopf, denn plötzlich kann er sich über die Clique mit der er es hier zu tun hat, ein Bild machen. Ein dezenter Hinweis auf Fausers Inspiration, den Film Yakuza (1974), befindet sich auch in der Erwähnung Robert Mitchums, denn der Autor liebte das Augenzwinkern nicht nur beim Schreiben. “Im Auge des Tiger ist kein Platz für eine Ameise.

Ein echter Fauser, der seine amerikanischen Vorbilder nicht verhöhnt, sondern offen in seinen Widersprüchen fusioniert. Flott geschrieben und unterhaltsam, zudem voller Inspiration für eigene Geschichten.

Jörg Fauser
Kant. Erzählung
Mit einem Nachwort von Helene Hegemann
2021, Hardcover Leinen, 128 Seiten
ISBN: 978-3-257-07169-6
diogenes Verlag
€ (D) 20.00 / sFr 27.00* / € (A) 20.60


Genre: Crime noir, Erzählung, Hard-boiled Krimi, Krimi, Noir
Illustrated by Diogenes Zürich

Der große Schlaf

„Der große Schlaf“ habe ich mir ausgesucht, weil ich bislang noch nichts von Raymond Chandler gelesen hatte und es ein Klassiker der Literaturgeschichte des 20. Jahrhunderts ist. Das Buch wurde 1939 vom Autor mit dem Originaltitel „The big Sleep“ veröffentlicht. 1950 wurde der Roman in Deutschland, Österreich und der Schweiz unter dem Namen „Der tiefe Schlaf“ herausgegeben.

Der Krimi spielt Ende der 30er Jahre in Los Angeles. General Sternwood bestellt den Privatdetektiv Philipp Marlowe zu sich nach Hause. Schon in diesem ersten Kapitel erfahren wir zusammen mit Marlowe, dass der General alt, sehr krank und äußerst wohlhabend ist. Die zwei Töchter Carmen und Vivienne machen durch ihren unseriösen Lebenswandel die Familie immer wieder angreifbar.

Marlowe bekommt den Auftrag, herauszufinden, wer hinter der Erpressung der jüngeren Tochter Carmen, steckt. Und damit beginnt ein komplexes Durcheinander von Motiven, Verdächtigen und Geheimnissen. Das ist nicht die erste Erpressung im Hause Sternwood. Marlowe erkennt schnell, dass keiner der Beteiligten, auch sein Auftraggeber nicht , mit offenen Karten spielt.

Die ältere Tochter Vivienne will von Marlowe Informationen über seinen Auftrag. Sie hofft, dass er nach ihrem verschollenen Mann Rusty suchen soll.

Als Marlowe dem Erpresser Geiger auf den Zahn fühlen möchte, ist dieser nicht in seiner Buchhandlung anzutreffen.

Marlowe findet eine Leiche, die aber kurz darauf wieder verschwindet. Und plötzlich entwickelt sich aus einer Erpressung, eine weitere Erpressung und es wird ein komplexer Kriminalfall mit Toten.

Mehr von der Handlung möchte ich nicht preisgeben, weil genau das beim Lesen Spaß macht: die Verwicklungen zu entwirren, oder von den Verwicklungen verwirrt, nach weiteren Hinweisen zu suchen.

Worum geht es?

Es geht um die amerikanische Gesellschaft dieser Zeit. Es geht um Prüderie. Es geht um eine Welt, die mehr Schein als Sein ist. Glücksspiel!! Es ist die Welt nach der Prohibition, die als „Noble Experiment“ von 1920 – 1933, letztlich nichts änderte. Es geht um ein Frauenbild, das den Leser in der heutigen Zeit mit einem Auge weinen und mit dem anderen Auge herzhaft lachen lässt.

Raymond Chandler hat diesen Roman, wie eine Schnitzeljagd mit einigen Sackgassen und Umleitungen, inszeniert. Nichts ist so, wie es zuerst scheint. Auch Carmen scheint auf irgendeine Art und Weise in den Fall verwickelt zu sein. Und wie sieht es mit Vivienne aus?

Die Kapitel sind nicht zu lang und die Spannung bleibt, auch durch das ständige Entschlüsseln eines Hinweises und zeitgleichen Findens einer neuen Spur, hoch!

Die Sprache ist einfach und gut zu lesen. Diese Kriminalgeschichte lebt nicht von der Handlung, sondern von der Atmosphäre des Crime Noirs.

Was macht diesen Roman zu einem Klassiker?

Dieser Kriminalroman wurde aus zuvor veröffentlichten Kurzgeschichten, „Killer in the Rain“ (erschienen 1935) und „The Curtain“ (veröffentlicht 1936), kombiniert und neu zusammengebaut.

Auch der Privatdetektiv Philipp Marlowe wurde übernommen. Dieser Ermittler ist fernab von den bis dahin erfolgreichen Detektiven, wie Sherlock Holmes. Miss Marple oder Hercule Poirot. Philipp Marlowe ermittelt in einem Los Angeles, das korrupt ist, in dem das Gesetz der Straße gilt und die Grenzen zwischen Gut und Böse nicht mehr eindeutig sind. Es ist auch die Welt des Glückspiels und des Scheins.

Der Detektiv ist desillusioniert. Er betracht das Geschehen zynisch aus einer unbeteiligten Position. Er lebt nach eigenen Gesetzen, die er konsequent einhält. Sein Verhalten gegenüber Frauen ist rücksichtslos, Er schlägt auch mal zu.

„Das blechern Glucksen kam immer noch aus ihr heraus. Ich ohrfeigte sie. Sie blinzelte und hörte auf zu glucksen. Ich ohrfeigte sie nochmal.“ S.49

Marlowe benutzt seine Schusswaffe. Er raucht und trinkt. Er ist weiblichen Reizen gegenüber immun, außer er will es zulassen.

Seine Wortwahl und Ausdrucksweise würde man heute mit dem Zusatz NO GO! Kennzeichen.

„Wer war das?“ „Miss Carmen Sternwood, Sir.“ „Sie sollten sie abstillen. Kommt mir alt genug vor.“

Das Hörbuch

Mein Hörbuch „Der große Schlaf“, in der Fassung vom 11.09.2009 wird von Christian Brückner gesprochen und wurde von Gunar Ortlepp aus dem Amerikanischen übersetzt. Diese Übersetzung wirkt auf mich schärfer, bissiger und politisch weniger korrekt.

Christian Brückner ist ein phantastischer Sprecher. Er lässt Philipp Marlowe genauso so arrogant, zynisch und abgebrüht auftreten, wie man es sich vorstellt.

Von der neuen Übersetzung gibt es bislang kein Hörbuch.

Zur Übersetzung von Frank Heibert

Wenn es möglich ist, lese ich das Buch und lasse es mir gleichzeitig vorlesen. Ich habe immer das Gefühl, dass mir das Innere des Buches dadurch mehr preisgibt. Diesmal fand ich es besonders interessant, weil ich zwei unterschiedliche Übersetzungen hatte und ich manche Passagen dadurch mehrfach las oder hörte.

Die neue Übersetzung von Frank Heibert empfand ich, wie man so schön sagt, politisch korrekter. Mein Englisch ist nicht gut genug, um zu beurteilen, ob sie näher beim Original oder entfernter vom Original ist.

Filmische Adaptionen

Der Roman, der in Los Angeles spielt, wurde zwei Mal verfilmt; 1946 hatte Humphrey Bogart die Rolle Philipp Marlowes und 1978 mit Robert Mitchum.

Meine Antwort: Dieses Buch ist ein Klassiker, weil

Dieses Buch ist ein Klassiker, weil Philipp Marlowe der Prototyp eines „Hard-boiled“ Ermittlers ist. Lediglich Sam Spade aus dem „Malteser Falken“ von Dashiell Hammitt ist ihm ebenbürtig. Bemerkenswert ist noch, dass in den filmischen Adaptionen beider Filme die Rolle des Ermittlers von Humphrey Bogart gespielt wurde.

Mit dieser Interpretation des Kriminalgenres setzte er neue Maßstäbe. Das waren keine Fälle, die durch Nachdenken und geistreiche Puzzeleien gelöst wurden. Diese Fälle wurden mit Waffen, Fäusten geradezu martialisch gelöst.

Es ist Crime Noir, in dem Frauen mehr als Zierde dienen. Die Morde geschehen nicht in britischen Herrenhäuser oder Gütern, sondern in der Großstadt, zwischen Glücksspiel und Buchläden. Erst im Laufe der Geschichte enthüllt sich Gut und Böse mit allen Variationen – 50 Shades of Grey.

Ich stellte mir beim Lesen und vor allem beim Hören die Frage, ist das Buch heute noch aktuell?

Ja! ich glaube schon. Wenn wir von der Grundstruktur ausgehen, ist es immer noch aktuell. Die individuellen Inhalte, z. B. wofür man erpressbar ist, müssten ausgetauscht werden.

Spannung und Humor dieses Romanes sind zeitlos.

Die Entrüstung über dieses chauvinistische und machohafte Verhalten Philipp Marlowes ist bis heute sicherlich gewachsen. Dennoch sollte man den Krimi mit den Augen der Zeit, in welcher er spielt, sehen.

Ich habe mir „Der große Schlaf“ ausgesucht, weil ich bislang noch nichts von Raymond Chandler gelesen hatte und es auf meiner Unbedingt-Lesen-Liste steht. Allerdings sind Chandler und ich keine Freunde geworden, auch wenn er handwerklich sehr gut ist. Ich mag sein Frauenbild überhaupt nicht und das ging mir alles ein wenig zu durcheinander. Ich mag es doch strukturierter.

Aber, wie ich immer sage, das ist eine ganz persönliche Angelegenheit! Lest selbst und schreibt eure Meinung!

Wer mehr Informationen über Raymond Chandler möchte, dem empfehle ich folgenden Link von Zauberspiegel


Genre: Crime noir, Hard-boiled Krimi, Krimi
Illustrated by Diogenes