Denken mit Oscar Wilde

Denken mit Oscar Wilde

Von Dublin über Oxford nach London. Dort wurde ihm eine Affäre zum Verhängnis und er musste ins Zuchthaus. Dem Alkohol verfallen lebte er danach in Italien und Frankreich und starb mit nur 46 Jahren in Paris. Es gab wohl nichts, was Oscar Wilde nicht in einem Bonmot auszudrücken wusste. Wolfgang Kraus hat davon die besten, verblüffendsten Aphorismen ausgewählt und stellt sie in einem handlichen Brevier für den Dandy, für den Wilde-Liebhaber, für jeden, der extravagant denkt oder sein möchte, vor.

Paradoxien und Sch(m)ockmomente

“Er schockierte und entzückte seine Zeitgenossen durch Paradoxien, die oft nichts anderes waren als verfrühte Wahrheiten der Zukunft und für uns heute weitaus näher und ernster als für die Gesellschaft, die sie belachte”, schreibt Kraus über Wilde im Vorwort zu vorliegender Taschenbuch deluxe Ausgabe des diogenes Verlages. Aber wie wusste schon Oscar Wilde selbst? “Ich habe mein ganzes Genie in mein Leben getan; in mein Werk nur mein Talent”. Aber beizeiten überkommt den “Dandy im Spiegelbild” auch Reue. Das Steuer seiner Seele habe er verloren, als das Vergnügen die Herrschaft über ihn gewann, wurde er sein Knecht, “Ich endete in Schande. Jetzt bleibt mir nur eines: völlige Demut”. Über die Aufgabe eines Jeden in dieser Welt ist sich Oscar Wilde aber sicher: “Jeder von uns hat nur eine Aufgabe zu lösen: sich selbst voll zum Ausdruck zu bringen.” Allerdings hätten heutzutage die meisten Angst vor sich selbst, dabei wäre “sich selbst zu lieben der Anfang einer lebenslangen Leidenschaft”. “Jedermann wird als König geboren. Und die meisten sterben im Exil – wie so viele Könige.”

Erfahrungen sind oft Irrtümer

Kaum jemand hat es wohl so gut verstanden Leben und Werk in Einklang zu bringen. Wer Oscar Wilde liest, hat das Gefühl, dem wohl einzigen authentischen Menschen gegenüberzusitzen, obwohl gerade ein Dandy alles dafür gibt, dass der Schein das Sein bei weitem übertrifft. “Die Natur hat gute Absichten, aber sie nicht ausführen. Die Kunst ist unser ritterlicher Versuch, der Natur den richtigen Platz anzuweisen.” Die Grundlage und die Energie des Lebens sei schließich das “Ringen nach Ausdruck”. Das Leben will nichts anderes als seine eigene Vielfältigkeit verwirklicht zu wissen. In allen Formen und Phasen. Weitere Gedanken und Aphorismen von Oscar Wilde finden Sie in dieser Auswahl auch zu folgenden Themen: Liebe, Schöpfung, Tragikomödie, Gleichnis, Magie der Schönheit, männliches Brevier. “Einen ethischen Wert besitzt die Erfahrung nicht, sie ist nur der Name, den wir unseren Irrtümern geben. Sie beweist, dass die Zukunft gleich der Vergangenheit ist.”

Denken mit Oscar Wilde
Extravagante Gedanken über die Magie der Schönheit und die allmächtige Kunst, Kritik als Schöpfung, das dekorative Geschlecht und die menschliche Tragikomödie
Herausgegeben und mit einem Vorwort von Wolfgang Kraus. Aus dem Englischen von Candida Kraus
2021, Taschenbuch deluxe, Hardcover, 144 Seiten
ISBN: 978-3-257-26159-2
diogenes Verlag
€ 12.00


Genre: Aphorismen
Illustrated by Diogenes

Das Bildnis des Dorian Gray

Oscar Wilde – Das Bildnis des Dorian Gray

Die höchste wie die niedrigste Form von Kritik ist eine Art Autobiographie“, schreibt Oscar Wilde in seinem ersten und einzigen Roman “Das Bildnis des Dorian Gray” (1890). Das Buch, das auch vor Gericht gegen ihn verwendet wurde, hat schon viele Generationen von Dandys und Schöngeistern, besonders aber Liebhaber von Bonmots und Aphorismen, begeistert.

Ausschweifungen und Dekadenz

Dorian Gray ist ein junger Lebemann, der von einem gewissen Basil Hallward porträtiert wird. Das Bild soll eines seiner besten sein, aber dennoch schenkt er es dem Porträtierten. Dieser verbindet mit der Übergabe des Porträts ein Gebet zum Himmel, das sogleich Wirklichkeit wird: Statt Dorian altert von nun an sein Porträt, er selbst bleibt unverändert jung und schön. So kann sich der Bonvivant hemmungslos seinen Vergnügungen und Ausschweifungen hingeben, ohne Rücksicht auf Verluste. Hallward ist es auch, der Dorian Lord Henry Wotton vorstellt. Dieser rät ihm: “Ach! Nutzen Sie Ihre Jugend, solange Sie sie haben. Vergeuden Sie nicht das Gold Ihrer Tage, indem Sie langweiligem Geschwätz lauschen, den hoffnungsvollen Versager zu bessern trachten oder Ihr Leben an das Beschränkte, das Gewöhnliche und das Gemein wegwerfen.(…)Leben Sie! Leben Sie das wunderbare Leben, das in Ihnen ist. Lassen Sie sich nichts entgehen.” Diesen uneingeschränkten Hedonismus nimmt sich Dorian gerade dann zu Herzen, als er seinen beiden Freunden seine Angebetete, eine Schauspielerin, vorstellt. Diese gibt gerade Romeo & Julia am Theater und spielt nur leider grottenschlecht. Seine Freunde trösten ihn mit ihrer Schönheit, jedoch das Band zwischen ihr und ihm ist zerbrochen. Durch einige unglückliche Wendungen kommt es dann zu gleich drei (!) Todesfällen in dieser Geschichte, an denen Dorian nicht ganz unschuldig ist.

Spiegel seiner Zeit

Oscar Wilde hält mit Dorian Gray seiner Zeit einen Spiegel vor. Der “Prince Charming” (Märchenprinz) als der der Dorian gegenüber dem jungen Fräulein Sibyl Vane auftritt, entpuppt sich als grausame Maske, denn seine wahres Gesicht kennt nur das Gemälde, das sich bei jeder Verwerfung Dorians verzehrt und verzerrt. Ihr Tod wird zu einer ästhetischen Übung, in der sie gleich der Julia in das Reich der Kunst zurückkehrt, etwas von einer Märtyrerin umgebe sie. Der gefühllose Ästhet sieht in ihrem Tod nur eine “schönste Tragödie”, er entbindet sich jedweder Gefühlsregung indem er seine eigene Schuld an ihrem Tod ausklammert und ignoriert. “Devant une facade rose,/sur le marbre d’un escalier” zitiert er Theophile Gautier, als er seinen besten Freund, Basil Hallward, beseitigt hat und denkt dabei an Venedig. Eine dritte Person muss noch sterben, bis Dorian sich endgültig in eine der Opiumhöhlen Londons zurückzieht, um endlich das Vergessen zu finden, das er sein Leben lang suchte. “Du bist die Verkörperung dessen, was unsere Zeit sucht und was sie gefunden zu haben fürchtet“, ruft ihm Harry, sein letzter Freund zu und es stimmt. Denn seine Zeit hatte ein Monster erschaffen, das keiner besser inkarnierte als Mr. Dorian Gray. Ein rücksichtsloser Hedonist, der in der Anbetung der Jugend und Schönheit jede moralische Integrität verloren hat. “Die Jugend hatte ihn verdorben.”

Man könnte in dem Bildnis des Dorian Gray auch die Vorwegnahme des Idol-Kultes der heutigen Jugend sehen. Die Bilder und Fotos der Rockstars und die idealistische Anbetung dieser Ikonen der Moderne ähnelt sehr dem Personenkult um Dorian Gray, der als Symbol seiner Zeit sowohl den aufstrebenden Kapitalisten als auch den Rockstar vorwegnahm. Keiner verkörpert den Selfmademan der Moderne wohl besser als ein Rockstar, der nicht nur das Idealbild der Jugend verkörpert, sondern auch liebend gerne einen gleichsam religiösen Kult um seine eigene Person entfesselt. Im Anhang befindet sich ein Nachwort und eine kompakte Biographie des Autors.

 

Oscar Wilde
Das Bildnis des Dorian Gray
Übers. von Ingrid Rein
Nachw. von Ulrich Horstmann
2022, Paperback, 316 S.
ISBN: 978-3-15-020669-0
Reclam Verlag
10,00 €


Genre: Gesellschaftsroman, Roman
Illustrated by Reclam Verlag

Das Bildnis des Dorian Gray

wilde-1Von Bonmot zu Bonmot

Nur 46 Jahre alt wurde Oscar Wilde, in seiner kurzen Schaffenszeit hat der irische Schriftsteller neben vielem Anderen einen einzigen Roman geschrieben, der ihn aber weltberühmt gemacht hat, «Das Bildnis des Dorian Gray», nach einer kritisch aufgenommenen Erstversion in einem Magazin 1891 in überarbeiteter Form als Roman mit Vorwort erschienen. Tragisch bleibt dabei, dass nicht zuletzt dieses Vorwort in einem Prozess wegen Homosexualität zu seiner Verurteilung beitrug. Als er das Zuchthaus nach zwei Jahren verließ, war er gesundheitlich schwer gezeichnet, er starb drei Jahre später in Paris, wohin er sich wegen seiner gesellschaftlichen Ächtung geflüchtet hatte. Sein Roman wird heute in den Kanon von Klassikern der Weltliteratur eingeordnet, man muss ihn einfach gelesen haben, nicht nur weil er erstklassig ist, auch der spektakulären Thematik wegen.

Dorian Gray, Titelfigur des Romans, wird als außergewöhnlich gut aussehender junger Mann von einem ihn grenzenlos bewundernden Maler portraitiert; selbstverliebt wünscht er sich angesichts des Gemäldes, immer so schön zu bleiben wie auf dem Bild. Als der unermesslich reiche Lebemann eine blutjunge Schauspielerin kennenlernt, verlobt er sich spontan mit ihr, ebenso angetan von ihrer makellosen Schönheit wie von ihrer begeisternden Bühnenkunst. Die Liebe des Mädchens zu ihm, die nun erstmals echt ist, nicht gespielt, wirkt sich verheerend aus, ihr Bühnenauftritt wird zum Desaster, so dilettantisch spielt sie plötzlich. Als Dorian enttäuscht die Verlobung löst, bringt sie sich um. Entsetzt merkt er nun, dass sich die Züge auf dem Gesicht seines Bildnisses verhärtet haben, er versteckt das Bild deshalb, niemand darf es mehr sehen. Sir Henry, sein mephistophelischer Freund, gibt ihm ein Buch zu lesen, das den Hedonismus verherrlicht und Moral negiert, Dorian ist wie besessen davon. Der zweiteilig aufgebaute Roman erzählt nun im elften von insgesamt zwanzig Kapiteln im Zeitraffer, wie er sich im Verlauf fast zweier Jahrzehnte allerlei dekadenten Vergnügungen hingegeben hat, das Sammeln kostbarster Gegenstände, eine ausufernde Lust am Genuss, er treibt sich in Opiumhöhlen herum und in Bordellen, ein äußerst lasterhaftes Leben also, welches der Autor nur dezent andeutet, nicht näher ausführt. Dorians Aussehen verändert sich nicht in diesen Jahren, nur sein Abbild auf dem Portrait altert und zeigt unerbittlich alle Spuren seines Lebenswandels. Als der Maler des Bildes ihm ernsthaft ins Gewissen redet, ersticht er ihn im Affekt und sorgt dafür, dass die Leiche spurlos verschwindet. Am Ende des Romans entsagt er der Liebe zu einem Mädchen vom Lande, die er nur ins Verderben stürzen würde, zum ersten Mal tut er also wieder Gutes nach langer Zeit, Sir Henry verspottet ihn deswegen. Dorian will sich ändern, will die schlechte Seele töten, die sein Bildnis ja verkörpert, er sticht mit dem Messer auf die Leinwand ein. Ein Schrei ertönt, sein Diener findet ihn erstochen vor dem unversehrten Gemälde, auf dem er jung und schön aussieht wie ehedem.

Narzissmus, Hedonismus, Ästhetizismus, Dekadenz, Moral, aber natürlich auch Motive aus dem Faust sind Thema in diesem Roman des Fin de Siècle, der konventionell erzählt von seinen köstlichen Dialogen lebt, in denen es von Aperçus nur so wimmelt, wie man sie aus den Bühnenstücken des Autors kennt, – nachdenklich machend, oft aber muss man auch schmunzeln. Das Lesen gerät zu einem Parforceritt von Bonmot zu Bonmot durch eine zynische Gedankenwelt, die der Existenz der Seele gewidmet ist als selbstständiger Instanz.

Es gibt viele Adaptionen des Stoffes, er wurde mehrfach bis in die jüngste Zeit hinein verfilmt. Das Altern nicht akzeptieren zu können als psychisches Krankheitsbild wird heute als Dorian-Gray-Syndrom bezeichnet. Letztendlich steckt nichts Anderes als die Angst vor dem Sterben hinter dieser Phobie, die als Jugendwahn ja fröhliche Urständ feiert. Insoweit ist dieser großartige Roman also zeitlos aktuell.

Fazit: erstklassig

Meine Website: http://ortaia.de


Genre: Roman
Illustrated by Diogenes Zürich