Baba Dunjas letzte Liebe

Ein Wink an den Leser

Die in Russland geborene und seit Anfang der Neunziger Jahre in Deutschland lebende Alina Bronski hat mit «Baba Dunjas letzte Liebe» einen Roman geschrieben, der an das Reaktorunglück von Tschernobyl im April 1986 anknüpft. Sie beschreibt, wie alte Menschen trotz der Strahlung in die Todeszone zurückkehren und dort ihren Lebensabend verbringen. Der in dem fiktiven Ort Tschernowo angesiedelte Roman basiert auf der Realität, denn tatsächlich leben dutzende meist ältere, ehemalige Einwohner inzwischen wieder dort.

Von allen nur Baba Dunja genannt, also Oma Dunja, ist die Ich-Erzählerin als Erste wieder nach Tschernowo zurückgekehrt, in ihre Heimat, der einzige Ort, an dem sie sich wohl fühlt. Früher war sie mal medizinische Hilfsschwester, ihr Mann ist gestorben, die beiden Kinder leben im westlichen Ausland. Der Enkel ist nach Kalifornien oder Florida gegangen, so genau weiß sie das nicht, ins Warme jedenfalls, sie hat keinen Kontakt mehr mit ihm. Ihre Tochter Irina arbeitet als Chirurgin in einem Bundeswehr-Krankenhaus, sie hat einen Deutschen geheiratet und hat eine Tochter mit ihm. Aber Laura spricht kein Wort Russisch und hat ihre Baba Dunja auch noch nie gesehen. Inzwischen ist sie fast erwachsen, ein Besuch von ihr im verstrahlten Tschernowo ist aber völlig undenkbar, – und ihre Oma steigt partout in kein Flugzeug! Ein einziges Mal bekam sie einen Brief von Laura, geschrieben mit lateinischen Buchstaben, nicht mit kyrillischen, und zudem in einer Sprache, die sie natürlich nicht kennt. Sie findet auch niemanden, der weiß, um welche Sprache es sich da überhaupt handelt, und übersetzen kann es erst recht keiner für sie. Und auch Baba Dunjas Tochter Irina kommt nicht nach Tschernowo, alle paar Jahre mal reist sie in die nächste Stadt außerhalb der Strahlenzone und trifft sich dort für einige Tage mit ihrer alten Mutter.

Sie sei kaum älter als 82 Jahre, hat die Ich-Erzählerin mal kokettierend erklärt, und fühle sich nur hier in Tschernowo wohl. Und sie habe keinerlei Probleme damit, das Wasser aus dem Brunnen zu trinken und ihr selbst angebautes Gemüse aus dem Garten zu essen. Als Journalisten und Biologen in Schutzanzügen erstmals die Todeszone besuchten, allerlei Messungen vorgenommen und biologische Anomalien festgestellt haben, hat sie sich über deren Ängstlichkeit köstlich amüsiert. Die wollten ja nicht mal den Tee trinken. den sie ihnen angeboten hat, – und essen schon gar nichts! Als alte und natürlich auch schon kränkelnde Frau hat sie keine Angst vor dem Tod. In ihrer Heimat zu leben sei nunmehr der einzige Wunsch, den sie noch hat ans Leben. Als unerschrockene, schlagfertige, lebenskluge Frau wird Baba Dunja von allen im Dorf bewundert, sie gilt de facto als die Bürgermeisterin des Ortes. Und zu Allem weiß sie Rat. Sie ist sogar im Ausland berühmt, man kennt sie von verschiedenen Fernseh-Reportagen über die todesmutige Heinkehrer-Clique in Tschernowo.

Zu der gehört vor allem Marja, die immer nur jammert und ihrem Mann nachtrauert, obwohl er sie doch auch geschlagen hat. Sie ist medikamenten-abhängig und hat Unmengen davon gesammelt. Petrov ist unheilbar krebskrank, er isst kaum noch und wird immer schwächer, hilft Baba Dunja aber, so gut es geht. Der alte Sidorow hat als einziger ein Telefon, dass angeblich funktioniert, was ihm aber niemand glaubt. Als es in einer schwierigen Situation am Ende des Romans aber doch gebraucht wird, erfüllt es ausnahmsweise auch mal seinen Zweck. Der im Präsens erzählte, stilistisch eher hölzern wirkende Roman beschreibt einen grotesken Kosmos, der ganz eigenen Regeln folgt und in dem der Tod allgegenwärtig ist. Die Autorin vermischt leichthändig die Realität mit surrealen Szenen, lässt Tote sprechen oder den verstorbenen Hahn der Nachbarin wieder auferstehen, der sie neugierig beäugt. Bei aller Zufriedenheit aber ist ihre Heldin zu der Erkenntnis gelangt, dass sie ihrer Tochter Irina nicht beigebracht hat, das Leben zu lieben, «Ich habe es selbst zu spät gelernt», erkennt sie selbstkritisch. Ein Wink an den Leser!

Fazit:   lesenswert

Meine Website: https://ortaia-forum.de


Genre: Roman
Illustrated by Kiepenheuer & Witsch Köln

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert