Poststrukturalistisches Chaos
Der vielseitig tätige Schriftsteller Bernhard Falkner hat 2016 mit «Apollokalypse» sein Prosadebüt vorgelegt, ein Epochenroman aus dem Berlin der achtziger und neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts, der es auf Anhieb auf die Longlist des Deutschen Buchpreises 2016 geschafft hat. Der Neologismus seines Titels spiegelt das Schöne und Verführerische in der totalen Zerstörung. Gott seines Romans ist ein zwielichtiger, dionysischer Held, dem nach allmählichem Zerbrechen sämtlicher Illusionen schließlich der Leibhaftige gegenübertritt. Mehr als zehn Jahre, so wird kolportiert, hat der österreichische Lyriker sich Zeit gelassen für seinen Roman-Erstling, dessen beeindruckende Bildermacht und Intertextualität vom Feuilleton zum Teil bejubelt wurde, während Andere jedwede erzählerische Kontinuität vermissen und am Falknerschen «Wortgeschwurbel» zu ersticken drohen. «Meine Vermieterin sagt, dies hier wäre ein schlechter Roman», lässt der Autor mit geheuchelter Selbstkritik seinen Doppelgänger sagen, und er liefert wortreich auch gleich die Gründe dafür mit.
«Wenn man verliebt ist und gut gefickt hat, verdoppelt die Welt ihre Anstrengung, in Erscheinung zu treten» lautet symptomatisch der erste Satz des Romans. Georg Autenrieth, eine undurchsichtige Gestalt aus Westdeutschland, ist dem Sog der Metropole erlegen und durchstreift auf der Suche nach Genuss die einschlägige Szene Berlins in der Wendezeit. Sex, Drugs and Rock ’n’ Roll stehen im Mittelpunkt einer extensiv ausgelebten Lebensgier, die sich völlig unpolitisch gibt, selbst der Mauerfall wird nicht thematisiert. Gleichwohl unterhält der junge Mann scheinbar Kontakte zur RAF und zu den Geheimdiensten beider Deutschlands, – scheinbar, denn wie alles bleibt auch das vage in diesem Roman, der sich immer wieder in Andeutungen verliert. Die Wendepunkte dabei setzten Frauen: «Das Buch Isabel» widmet sich der Geschichte seines manisch-depressiven Freundes Büttner, eines exaltierten Künstlers, dem er die Freundin ausspannt, indem er sie zu einer Reise in die USA einlädt, deren Höhepunkt eine feuchtfröhliche Nacht bei Musik vom Plattenspieler im Amargosa Opera House von Death Valley Junction bildet. Büttner landet in der Psychiatrie und wirft sich später vor den Zug, was bei Autenrieth zu einer Identitätskrise führt, in deren Verlauf er untertaucht, sich als «Glasmann» unsichtbar zu machen sucht. Die zweite Zäsur unter dem Titel «Das Buch Billy» ist dann die leidenschaftliche Affäre mit Bilijana, einer undurchsichtigen Bulgarin, die mit einem deutschen Militärattaché liiert ist. Alle diese zwiespältigen Figuren bewegen sich voller Obsessionen in einem geradezu mythologischen Berlin, welches sie voller burlesk überzeichneter Ausschweifungen rauschhaft erleben, das sie dann aber immer wieder ernüchtert auf sich selbst zurückwirft.
Eine den Leser faszinierende Geschichte auszubreiten ist Gerhard Falkners Sache nicht, das Atmosphärische bildmächtig und sprachverliebt in allen seinen Facetten auszubreiten ist schon eher sein Metier, der Lyriker in ihm ist partout nicht zu verleugnen. Dabei stört das vulgär Sexuelle seines narzisstischen Helden mit den multiplen Identitäten, der zuweilen neckisch mit sich selber spricht und als Figur vom Autor selbst kaum noch unterscheidbar ist. Als Poststrukturalist bildet Falkner mit seiner Sprachmacht Realität nicht nur ab, er erschafft sie vielmehr selbst durch seine radikale Abkehr von einer objektivistischen Sicht sozialer oder moralischer Kriterien.
Sein Anspielungsreichtum wirkt dabei selbstverliebt überzogen, die Literaturgeschichte wird schon fast parodistisch einbezogen in den schwer lesbaren, diskontinuierlichen Erzählfluss, der heftig zwischen Schein und Sein mäandert. So bleibt dem Leser als Lektürebonus die grandiose Beschreibungskunst des Autors, der mit scharfem Blick hinter die Fassaden Berlins schaut, sein narratives Chaos aber nicht auflöst, der alles in der Schwebe hält bis zum Schluss.
Fazit: mäßig
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