Abby (2) – Totgesagte leben länger

Ausbruch aus dem einengenden und für Frauen gefährlichen Zeitgeist

Seit mittlerweile 16 Jahren ist Abby mit James verheiratet. Ihre Tochter Alison ist zu einer eigenwilligen jungen Frau herangewachsen, die unbedingt Ärztin werden will. Sie ist fast schon besessen von Wissen und ihr bedeuten Bücher alles. Ihr Wissensdurst und ihre überdurchschnittliche Intelligenz würden es Alison ermöglichen, ihren Schulabschluss vorzuverlegen. Aber ihr Vater James ist nicht mehr wie früher. Seit dem Tod seiner Eltern, die er bei einem Erdbeben verlor, hat James eine erzkonservative Richtung eingeschlagen. Er pocht darauf, dass die Frauen in seinem Haushalt ihm gehorchen müssen. Abby hat sich widerwillig arrangiert, denn wenn sie ihn verlassen würde, bliebe ihr nichts und sie würde Alison ohne ihre Unterstützung dem diskriminierenden Frauenbild ihrer Zeit preisgeben.

Aber als Abby erfährt, dass Butch Cassidy entgegen aller Unkenrufe noch am Leben ist und Butch ihr ein Leben an seiner Seite anbietet, erwacht allmählich wieder ihr alter Kampfgeist. Heimlich legt sie Schmuck und andere wertvolle Dinge zurück, leitet den früheren Schulabschluss ihrer Tochter in die Wege und verlässt James, nachdem dieser sie geschlagen hat. Alison nimmt sie mit, damit sie nicht der Willkür ihres Vaters zum Opfer fällt. Aber James lässt diese Demütigung nicht auf sich sitzen und schickt ihnen Häscher hinterher. Wenn diese Abby und Alison finden, ist nicht nur die Freiheit der beiden Frauen in Gefahr, sondern auch das Leben von Butch Cassidy.

 

Egalität der Geschlechter

Der 3. Band der Reihe ist durch die Flucht und die daraus erwachsenden Abenteuer sehr spannend, er bietet auch zwei starke Frauenfiguren, die sich trotz aller Widrigkeiten behaupten und das Leben lieben. Wie es Abby schon in den ersten beiden Bänden gemacht hat, bieten sowohl sie als auch ihre Tochter Alison einem schockierend demütigenden, diskriminierenden Frauenbild die Stirn und leben ihr eigenes, wesentlich erfüllteres Leben. Dabei stellen sie fest, dass jede Frau eine andere Vorstellung von einem erfüllten Leben hat: Abby möchte ihres an der Seite eines Mannes verbringen, der sie nicht einengt, dafür aber in allem, was sie tut, unterstützt. Diesen Mann findet sie schließlich in Butch Cassidy, der ebenfalls andere – wesentlich humanere – Vorstellungen von Frau- und Mannsein hat, als der Zeitgeist es vorschreibt. Alison dagegen sieht ihre Erfüllung in ihrem Beruf und will sich privat nicht binden müssen. Sie zieht Wissen und den Dienst an Frauen in Form ihres Berufes einer Beziehung vor, lebt aber trotzdem nicht abstinent. Aber beide müssen für ihre Freiheit Opfer bringen: Abby und Alison verlieren einander. Und das sollte eigentlich nicht sein, dass ein erfülltes Leben zu (großen) Opfern zwingt – in einer egalitären Gesellschaft wären solche Opfer nicht nötig.

 

Alison ist auch entsetzt darüber, wie viele Frauen unter männlicher medizinischer Behandlung sterben und dass Frauenbelange nicht berücksichtigt werden. Das erinnert an heutige Erkenntnisse, dass die Medizin auf Männerkörper abgestimmt ist und deshalb Frauen schlechter medizinisch behandelt werden und wegen dieser falschen Behandlungen eher sterben.

 

James, früher ein offener, junger Mann, ist zu einem Patriarch erster Güte mutiert: Er will Herrschaft ausüben, koste es, was es wolle. Und wenn es das Wohl der Frauen seiner Familie kostet, hauptsache, er hat recht (Recht ist nicht Gerechtigkeit!) und kann seine Herrschaft weiter ausüben. Demgegenüber steht Butch Cassidy, eine ambivalente Figur: Seine Straftaten sprechen definitiv nicht für ihn, dafür umso mehr seine Ansichten über Frauen – die respektiert und unterstützt er und lässt ihnen alle Freiheiten. Er beutet sie weder sexuell, noch sozial, noch wirtschaftlich, noch politisch aus. Das alles zwar auch nicht von Anfang an, aber er ist willig zu lernen, auf Frauen einzugehen. Dieser Wille fehlt James irgendwann völlig, weswegen er den wohlverdienten Widerstand von Abby und Alison erntet – permanent und deutlich spürbar. Der Roman zeigt also auch, wie wichtig es für Frauen ist, sich gegen Ungerechtigkeiten zu wehren und sich lautstark Gehör zu verschaffen – nur dann ändert sich etwas, denn Männer, die Privilegien auf Kosten von Frauen genießen, wollen diese keinesfalls aufgeben. Lieber schaden sie missliebigen Frauen oder – noch besser – bringen sie um, wie die Geschichte der Emanzipation der Frauen immer wieder zeigt.

 

Diversität – DAS Überlebensprinzip der Natur

Der Roman punktet aber noch mit einem weiteren Thema: das der Diversität. Alison ist nämlich eine Autistin, genauer gesagt eine Asperger Autistin. Das hat zwar so seine Nachteile, aber auch einige Vorteile, die im Roman auch zum Vorschein kommen, da Alison ihr Expertenwissen stetig erweitert und für eine gute Sache einsetzt, sowie für ihre Themen brennt und sich auch durchsetzt. Das wird im Roman nie ausdrücklich so benannt, aber wer die Anzeichen von Autismus kennt, erkennt sie auch an Alison. Abby erkennt die Andersartigkeit ihrer Tochter an, James nicht. Ein Schelm, wer da Ähnlichkeiten zwischen Frauenbewegungen und LGBTQ+- Bewegungen einerseits erkennt und andererseits James an alles erinnert, was frauenfeindlich, homophob usw. ist… Alison ist übrigens auch bisexuell.

 

Beide Frauen, Abby wie Alison, stehen für Fortschritt und Menschlichkeit. Denn der Status Quo bringt in einer patriarchalen Gesellschaft v.a. Leid, während der Fortschritt in Menschlichkeit und der Anerkennung der Diversität Türen zu einem besseren Leben öffnet. Sieht man sich die Natur mit ihrer unglaublichen Artenvielfalt und ihren unglaublich vielen Überlebensstrategien an, der weiß, dass Monokulturen auf Dauer niemals funktionieren können, aber in der Zeit, in der sie funktionieren, Schaden anrichten. Was Frauenfeinden, Homophoben, Klimaleugnern usw. zwar egal ist, aber Mutter Natur ist unbestechlich: Auch sie werden Katastrophen erleben, Schaden nehmen und evtl. sogar daran sterben.

 

Fazit

Ich mache es kurz und schmerzlos: Dieser Western aus Frauensicht ist in mehrerlei Hinsicht lesenswert!


Genre: Emanzipation, Western
Illustrated by Bogner

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