Das Medikament


Jan Flemming ist ein junger Anwalt, bei dem eine unheilbare  Krankheit diagnostiziert wird: Er ist Narkoleptiker. Meist aus heiterem Himmel überfällt ihn eine bleierne Müdigkeit, der er sich nicht widersetzen kann. Er bricht zusammen, schläft ein und verfällt minutenlang in eine katatonische Starre, aus der er sich nicht lösen kann.

Da hat es sich der Krimiautor aber leicht gemacht, denkt der Leser nach den ersten Seiten. Er nimmt einen attraktiven Mann, der in Tiefschlaf verfällt und danach vermutlich mit einem Messer in der Hand in einer Blutlache erwacht, während rundherum Leichen drapiert sind, die er ganz offensichtlich auf dem Gewissen hat. Nun darf der arme Kerl zusehen, wie er den Kopf aus der Schlinge bekommt …

Man könnte den Roman in diesem Augenblick zur Seite legen, alle Handlungsstränge liegen vor dem geistigen Auge des Lesers, und der mag sich ärgern, wieder einem Stück Schemaliteratur erlegen zu sein. Zum großen Glück des Lesers und zur Erleichterung des Rezensenten arbeitet Chris Karlden seinen auf den ersten Blick offensichtlich scheinenden Plot wesentlich differenzierter, entsprechend anspruchsvoller und mit unerwarteten Wendungen aus.

Flemming verliert durch seine Erkrankung seinen gut dotierten Job in einer renommierten Hamburger Anwaltskanzlei. Er fürchtet um seine Zukunft und die seiner Familie, hohe Ratenzahlungen für das Eigenheim drücken ihn. Nur seine Frau Babs und ein paar Freunde scheinen noch zu ihm zu stehen. Die Ärzte machen ihm wenig Hoffnung. Eine Heilung von der Schlafsucht gilt als ausgeschlossen, und es sind keine geeigneten Medikamente verfügbar, sie in Griff zu bekommen.

In dieser Situation erreicht ihn eine E-Mail eines privaten Forschungsinstitutes. Das Unternehmen will ein neues Medikament testen, das ungewöhnlich wirkungsvoll seine Krankheit bekämpfen soll. Das Mittel überwindet erstmals die natürliche Blut–Hirn–Schranke und füllt den Botenstoff, der dem Hirn des Narkoleptikers fehlt, wieder auf. So wie ein Ertrinkender nach jedem Strohhalm greift, der sich ihm bietet, so öffnet sich Flemming dem Angebot und bietet sich als Versuchskaninchen an. Damit beginnt er eine verwickelte Odyssee, die ihn schnell an den Rand des Wahnsinns treibt.

Denn durch das Medikament verstärken sich nicht nur die mit der Krankheit einhergehenden Halluzinationen, Flemming bricht auch bei stärkeren emotionalen Belastungen zusammen und fällt in komatösen Schlummer. Bald weiß er nicht mehr, Fantasie und Realität zu unterscheiden und verstrickt sich tatsächlich in eine Geschichte von Mord, Betrug und Besessenheit. Diese wird umso verwickelter, als das Versuchslabor ihm plötzlich nie ein Angebot gemacht haben will und angeblich auch überhaupt keinen Wirkstoff zur Verfügung hat. Schließlich zweifelt er auch an der Treue seiner Frau, die ihm als letzte Bastion den Rücken stärkt, und fürchtet, dass das Baby, das sie erwartet, nicht von ihm ist.

Verfasser Chris Karlden gestaltet mit seinem Psychothriller eine durchaus verzwickte Konstellation zwischen Flemming und den Menschen in seiner Umgebung, die nach einigen Überraschungen erst ganz zum Schluss gelöst wird. Sein Ich-Erzähler agiert nachvollziehbar und durchaus überzeugend. Die Auflösung der spannenden Spielhandlung um das Medikament ist unerwartet und überraschend. Ob verzweifelte Liebe als Leitmotiv für die Verbrechen und die Rahmenhandlung glaubhaft ist, muss indes jeder Leser selbst entscheiden.

„Das Medikament“ ist ein Psycho-Thriller für Leser, die lieber in die Abgründe der menschliche Seele steigen statt durch Blutlachen zu waten. Karlden erweist sich damit erneut als Autor, der sein Handwerk versteht und darum kämpft, seine Leser zu begeistern.

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Genre: Psychothriller
Illustrated by Selbstverlag

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