Kleiner Mann – was nun?

Hans Fallada: Kleiner Mann – was nun?

Kleiner Mann – was nun? Am Vorabend der Machtergreifung der Nazis in Deutschland geschrieben zeigt der hier erstmals in der ungekürzten Originalfassung veröffentlichte Roman die Sorgen des kleinen Mannes. Und seiner Frau. Exemplarisch dargestellt an dem Mandel Modehaus Verkäufer Johannes Pinneberg und – der liebevoll vom ihm mit “Lämmchen” liebkosten – Emma, einer klassischen Proletariertochter.

Die Roaring 20ies

Zu viel zum Sterben, zu wenig zum Leben. Mit diesen Worten könnte man die Situation des frisch gebackenen Ehepaares Pinneberg umschreiben. Denn der Angestellte Johannes hat zwar eine Arbeit und Emma auch, aber als sie schwanger wird und der kleine Murkel erwartet wird, müssen sie den Gürtel immer enger schnallen. Die Wirtschaftskrise von 1929 hat auch sie im Würgegriff, alles ist teuer und die Löhne niedrig. Liebevoll und detailreich beschreibt Hans Fallada das Schicksal des Angestellten und der Arbeitertochter, die wenigsten ihren Klassenstolz noch nicht vergessen hat. Denn sie wählt ganz klar KPD, während ihr Mann eher zur Zentrumspartei oder den Sozialdemokraten neigt. Aber in Johannes’ Umfeld tummeln sich auch schon die Nazis, aber auch Vertreter verschiedenster Subkulturen der „Roaring Twenties“.

Berliner Bums und Pumm

So ist ein Kollege von ihm ein bekennender Freie Körper Kultur Verfechter, der Aktfotos sammelt. Der Vermieter des Ehepaares wiederum ist ein Trinker, der sie in einer illegalen Wohnung hinter einem Kinosaal unterbringt. Nur eine Leiter führt in die kleine Einzimmerwohnung, aber immerhin ist der Preis okay. Als der Lebensgefährte von Johannes’ Mutter, Jachmann, dort unterschlüpft, wird ihnen klar, wie geschützt sie in ihrer Dachkammer vor dem Zugriff der Welt sind. Jachmann ist es auch, der sie in das Berliner Nachtleben der Zwanziger einführt, ein Kapitel, das in der ersten Auflage einfach gestrichen wurde, ebenso wie Episoden zu Charlie Chaplin, Robinson Crusoe, Goethe, Wilhelm Busch und dem Prinzen von Wales. Der Erfolg des Buches damals gab den Streichungen zwar recht, aber dennoch ist es viel erquicklicher, endlich die unzensierte Version von Falladas Roman in Händen zu halten. Denn die Streichungen waren vielmehr “Tilgungen, die an die Substanz des Romans” gingen, schreibt auch der Gießener Literaturprofessor Carsten Gansel im Nachwort.

Neusachliche Ästhetik

Neue Sachlichkeit wird diese Kategorie der deutschen Literatur genannt, die als Epochenbegriff solche Schlagworte wie Antiexpressionismus, Präzision, Beobachtung, dokumentarisches Schreiben, Nüchternheit, Berichtform, Tatsachenpoetik und Entsentimentalisierung in sich vereint. Hans Falladas Ansatz ziele dabei auf eine “mimetische Illusion” im Rahmen der neusachlichen Ästhetik, so Gansel. Begeisterte Kritiken rief freilich auch die gekürzte Version des Kleinen Mannes hervor. So schrieb etwa der österreichische Autor und Herausgeber Paul Elbogen in einem Brief an Fallada: “Oh Fallada, der du hängest! Ich verdanke Ihnen eine halbe schlaflose Nacht! Ich habe Ihr neues Buch (als Ihr erstes) gelesen und eine Viertelstunde (alles in Allem) geweint wie seit Jahren nicht! Vielleicht seit dem Winnetou oder den “Glücklichen Menschen” von Kisten (das als einziges Buch sich mit ihrem in vielen Punkten vergleichen lässt.)

Fazit: Jedem sein Lämmchen

Auch über die positive Figur des Lämmchens waren sich viele Kritiker:innen und Leser:innen einig. Glücklich ein Mann, der so eine Frau hat: “Von diesem Lämmchen sollt ihr lernen, wie man dieses armselige Leben anpackt und es gestaltet und Ja zu ihm sagt. Wie man sich nicht kleinkriegen lässt, wie man auch im Schlimmsten noch das Gute sieht, das darin oder dahinter verborgen ist.” Ja, mit so einem Lämmchen ließe sich selbst die Wirtschaftskrise oder die Diktatur überleben. Letzteres gelang Hans Fallada, allerdings mit einer neuen Frau, die wie er seit Ende des Kriege wieder morphium- und alkoholsüchtig war. Fallada wurde deswegen im Dezember 1946 in die Nervenklinik der Berliner Charité eingewiesen. Dort schrieb er innerhalb (nur) eines Monats in miserablem körperlichen Zustand den Roman “Jeder stirbt für sich allein“. Fallada starb schließlich im Hilfskrankenhaus Niederschönhausen in einem umgestalteten Schulklassenzimmer am 5. Februar 1947 im Alter von nur 53 Jahren an den Folgen seines Morphinkonsums.

Hans Fallada
Kleiner Mann – was nun?
Roman. Erstmals in der Originalfassung
Mit einem Nachwort von
2017, Taschenbuch, 557 Seiten
ISBN: 978-3-7466-3344-2
Aufbau Verlag
12,99 €


Genre: Romane
Illustrated by Aufbau Taschenbuch Berlin

Kleiner Mann, was nun?

Beklemmend aktuell

Mit dem Roman «Kleiner Mann, was nun?» gelang Hans Fallada 1932 literarisch der Durchbruch, der Bestseller wurde schon ein Jahr später verfilmt, sein Titel wurde zum geflügelten Wort. Eine ungekürzte Neuauflage mit einem informativen Nachwort ist 2016 erschienen. Wie sich zeigte, war die bisher verbreitete Buchfassung um fast ein Viertel gegenüber dem überraschend aufgetauchten Manuskript gekürzt, vor allem um politisch und moralisch ehedem bedenkliche Textpassagen. Als großartiger Zeitroman zeugt diese im Stil der Neuen Sachlichkeit erzählte Geschichte von der Fähigkeit seines Autors, Lebenswirklichkeit literarisch stimmig zu erfassen.

Der kleine Mann des Romans heißt Johannes Pinneberg, er arbeitet als Buchhalter und verliert durch eine Intrige seine Stellung. Als seine Freundin «Lämmchen» schwanger wird, heiratet er sie kurz entschlossen, das verliebte Paar freut sich trotz seiner bitteren finanziellen Nöte auf den «Murkel», wie sie das Ungeborene nennen. Pinnebergs Mutter, mit der er schon vor Jahren gebrochen hat, lädt die Beiden ein, zu ihr nach Berlin zu kommen, sie könnten bei ihr wohnen, und für eine Stellung würde sie auch sorgen. Wie von ihm befürchtet, geraten sie bei ihr jedoch in ein zweifelhaftes Etablissement. Jachmann allerdings, der zwielichtige Freund der Mutter, besorgt Pinneberg tatsächlich eine Stellung als Verkäufer in einem großen jüdischen Kaufhaus. Auch in diesem Job wird er aber nach einem Jahr fristlos gekündigt, das Paar mit dem inzwischen geborenen Sohn wohnt schließlich illegal in der Gartenlaube eines Freundes. Lämmchen verdient mit Näharbeiten ein wenig Geld, Pinneberg bekommt eine spärliche Arbeitslosen-Unterstützung. Am Ende des Romans muss er erleben, dass ihn ein Polizist vom Bürgersteig vor den eleganten Geschäften wegjagt, weil er dort als «Gesindel» nur stört. Er verliert dadurch schlagartig jede Selbstachtung. Als er völlig verzweifelt in die Laubenkolonie zurückkehrt, richtet ihn Lämmchen wieder auf. «Du bist doch bei mir, wir sind doch beisammen». Der versöhnliche letzte Satz lautet: «Und dann gehen sie in das Haus, in dem der Murkel schläft.»

In einem Brief hat Hans Fallada seinen Romanhelden als «Garnichts» bezeichnet, als einer von sechs Millionen dahin vegetierenden Arbeitslosen, von dem er erzähle, «was er fühlt, denkt und erlebt». Das sozialkritische Werk hatte während der Weltwirtschaftskrise den Nerv der Zeit getroffen, auch die Machtergreifung der Nazis warf bereits ihre Schatten voraus. Das Figuren-Ensemble enthält die verschiedenartigsten Typen: die Mutter als Lebedame, ihr Freund Jachmann als sympathischer, hilfsbereiter Krimineller, den netten, großzügigen Arbeitskollegen und FKK-Anhänger, die freundlichen Schwestern im Entbindungsheim, die fiesen Vorgesetzten, die desinteressierten Beamten. Von den beiden Protagonisten erweist sich Lämmchen als die Stärkere, ihr Lebenswille bleibt ungebrochen. Sie schöpft trotz der vielen Schicksalsschläge auch im ständigen sozialen Abstieg immer wieder neuen Mut und vermag ihrem verzagten «Jungen» ebenfalls Zuversicht einzuhauchen.

Hans Falladas Geschichte ist voller harter Lebenswahrheiten, die auch für sozial Abgehängte unserer Zeit, die heutigen »Garnichtse», unverändert gelten. Seine beklemmend aktuelle Kapitalismus-Kritik verdeutlicht er eindrucksvoll am Umgang der Unternehmer und Führungskräfte mit ihren Mitarbeitern. Die sind ihrer Willkür und ihren Launen hilflos ausgeliefert angesichts einer jederzeit verfügbaren «Reservearmee» Arbeitsloser. Pinneberg träumt wegen des ewigen Kampfes ums Geld und des Ringens mit einer abstrusen Bürokratie, angeregt durch Robinson Crusoe, von einem Rückzug in die innere Emigration. Das Ehepaar findet sein stilles Glück daheim bei ihrem Murkel, immer ehrlich bleiben ist ihre Maxime, allen Anfeindungen zum Trotz. Der in einer leicht lesbaren Sprache geschriebene, in vier Teile gegliederte und chronologisch erzählte Roman ist in seiner Thematik beklemmend aktuell geblieben.

Fazit: erfreulich

Meine Website: http://ortaia.de


Genre: Roman
Illustrated by Aufbau Berlin

Jeder stirbt für sich allein

Mehr Helligkeit hätte Lüge bedeutet

Nomen est omen beim Pseudonym Hans Fallada, der abgeschlagene Pferdekopf des Grimmschen Märchens ist Wahrheitskünder ebenso wie der Schriftsteller Rudolf Ditzen selbst, dessen letzter Roman «Jeder stirbt für sich allein», nach einem grandiosen Comeback im Ausland, 2011 auch in Deutschland wiederentdeckt wurde. Mit seinen realistisch-nüchternen Werken gilt Fallada als typischer Vertreter der Neuen Sachlichkeit, die im vorliegenden Roman den Widerstand gegen das NS-Regime nicht auf der Ebene der Eliten, sondern aus der Masse der kleinen Leute heraus behandelt. Die neue, ungekürzte Originalfassung des 700-Seiten-Romans, den der Autor kurz vor seinem Tode in nur vier Wochen niederschrieb, erscheint nun derber, widerborstiger, und damit auch authentischer als die zensierte Erstausgabe von 1947. Seine anfängliche Ablehnung diesem Romanprojekt gegenüber hat Hans Fallada in einem Brief so begründet: «Einmal wegen der völligen Trostlosigkeit des Stoffes: zwei ältere Leute, ein von vornherein aussichtsloser Kampf, Verbitterung, Hass, Gemeinheit, kein Hochschwung». Er hat dann diese und andere Schwierigkeiten aber doch überwunden, es sei ihm «seit ‹Wolf unter Wölfen› wieder der erste richtige Fallada» gelungen, verkündete er frohlockend.

Der Stoff basiert «in großen Zügen» auf der authentischen Geschichte eines Berliner Arbeiter-Ehepaares, das in den Jahren 1940 bis 1942 seine Abscheu gegen das Naziregime durch handgeschriebene Postkarten äußert, die heimlich in belebten Geschäftshäusern der Stadt ausgelegt werden. Nach zweijährigen vergeblichen Ermittlungen kann die Gestapo sie nach einer Denunziation verhaften, beide werden im Zuchthaus Plötzensee hingerichtet. In vier Teilen mit insgesamt 73 Kapiteln entwickelt Hans Fallada daraus seinen Roman eines ohnmächtigen Kampfes gegen das Dritte Reich, beginnend mit den beiden Tätern, deren grenzenlose Wut ausgelöst wird, als sie die Feldpost mit der Todesnachricht von ihrem an der Ostfront kämpfenden Sohn erreicht. Nach und nach führt der Autor immer weitere Figuren in seine Geschichte ein, von der Briefträgerin mit ihrem arbeitsscheuen Mann und der Freundin des toten Sohnes bis zu den Mitbewohnern des Hauses, dem ständig vor der Haustür herumlungernden Denunzianten und Kleinganoven, dem versoffenen Nazi mit den drei gewalttätigen Söhnen, der alten Jüdin im obersten Stockwerk, dem pensionierten Richter. Ein durchaus sympathisch beschriebener Gestapo-Kommissar steht mangels Fahndungserfolg seinerseits unter schlimmen Repressalien durch seine wutschnaubenden Vorgesetzten, aber auch nach einer schmählichen Strafversetzung findet sein Nachfolger die Kartenschreiber nicht, – bis «Kommissar Zufall» hilft.

«Das beste Buch, das je über den deutschen Widerstand geschrieben wurde» schwärmte Primo Levi. Dieser bildstarke Zeitroman, in dem auch die Metropole Berlin eine nicht unwesentliche Rolle spielt, ist allerdings keine große Literatur, sein kitschiges Finale ist geradezu peinlich. Aber er schildert sehr anschaulich die Befindlichkeiten und Ängste seiner manchmal etwas schablonenhaften Figuren, beschreibt deren Leben unter den ständigen Pressionen einer verbrecherischen Diktatur. Zwischen verschiedenen Handlungssträngen wechselnd wird der Spannungsbogen gekonnt aufrechterhalten, auch wenn der Ausgang ja von vornherein bekannt ist.

Mit seiner Schilderung der existentiellen Nöte des weitaus größten Teils der deutschen Bevölkerung im Tausendjährigen Reich, die zumeist nur Resignation und stille Duldung ausgelöst haben, bestenfalls passiven Widerstand, hat Hans Fallada einen wichtigen Beitrag zur Kahlschlag-Literatur nach dem Zweiten Weltkrieg geleistet. In seinem Vorwort schreibt er entschuldigend: «Etwa ein gutes Drittel dieses Buches spielt in Gefängnissen und Irrenhäusern, und auch in ihnen war das Sterben sehr im Schwange. Es hat dem Verfasser oft nicht gefallen, ein so düsteres Gemälde zu entwerfen, aber mehr Helligkeit hätte Lüge bedeutet».

Fazit: lesenswert

Meine Website: http://ortaia.de


Genre: Roman
Illustrated by Rowohlt