Toni Morales und die Töchter des Zorns

Unter ihrem Pseudonym Elena Bellmar packt die auf Mallorca lebende Elke Becker ein heißes Eisen an: Ihr Roman um einen mallorquinischen Mordermittler spielt vor der Kulisse der »Ninos Robados«. Diese unter der Franco-Diktatur von ihren Eltern geraubten Kinder und Säuglinge, die heute als Erwachsene immer noch nach ihren wirklichen Eltern fahnden, nimmt die Autorin als Motivhintergrund für ihren Kriminalroman.

Während der Schreckensherrschaft des spanischen Diktators Franco von 1936 bis 1975 und Jahre darüber hinaus wurden von einem katholischen Netzwerk Babys politisch missliebiger Eltern gestohlen und an faschistische Gesinnungsgenossen verkauft. Zynische Gynäkologen, perverse Priester, verlogene Nonnen, eiskalte Krankenschwestern und betrügerische Beerdigungsunternehmer sorgten gegen Bares dafür, dass zigtausende Familien mit einer Lüge lebten. »Ninos Robados«, gestohlene Kinder, wird der geraubte Nachwuchs in Spanien genannt.

Die eng mit den Faschisten operierende katholische Kirche führte lange Wartelisten von systemkonformen Möchtegern-Adoptiveltern. Leiblichen Müttern wurde ihr Neugeborenes gestohlen mit der Lüge, ein Routinetest sei nötig. Dann erklärte man den wartenden Eltern den plötzlichen Kindestot. Nonnen zeigten den entsetzten Müttern als Beweis ein totes Baby, das zu diesem Zweck in einem Gefrierschrank aufbewahrt wurde. Das Verbrechen funktionierte perfekt: Begraben wurden mit Steinen gefüllte Särge oder Leichenteile von erwachsenen Opfern. Und ringsherum herrschte einvernehmliches Schweigen.

Mindestens 30.000 Babys wurden Regimegegnern und internierten Republikanerinnen weggenommen und an regimetreue katholische Familien verkauft. Einige Historiker sprechen sogar von mehr als hunderttausend Zwangsadoptionen. Zur internen Rechtfertigung der Raubtaten hieß es, der »Volkskörper« sollte »von linken Schädlingen gereinigt« werden. Das Justizministerium sanktionierte die Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Der Ring des Verbrechens flog erst auf, als zwei Männer herausfanden, dass man sie als Baby geraubt und verkauft hatte.

Spanierinnen, deren Babys offiziell verstorben waren, forderten zum DNA-Abgleich die Öffnung der Gräber und suchten vergeblich die Leichen ihrer Kinder. Erwachsene, die aus welchen Gründen auch immer Zweifel an ihrer familiären Herkunft hegten, ließen ihr Erbgut prüfen und gingen bei negativem Ergebnis auf die Suche nach ihren tatsächlichen Erzeugern. Dabei versuchte der Staat, ihnen alle möglichen Stolpersteine in den Weg zu legen. Möglich wird das durch das Amnestiegesetz von 1977, das sämtliche politische Verbrecher der Franco-Diktatur ihrer juristischen Verantwortung enthob.

In Kenntnis dieser Vorgänge ist nachvollziehbar, dass einige der direkt Betroffenen Wege zur Informationsbeschaffung gehen, die am Rande der Legalität liegen. Auch die persönliche Rache an solchen, die für persönliches Leid verantwortlich waren aber nicht angeklagt werden können, wird vollstellbar.

Als Comandante Antonio Morales vor seinem offiziellen Antritt beim mallorquinischen Morddezernat zu seinem ersten Fall gerufen wird, ist ihm die Geschichte der gestohlenen Kinder unbekannt: Eine uralte Nonne wird am Fuße von Palmas Stadtmauer tot aufgefunden. Sie soll von einer fremden Frau, die zuletzt mit der Nonne gesehen wurde, heruntergestoßen worden sein.

Als er bald darauf zu einem zweiten Todesfall gerufen wird, zeigen Hinweise, dass die Fälle zusammenhängen. Bei seinen Ermittlungen stößt Morales bald auf jenes unfassbare Geheimnis, das auf einem der düstersten Kapitel der jüngeren spanischen Geschichte lastet.

Lebt und schreibt auf Mallorca: Autorin Elke Becker aka Elena Bellmar

Elena Bellmar schildert die Begegnung ihres Protagonisten mit den »Töchtern des Zorns« mit großem Personalaufwand unter Berücksichtigung der insularen Besonderheiten. Der Mallorca-affine Leser wünscht sich dabei einen Schuss mehr Lokalkolorit. Schließlich gibt es eine Vielzahl kulinarischer Inselspezialitäten, Weine und Liköre, die verzehrt werden könnten.

Die »Insel der Glückseligkeit« hat ihre eigene Folklore mit typischer Musik und ein Leben im Inselinneren, das vollkommen abweicht von dem bei Touristen vorherrschenden Ballermann-Klischee. Es wäre der weiteren Entwicklung der Serie gewünscht, dass auch die landschaftliche Schönheit der Insel in all ihren Facetten geschildert wird ebenso wie die Farben, die Düfte bis hin zur Orientierung nach den Winden, die der mediterrane Insulaner ebenso wie die Seefahrer differenziert.


Illustrated by Pendo

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