Mit »Vincent« seziert Joey Goebel die Popindustrie und zeigt auf, wie Stars und Sternchen in den Himmel geschossen werden und dort rasch verglühen: Harlan Eiffler bekommt den Job seines Leben: Ein millionenschwerer Medienunternehmer will als Krönung seines Lebens eine Nachwuchsakademie ins Leben rufen, um künstlerische Genies zu fördern. In deren Auftrag soll Harlan lediglich ein einziges Talent betreuen. Geld spielt dabei keine Rolle.
In einem komplizierten Auswahlverfahren wird ein siebenjähriger Junge als optimal geeignet ausgewählt. Es ist Vincent, dem sich der Rundumbetreuer zu widmen hat. Doch seine Arbeit steht unter einer Prämisse: Eiffler verpflichtet sich, das Leben des Wunderkindes so zu manipulieren, dass dieses zeitlebens unglücklich und allein bleibt. Nur wenn dem Genie ständig Leid widerfahre, meinen die Medienbosse, könne dieses Großes vollbringen.
Leiden inspiriere, so die Theorie. Ein Verlust, ein gebrochenes Herz, eine Krankheit nähre den Künstler und treibe ihn zu Höchstleistungen. Sobald das noch ungeformte Talent gründlich verfeinert und vervollkommnet sei, soll er neue Werke für Film, Fernsehen und Musik schaffen. Diese drei Bereiche liegen dem Finanzier am meisten am Herzen, weil sie die flache Mainstream-Kultur stärker beeinflussen als Literatur, Theater oder Malerei.
Harlan gewinnt rasch das Vertrauen des Siebenjährigen und beginnt seine makabre Tätigkeit. Die Mutter des Jungen, eine herunter gekommene Schlampe, lässt sich kaufen und verschwindet aus Vincents Leben. Er vergiftet den geliebten Hund des Jungen und macht ihn unter Mitschülern madig. In Vincent formt sich ein Weltbild, wonach ihn niemand mag, und er beginnt, sich immer stärker zurückzuziehen. Dabei beginnt er tatsächlich, außergewöhnliche Werke zu schaffen und verhält sich ganz im Sinne seiner Förderer. Sobald er aus dem Ruder läuft oder in eine Schaffenskrise fällt, hilft der gute Eiffler ein wenig nach und seinem Pflegesohn Vincent neues Unglück, um ihn wieder auf Trab zu bringen.
Vincent wächst heran. Er verliebt sich. Harlan besticht das Mädchen, damit sie Schluss macht. Der junge Literat leidet an der Großen Traurigkeit, die alle Großen irgendwann einmal befällt. Sein Manager hilft nach, macht ihn mit Alkohol und anderen Drogen bekannt und lockt ihn damit immer weiter in die Isolation. Dabei geht er davon aus, dass Trinken ihn zu einem noch bedeutenderen Autor machen wird, da die künstlerische Entwicklung von Hemingway, Faulkner, Kerouac, Chandler und Poe durch Alkoholismus offensichtlich befördert worden war.
Bald findet sich durch Beziehungen ein Interpret, der Vincents Songs singt und damit die Hitparaden stürmt. Es folgen weitere Liedtexte, Drehbücher für Filme und ein Konzept für einen Kunstkanal. Als der Geldgeber des Projekts stirbt, beschließt dessen Nachfolger, Vincent selbst in den Vordergrund zu bringen. Ob das gut geht, und wie das Melodrama endet, ist eine spannende Geschichte für sich …
Joey Goebel, der inzwischen auch durch »Freaks« seine Fähigkeit als einfühlsamer Beleuchter des Medienbetriebes bewies, liefert mit »Vincent« einen Roman, der als Satire beginnt und dramatisch mündet. Dabei basiert er auf einer instinktiven Ablehnung des Lesers gegen den allgemeinen Kulturbetrieb, der sich durch Radio- und Fernsehsendungen auf tiefstem Niveau auszeichnet. Er bietet eine (umstrittene) Theorie, wie qualitativ hochwertigere Kunst geschaffen und angeboten werden könne. Dabei bleibt er realistisch genug, um einzuräumen, dass dies nur mit Hilfe der marktbeherrschenden Musikproduzenten und deren Vertriebe möglich wäre. Das Buch seziert damit auch die Popindustrie und zeigt auf, wie neue Stars und Sternchen bauchfrei in den Himmel geschossen werden und dort rasch verglühen.
»Vincent« ist ein mitreißend geschriebener Text. Er macht gespannt auf die nächsten Werke des 1980 geborenen Autors aus Kentucky.