Nur für Pessimisten
Unter dem tautologischen Titel «Glücklich die Glücklichen» hat die französische Schriftstellerin Yasmina Reza ihr neuestes Buch vorgelegt. Ihre Karriere begann sie als Schauspielerin und Dramatikerin, seit 1998 hat sie ihr Œuvre um Prosa erweitert. Einem breiteren Publikum ist sie spätestens seit der grandiosen Verfilmung ihres Theaterstücks «Der Gott des Gemetzels» durch Roman Polanski bekannt. Wer diesen Spielfilm gesehen hat mit seinen funkelnden Wortgefechten, dürfte, wie ich auch, neugierig geworden sein auf die Prosa dieser Autorin.
Formal gliedert sich ihr Buch, das als Roman firmiert, in einundzwanzig jeweils für sich stehende Kurzgeschichten, überschrieben mit den Namen der achtzehn Figuren, aus deren Perspektive darin berichtet wird. Es beginnt gleich dramatisch mit Robert, der mit seiner Frau an der Käsetheke eines Supermarktes aus nichtigem Anlass in einen heftigen, beinahe handgreiflichen Streit gerät. Ausraster dieser Art sind als Handlungseffekte typisch für Yasmina Reza, sie arrangiert mit solch verbalem Gemetzel genüsslich die Selbstmontage ihrer Figuren. Der drei Generationen umfassende Menschenzoo, den wir da vorgeführt bekommen, beschränkt sich soziologisch auf die heutige Mittelschicht. Vertreten ist da der Politiker ebenso wie der Jurist, Arzt, Direktor, Journalist oder Chauffeur, die Schauspielerin oder die Sprechstundenhilfe. Es sind Familien, Paare und Einzelgänger, die in einem weiten Beziehungsgeflecht gesellschaftlich, freundschaftlich, familiär, ehelich oder amourös miteinander verbunden sind. Hinter der intakten Fassade erweisen sich viele dieser Beziehungen im besten Fall als brüchig, oft aber auch als längst zerstört. Das Neurotische im personalen Ensemble der Autorin reicht vom tüchtigen Onkologen, der sich im Stadtpark devot mit jungen Strichern einlässt, über die Schauspielerin, die mit ihrer Neigung zur Selbstverleugnung immer bei den unmöglichsten Männern landet, bis hin zum schizophrenen Sohn, der sich derart in seine Begeisterung für Céline Dion hineinsteigert, dass er sich am Ende selbst für die kanadische Popsängerin hält und in der Psychiatrie landet. Es gibt aber auch den total vereinsamten Patienten, der seinem erstaunten Analytiker erklärt: «Wenn ich bei mir zu Hause bin, habe ich Angst davor, dass jemand vorbeikommen und sehen könnte, wie einsam ich bin».
Es sind solche Sätze, die diesem figuralen Geflecht seine besondere Note geben. Die Autorin glänzt mit überraschenden Gedankengängen, zeigt verblüffende Querverbindungen auf, sprüht geradezu vor Wortwitz. «Ich kann mit meiner Frau kein ernsthaftes Gespräch führen. Unmöglich, sich verständlich zu machen. Das gibt es nicht. Schon gar nicht im Rahmen einer Ehe, wo alles gleich zu einer Gerichtsverhandlung wird». Das abenteuerliche Konstrukt des kurzen Romans stellt im Übrigen an den Leser, allein schon von der mehr als üppigen Figurenfülle her, erhöhte Anforderungen, will er die ausufernden Verästelungen und subtilen Querverbindungen sicher erkennen und logisch einordnen. Nicht wenige der Figuren erscheinen auch grotesk überzeichnet, sie bleiben allzu deutlich reine Kunstfiguren, zu denen man kaum Empathie aufbauen kann. Was ist Glück, lautet die Kardinalfrage, und wie kann man es finden, an wen wendet man sich? Eine der Frauen wendet sich stets an ihren verstorbenen Vater, es käme ihr nicht in den Sinn, mit ihren vergleichsweise banalen Problemen zu Gott sprechen zu wollen: «Ich war immer der Ansicht, dass man Gott nicht stören darf». Es nervt sie allerdings, dass ihr Vater, der schon immer eine Niete war, im Himmel so wenig erreicht für sie.
«Die geistreichsten Menschen sind immer Pessimisten. Sie sind auch die humorvollsten. Ich habe noch nie mit einem Optimisten richtig gelacht» hat die Autorin in einem Interview mal geäußert. Demzufolge sollten auch nur ausgemachte Pessimisten dieses vergnügliche Buch lesen.
Fazit: lesenswert
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