Darf ich mich zeigen, so wie ich bin?
Ryo hat ein Problem: Er findet die Mädchenuniform seiner Schule fürchterlich – v.a. weil er sie selbst tragen muss. Denn Ryo ist transgender, ein Junge im Körper eines Mädchens. So ist er tagtäglich gezwungen, sich Ausreden zu überlegen, warum er nicht in Uniform sondern in Sportkleidung in die Schule kommt, muss die schrägen Blicke ertragen, wenn er mit Jungs abhängt und Mädchen toll findet. Nur seine Kumpeline Chika ist vom Charakter her offen und gegen jede Ungerechtigkeit. Aber selbst ihr kann Ryo seine wahre Identität nicht anvertrauen. Dann allerdings ändert sich sein Leben grundlegend, als Sitzenbleiber Jin in die Klasse kommt. Jin pfeift auf Konventionen, er will sein eigenes Leben leben – und er sieht Ryo, wie Ryo wirklich ist. Weil Rin alles so sieht, wie es wirklich ist, hat er auch keine Vorurteile und ist in der Lage, die Qualitäten und den Charakter eines jeden Menschen sofort wahrzunehmen. Deshalb bietet er Ryo spontan an, mit ihm ein Modelabel zu gründen, denn Ryo hat eine Begabung für alles Künstlerische. Aber Ryo ist noch misstrauisch, denn er hat mittlerweile zu viele Narben davongetragen, um noch jemandem zu vertrauen.
Der Gesellschaft einen unbequemen Spiegel vorhalten
Der 1. Band der Reihe lässt sich sehr gut an. Er bietet Einblicke in die Gedankenwelt derjenigen, die am Rande der Gesellschaft stehen – und entlarvt gleichzeitig durch die reine Präsentation der Charaktere, wie die Gesellschaft wirklich tickt: arrogant, egoistisch, engstirnig, diskriminierend, gewalttätig. Diese Charakterzüge nämlich tragen die besonders beliebten Jungen der Schule, während Ryo, Rin und im weiteren Verlauf der begabte Fotograf und ebenfalls Außenseiter Todo zwar menschliche Schwächen und Macken haben, aber in der Lage sind, sich selbst und anderes zu reflektieren, den Mut zur Selbstfindung aufbringen, einen guten Kern haben, den eigenen Schwächen ins Auge zu blicken und den Mut anderer wertzuschätzen, ebenso wie sie lernen, nicht nur sich selbst, sondern auch andere aufgrund ihrer menschlichen Qualitäten zu schätzen. Und ausgerechnet Rin, der vom Aussehen her das Schlägerklischee in jeder Hinsicht erfüllt, ist Lehrmeister für Ryo und Todo. So lernen die beiden, ehrlich zu sich selbst und anderen zu sein und sich für ihre Werte einzusetzen.
Der Manga bringt also allmählich ans Licht, worauf es wirklich ankommt: Menschlichkeit, Selbstfindung und das Kämpfen für eine gerechte und barmherzige Welt. Denn die jetzige ist noch weit davon entfernt, wenn sie Gewalttätigkeit und Diskriminierung nicht nur zulässt, sondern sogar gutheißt und destruktive Menschen hohes Ansehen genießen. Der Manga hält der Welt den Spiegel vor und zeigt die Destruktivität der Menschen, für die das zum normalen Leben gehört. Und er bricht eine Lanze für die Kunst, die schon immer Selbstausdruck war, intelligent die Geschehnisse der Zeit beleuchtet, bricht, kritisiert, seziert, mögliche (Lösungs-)Wege aufzeigt und damit ein fundamental wichtiger Teil der Gesellschaft und deren Gewissen ist. Da Mangas ebenfalls Ausdruck von Kunst sind, kann man hier also von der Form her eine Ebene in der Ebene beobachten. Kunst drückt sich in diesem Manga nicht nur in qualitativ hochwertigen Graffitis und Fotos aus, sondern auch in der Mode – sofern diese eine Botschaft hat, dem Selbstausdruck dient und die Herzen der Menschen berührt. Natürlich wollen die drei mit ihrem Traum auch Geld verdienen, aber für Geld verbiegen sie sich nicht, sondern nutzen die Mode als ihr Sprachrohr.
Insgesamt also ein sehr gelungener, tiefgründiger Auftakt einer hoffentlich im weiteren Verlauf guten und wichtigen Serie!