Gut gegen Böse?
Will lebt zusammen mit seiner Mutter ein einfaches Leben auf einem Bauernhof– bis eines Tages seine Mutter von mysteriösen Männern ermordet wird. Er selbst kann nur knapp entkommen und verdingt sich seitdem als Hafenjunge. Aber eines Tages wird er von einem reichen und einflussreichen Händler namens Simon gefangen genommen, der in ihm eine Wiedergeburt einstiger magischer Wesen sieht. Durch die Hilfe von Violett, der Schwester und Tochter der zwei treuesten Untergebenen Simons, kann Will sich befreien. Auf der Flucht werden die beiden von Kämpfern des Ordens der Stewards gerettet und finden dort Zuflucht. In Will sehen die Stewards einen Nachfahren der Dame, die vor langer Zeit den Dunklen König in seine Schranken verwiesen hat. Deshalb wird er von der Ältesten der Stewards in Magie unterrichtet, während Violett Unterricht in den Kampfkünsten erhält. Allerdings hat Violett ein Geheimnis, das für sie tödlich enden könnte: Sie ist ein Löwe – und die gelten als die treuesten und stärksten Verbündeten des Dunklen Königs. Aber auch Will hat zu kämpfen, denn in ihm wollen die Kräfte der Dame einfach nicht erwachen. Diese allerdings braucht er dringend, wenn er gegen James St. Clair, den mächtigen wiedergeborenen General des Dunklen Königs, bestehen will. Außerdem würde der Tod des Nachfahrens der Dame den Dunklen König wiedererwecken – und damit den Untergang der Welt einleiten.
Perfekt aufgebaute Fantasy-Welt mit überraschenden Wendungen
Der Auftakt der Trilogie verbindet Elemente der Steam-Punk-Fantasy mit Fabelwesen, die neu interpretiert werden, und mit eigenen neuen Ideen, angesiedelt im klassischen Setting „Gut gegen Böse“. Aber die Autorin versteht es auch hier, dieses Setting neu zu gestalten und ihrem Haupt-Helden eine überraschende Wendung zu geben, die sie aber schon subtil im Buch vorbereitet, sodass aufmerksame Leser*innen, die gut Spuren deuten können, ahnen, worauf die Geschichte hinausläuft. Insgesamt ist der Roman spannend, die Figuren sympathisch, die Grenzen zwischen Gut und Böse verschwimmen, die Motive der Figuren sind nachvollziehbar.
Die vom Verlag beschworene und beworbene Diversität im Buch wird allerdings nur nebenbei behandelt, sodass die Inhaltangabe auf der Rückseite des Buches und die Pressemitteilung etwas irreführend wirken. Wer also meint, dass u.a. Homosexualität und Romantik den Großteil des Romans einnehmen, irrt. Beides kommt (wie schon geschrieben) eher nebenbei vor; es wird deutlich mehr Wert auf Spannung und Charakterentwicklung gelegt. Die Welt an sich ist stimmig, der Spannungsaufbau perfekt, die Handlungsstränge stringent und penibel geplant.
Die Beiläufigkeit der Erwähnung der sexuellen Orientierungen gefällt mir andererseits aber auch wieder gut. Denn das zeigt etwas, wo in der realen Welt noch deutlich Luft nach oben ist: Die sexuelle Orientierung, egal welcher Art, gehört einfach so sehr zum Leben dazu, dass darüber kaum noch Worte verloren werden müssen. In diesem Buch wird Homo- und Bisexualität so behandelt, wie sie in der Natur vorkommt: Sie war und ist schon immer da, gehört zum diversen (Über-)Lebensprinzip der Natur dazu und wird als Naturphänomen ganz selbstverständlich akzeptiert.
Frauen in diesem Roman werden als starke Frauen charakterisiert, wobei sie aber auch ihre Macken, Verletzlichkeiten und Schwächen haben – aber macht nicht gerade das sie stark? Violett wird in ihrer Eigenschaft als Löwe, der ohnehin ein Symbol für Mut und Kraft ist, ohnehin als stärker als sogar männliche Löwen dargestellt. (Sind es nicht die Löwenweibchen, die jagen gehen und das Rückgrat des Rudels bilden?) Dahingegen gestehen sich manche männlichen Charaktere ihre Schwächen, dunklen Seiten und Verletzlichkeiten ein, was ihrer Entwicklung einen Schub nach vorne versetzt. Der Kontrast wirkt umso mehr, weil Pacat auch Frauen und Männer einbaut, die im klassischen Rollenklischee verhaftet sind und nicht reflektieren. Aber selbst hier bricht zwar kein Mann, aber eine Frau (Katherine, in die Will sich verliebt hat) aus den Konventionen aus, um ihren eigenen Weg zu gehen – auch wenn dieser unsicher ist. Das spiegelt gut auch reale historische und aktuelle Situationen wider, denn es sind oft genug v.a. Frauen, die Ungerechtigkeiten anprangern und für Gerechtigkeit einstehen. Bei den Stewards ist es selbstverständlich, dass eine Frau den mächtigen Orden anführt, dass Frauen Führungsrollen übernehmen und kämpfen. Es wird nicht infrage gestellt, dass sie umfassend stark sind, auch körperlich. Das wird nicht explizit erwähnt, sondern als selbstverständlich vorausgesetzt und entsprechend im Roman behandelt – es ist Teil dieser Welt. Und es ist eine Frau, die der toxischen Männlichkeit nachhaltig die Stirn bietet.
Wie die sexuelle Orientierung und die Stärke der Frauen wird auch ein weiteres Thema eher nebenbei eingebaut, ohne aber an Wichtigkeit zu verlieren: der Glaube an die Wiedergeburt. Er wird nicht infrage gestellt, sondern ist selbstverständlicher Bestandteil der Welt, während die Magie, die früher keiner Erklärung bedurfte, in der aktuellen Zeit als Mythos gilt.
Fazit
Rundum gelungener Fantasy-Roman mit neuen Ideen, die sich in althergebrachten Mustern verstecken und diese aufbrechen. Ich bin gespannt auf die Fortsetzung!