Bob Blanchard ist aus seinem bisherigen Leben ausgestiegen. Zermürbt von sinnleerer Schreibtischarbeit und endlosen Meetings, in denen nur Bullshit verzapft wird, sehnt sich der erfolgreiche Werbefachmann nach Stille und Substanz, die er im bäuerlichen Leben zu finden glaubt. Er möchte wieder das Gefühl empfinden, einer ehrlichen Arbeit nachzugehen. Bob gibt den Komfort von Job und Stadt auf und zieht mit Frau, Kind und seinem behinderten Bruder von St. Louis in die Ozarks, eine Region im südlichen Missouri. Dort will er sich als Rinderzüchter versuchen und investiert sein Vermögen in eine schwarze Herde mit Angus-Rindern.
In Unkenntnis der Branche kauft Blanchard Land und Herde jedoch auf dem Höhepunkt der Fleischpreise, die bald jäh fallen. Der Amateur-Rancher hofft zwar auf ein Ansteigen der Preise, doch nach vier Jahren harter Arbeit muss er schließlich erkennen, dass er mit jedem Tag, den er seine teuren Tiere weiter mästet, weiteren finanziellen Verlust einfährt. Das weiß auch die ihn finanzierende Bank und übt bald erbarmungslos Druck aus. Als schließlich der Tierarzt bei dem teuersten Stier, den Blanchard besitzt, Brucellose, eine hochansteckende Rinderseuche, attestiert, bricht die schöne neue Welt des Aussteigers wie ein Kartenhaus zusammen.
Blanchard findet wenig Verständnis für seine Situation unter den anderen Männern. Die sehen in ihm lediglich den verrückten Städter, der ihnen fremd ist, den wöchentlichen Kirchgang ignoriert und keine Gottesfurcht kennt. Als Außenseiter spürt der Zugereiste ihren Hass. Einmal ins Rutschen gekommen, scheint sein Abstieg unaufhaltsam. Frau und Kind verlassen ihn, er klammert sich an eine Barfrau und einen ehemaligen Arbeitskollegen, der ihm in die Wildnis gefolgt ist, um keine Alimente zahlen zu müssen. Als schließlich ein windiger Kleinkrimineller auf die Idee kommt, die Herde zu stehlen und eine gewaltige Versicherungsprämie zu kassieren, scheint sich das Blatt zu wenden …
Newton Thornburg lebte selbst eine Zeitlang mit seiner Familie auf einer Farm in den Ozarks, wo »Schwarze Herde« spielt und entstand. Er kennt den brutalen Menschenschlag, mit dem der frisch gebackene Züchter und Hauptheld seines Kammerspiels konfrontiert wird: »Vom Herausziehen bei der Geburt steckengebliebener Kälber über die Kastration von einen Tag alten Bullen bis hin zur Impfung und Enthornung und Ohrmarkierung sowie dem Zusammentrieb und Transport, es war immer das Gleiche: jämmerliche Gestalten, die tagaus tagein über die Tiere herrschten mit Instrumenten und Tricks und, vor allem, Selbstüberschätzung, diesem irrationalen Gefühl von Unsterblichkeit, das es einem Mann ermöglichte, sich wie ein Stierkämpfer ganz in die Nähe der Hörner zu wagen.« In dieser Welt ist Gewalt das tägliche Brot, und entsprechend verhalten sich die Cowboys, die sich abends in verrauchten Spelunken den letzten Funken Verstand wegsaufen, bevor sie sich gegenseitig die Fresse polieren.
Thornburg ist ein begnadeter Erzähler. Mit wenigen Strichen gelingt es ihm, die hinterwäldlerische Welt, in die sich Aussteiger Blanchard blauäugig eingekauft hat, treffsicher zu skizzieren. Dabei ringt er der sich abzeichnenden menschlichen Tragödie auch durchaus komödiantische Züge ab. All das macht den harten Roman zu einem Lesevergnügen mit Sogwirkung, zur spannungsgeladenen Schilderung eines Lebensweges voll Irrungen und Wirrungen, der in die düstersten Nischen des Lebens führt.
»Schwarze Herde« reicht zwar weder thematisch noch in der Auswahl seiner morbiden Protagonisten an Thornburgs rabenschwarzen Krimi »Cutter und Bone« heran. Hinsichtlich seiner sprachlichen Präzision steht das Werk dem Meisterwerk des US-Autors jedoch in nichts nach. Das ist auch Übersetzerin Susanna Mende zu verdanken, die beide Werke ins Deutsche übertrug. Dem Polar-Verlag gebührt schließlich Anerkennung, Newton Thornburgs hier weitgehend unbekanntes Œuvre dem deutschsprachigen Leser eröffnet zu haben, wobei die Titel des Autors inzwischen nur noch antiquarisch erhältlich sind.