Unschärfen der Liebe

Thema verfehlt

Mit ihrem neuen Roman «Unschärfen der Liebe» hat Angelika Overath ihre Geschichte zweier schwuler Männer fortgeführt. Eine dreißigstündige Zugfahrt von Chur nach Istanbul bildet den äußeren Rahmen ihrer Erzählung, deren eigentliche Thematik die titelgebenden «Unschärfen» einer homosexuellen Beziehung sind, deren mentale Seite sich als brüchig erweist. Einerseits deshalb, weil plötzlich eine Frau unerwartet die Beziehung stört, andererseits aber auch, weil Untreue die schwule Liebesidylle stört.

In einer vorgeschalteten Landkarte ist die Reiseroute des Protagonisten Baran abgebildet, die ihn auf den Spuren vom Orient-Express quer durch den Balkan von einem Besuch in der Schweiz zurück nach Istanbul führt, wo er mit seinem Lebensgefährten Cla wohnt. Diese Reise gibt ihm Gelegenheit, Ordnung in seine plötzlich gestörte, schwule Beziehung zu bringen. In Chur hatte er Alva besucht, die ehemalige Freundin von Cla, mit dem sie ein Kind hat. In drei Tagen, die er als Gast bei ihr verbringt, verliebt er sich völlig unerwartet in sie, und ebenso unerwartet haben sie auch Sex miteinander, was ihn total ratlos macht. Mutmaßlich, das wird im Roman aber nicht deutlich, weil es der erste hetero-sexuelle Kontakt für ihn war. Unvermittelt ist er da jedenfalls in ein Liebes-Dilemma hinein geschlittert, eine Schaden anrichtende Amour fou womöglich. Alva weiß natürlich von der homosexuellen Beziehung der Beiden. Ihre Liaison mit Cla, dem Vater ihres Kindes, ist inzwischen aber beendet. Er ist damals zu Baran, seinem schwulen Geliebten, nach Istanbul gezogen. Wie soll Baran ihm das nun erklären, wenn er in Istanbul ankommt? Und wo soll das hinführen?

In eine Mènage à trois, könnte man denken! Aber da geht die schmutzige Phantasie des Lesers weit über das dröge Sinnieren des Zugreisenden hinaus. Der nämlich reflektiert nur, ausgiebig und in Rückblenden, die Geschichte seiner Beziehung mit Cla. Deshalb hat er ja die extrem langsame Eisenbahn gewählt und ist nicht wie Cla in drei Stunden nach Istanbul geflogen, er wollte Zeit haben zum Nachdenken. Seine Gedanken und Erinnerungen wechseln sich permanent ab mit banalen Beobachtungen während der langen Bahnfahrt. Es sind nicht nur die vielen Menschen, die er im Zug beobachtet und zu denen er sich Gedanken macht, ausführlich wird auch die vorbeiziehende Landschaft beschrieben, deren klimatisch bedingte Veränderungen in den dreißig Stunden der Reise augenfällig werden. Ergänzt werden diese Episoden durch historische Ereignisse, berühmte Figuren und bemerkenswerte Bauten in den durchreisten Gebieten. Diese häufigen, fragmentarischen Einschübe ohne jeden inneren und äußeren Zusammenhang reichen von Exkursen über das Bergsteigen, über das Massaker von Vukovar und historisch bis zum römischen Kaiser Konstantin oder zu Atatürk, dem Staatsgründer der Türkei. Sie sind aber auch philosophisch, zum Beispiel wenn er über den Gottesbegriff bei Cusanus nachdenkt.

Der Roman ist mit derlei Exkursen deutlich überfrachtet, seine ja schon im Titel angedeutete, eigentliche Thematik, die «Unschärfen der Liebe», tritt als roter Faden der Geschichte weit in den Hintergrund. Gleiches gilt für die drei Romanfiguren, zu denen man keine Empathie aufzubauen vermag, sie bleiben ebenso blass wie all die namenlosen Zufallsfiguren, die den Weg des Reisenden kreuzen, oder wie die Menschen, die ihm im Leben begegnet sind. Einzig gelungen, aber eigentlich fehl am Platze, da sie rein gar nichts zum Thema beitragen, sind die unzähligen Beschreibungen der vorbeiziehenden Landschaften und Bahnstrecken. Als Reisebeschreibung «Im Orientexpress unterwegs» wäre das Buch aufgrund seiner gelungenen Schilderungen von Land und Leuten sicherlich eine interessante Lektüre. Die problematisch gewordene Schwulenliebe aber wird nur unzureichend thematisiert, sie geht unter in all den oft langweiligen Nebengeschichten. Zu allem Überfluss lässt die Autorin am kitschigen, völlig deplazierten  Ende auch noch alles offen. «Thema verfehlt» hieß so etwas früher im Deutschunterricht!

Fazit:  miserabel

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Genre: Roman
Illustrated by Luchterhand

Flughafenfische

Von Fischen und Menschen

Der zweite Roman von Angelika Overath trägt den rätselhaften Titel «Flughafenfische». Das Rätsel klärt sich bereits auf der ersten Seite, denn die titelgebenden Fische leben in einem riesigen Aquarium in der Transithalle eines nicht benannten internationalen Flughafens. In einem kammerspielartigen Setting lässt die Autorin im Gewimmel der Reisenden dort drei Menschen auftreten, deren Leben nicht unterschiedlicher sein könnte. Das verbindende Element dieser solitären Romanfiguren ist ihre inmitten der Menschenmassen irreal wirkende, ganz individuelle Einsamkeit.

Da ist zunächst Tobias, der nie verreist, Hüter eines künstlich angelegten Korallenriffs, das mit seinen zwanzig Kubikmetern Wasser wie ein dekorativer Raumteiler eine in den südlichen Ozeanen beheimatete Tier- und Pflanzenwelt beherbergt. Übermüdet von einem strapaziösen Langstreckenflug wartet Elis in diesem Transitbereich auf ihren verspäteten Anschlussflug. Sie ist eine erfolgreiche Fotografin, die rund um den Erdball jettet, mit den unterschiedlichsten Aufträgen für Artikel in angesagten Hochglanz-Magazinen. In ihrem Kopf wirbeln verschiedene Reisebilder aus Afrika und Asien schlaglichtartig durcheinander. Sie ist verblüfft, als sie plötzlich im lauten Trubel des Airports das Ruhe ausstrahlende Aquarium mit seinen stummen Bewohnern sieht. Fasziniert bleibt sie stehen, um durch die Scheiben dem munteren Treiben der bunten, exotischen Lebewesen eines Riffs zuzusehen. Ebenfalls durch Fenster abgetrennt sitzt in der Nähe im Raucherfoyer ein hoch angesehener, namenlos bleibender  Professor der Biochemie, der als Vielflieger von Kongress zu Kongress eilt. Gerade eben hat er eine SMS von seiner Frau erhalten, die ihm nach dreißig Ehejahren überraschend mitteilt, dass sie sich ab sofort von ihm getrennt hat. Zigaretten rauchend grübelt er nun über seine Versäumnisse nach, lässt sein vollständig der Karriere gewidmetes Leben selbstkritisch Revue passieren.

Neben diesen beiden rastlosen Globetrottern stellt Tobias den Gegenentwurf des bodenständigen Mannes dar, der die Erfüllung seines Lebens ausschließlich in der liebevollen Betreuung der ihm anvertrauten Aquariums-Bewohner findet. Als Elis ihn anspricht, erzählt er ihr bereitwillig vom schwierigen Aufbau des künstlichen Riffs, das nur unter ganz bestimmten Bedingungen existieren kann. Es habe mehr als ein Jahr gedauert, bis all die diffizilen Parameter der chemischen Zusammensetzung des Wassers, seiner Temperatur und der erforderlichen Strömungs-Verhältnisse penibel justiert waren. Und auch die fragile Lebensgemeinschaft von Fischen, Krebsen, Muscheln, Anemonen, Schwämmen, Algen sowie der zugehörigen Unterwasser-Flora stellt ein hochkompliziertes System dar, in dem es für einzelne Spezies immer wieder mal zu Rückschlägen kommt.

Der ansonsten dialogfreie Roman aus dem Airport-Kosmos bleibt auch hier völlig unpersönlich, die Zwei am Aquarium kommen sich nicht wirklich näher, sie bleiben sich als Zufalls-Bekanntschaft letztendlich Fremde. Angelika Overaths in 18 Kapiteln erzählte, klug durchdachte Geschichte lebt von der bewundernswerten Beschreibungskunst seiner Autorin, die zuweilen sogar poetische Züge annimmt. In parataktischer Form beschreibt sie kenntnisreich und anschaulich eine nur Wenigen zugängliche, aquatische Welt, die inmitten des umweltfeindlichen Flugwahns wie ein, allerdings unbeachtet bleibendes, Mahnmal wirkt. Ihre immer wieder auf die Unterwasserwelt bezogene Metaphorik erscheint mit der Zeit allerdings etwas aufdringlich. Die nur als «Raucher» bezeichnete, als einzige in Ich-Form sinnierende Figur des Professors wirkt zudem deplaziert, seine Ehe-Thematik stellt keine gelungene, plausible Ergänzung dar. Und Tobias und Elis reden nicht wirklich miteinander, sie tauschen lediglich wechselseitig Monologe aus. Thematik und Impetus dieses Romans verblassen in Anbetracht der stilistischen Erzählkunst seiner Autorin, die hier als ‹L’art pour l’art› nutzlos verschwendet wird. Schade!

Fazit: mäßig

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Genre: Roman
Illustrated by btb München