Förster, Schriftsteller mit Schreibhemmung steht kurz vor seinem 50 Geburtstag. Tjanun, so kann es gehen: Gerade noch jung und knackig, das Leben liegt vor einem, findet man sich plötzlich in einem Alter wieder, in dem man einsieht, dass Stracciatella und Pistazie ganz schlecht zusammenpassen. Auch wenn er sich noch so oft einredet, dass es ein Geburtstag wie jeder andere ist und nicht wichtiger als der ein Jahr zuvor – Förster kommt doch ins Grübeln. Die Vollendung des halben Jahrhunderts ist einfach „der Tag, ab dem man sich nichts mehr vormachen kann“.
Wenn er mit sich selbst spricht, dann redet er sich gerne in der Tradition des berühmten Gedichts von Walt Whitman an: “Förster, mein Förster“. Zum Captain hat er es bis jetzt noch nicht so ganz gebracht; das gesteht er sich selber ein – aber wenigstens gehört er noch nicht zum Club der toten Dichter. Auch wenn in naher Zukunft eine Gewebeentnahme dräut. Seine Freundin Monika treibt sich auf den äußeren Hebriden herum, während die Ex Martina es zwar zur bundesweit beliebten Tatort-Kommissarin gebracht hat, am liebsten aber mit Förster zurück in die muffigen Theaterkeller ihrer Jugend möchte. Seine Freunde Brocki und Fränge, mit denen er seit der Schulzeit eine herzliche Männerfreundschaft pflegt, sind auch keine große Hilfe. Fränge ist kurz davor, seine Ehe an die Wand zu fahren und Brocki tut immer noch alles, um cool zu wirken. Auch die Gespräche mit dem alten Nachbarn Dreffke, der nicht mehr so genau weiß, wann er das letzte Mal tot war und dem wohlstandsverwahrlosten Jugendlichen Finn bringen Förster nicht weiter.
Sie alle wissen nicht, wohin genau ihre Reise gehen soll. Das Einfachste wäre es abzuhauen, nach Iowa zum Beispiel oder am allerbesten ganz weit weg ins Outback. Aber zur Not tut es auch die Ostsee. An eben diese wird die leicht demente Nachbarin Frau Strobel von einer Jugendfreundin gerufen, die ganz dringend noch einmal die unvergessene Tanzkapelle Schmidt wiederbeleben muss. Frau Strobel kann zwar die Tücken des Alltags nicht mehr ganz so gut bewältigen, ein glasklares “Ganz Paris träumt von der Liebe” aber entlockt sie ihrem Saxophon noch immer. Vorzugsweise mitten in der Nacht. Da gerade alle nicht viel Besseres zu tun haben, steigt diese ungleiche, bunt zusammengewürfelte Gesellschaft kurzerhand in Fränges halb fertig restaurierten Bulli und begleitet Frau Strobel bei ihrer Reise in eine ruhmreichere Vergangenheit. Und wie das eben immer so ist, wenn eine Geschichte zum Road Trip wird, ist der Weg das eigentliche Ziel. Zumal die Zwischenstopps “praktischerweise direkt auf dem Weg liegen“.
Der Bochumer Schriftsteller und Kabarettist Goosen wird gerne als Chronist der Ruhrgebiets-Gegenwart bezeichnet. Er schreibt aber auch noch eine ganz andere Chronik: die Chronik seiner Generation, der Generation der sogenannten Babyboomer. Goosens erster Roman “liegen lernen” erzählte von einer ersten großen Liebe in den frühen 80ern, “Pink Moon” und “Mein Ich und sein Leben” erzählten vom Erwachsenwerden im sich wandelnden Ruhrgebiet, “so viel Zeit” vom Angekommensein und sich Abfinden mit dem Erwachsensein rund um den 40 Geburtstag. Mit “Förster, mein Förster” nun erzählt er von Freunden, die auf ein halbes Jahrhundert zurückblicken – selbst erste Gedanken an die Rente werden zaghaft zugelassen. Begleitet von einer Mischung aus Melancholie und Wehmut nach diesem “Früher“. Auch wenn ihnen insgeheim klar ist, dass “Je weiter weg, desto schöner das Früher”
Überhaupt dieser Bulli. Das knuddelige Gefährt hat in den letzten Jahren ein Comeback hingelegt, als Symbol der Sehnsucht nach vergangenen unbeschwerten Tagen. Erstaunlich, aber irgendwie auch logisch: Mehr Freiheit als in den 70ern und den frühen 80ern hatte diese Generation schließlich nie und wird sie auch nie wieder haben. So ziert der Bulli nicht nur in sattem Bochumer Blau-Weiß das Cover – er spielt auch eine tragende Rolle in Frank Goosens neuem Roman. Fränge, der von allen Freunden am stärksten mit der Midlife-Crisis zu kämpfen hat, hat sich diesen Bulli zugelegt. Hier ein Schräubchen festziehen, da etwas festklopfen, dann noch ein Gestell rein und ab dafür – weg, einfach weg, einem neuen Leben, einem neuen Aufbruch entgegen.
Keine Frage: Etliches kommt einem bekannt vor. Aber – das ist nun mal so heutzutage. Nichts, was nicht schon besungen, verfilmt oder erzählt wurde. Da hält Goosen es ganz pragmatisch mit der alten Weisheit: Man kann das Rad nicht neu erfinden, man kann ihm allenfalls neuen Schwung geben. Er dreht sein Rad im Surrealismus des Alltags, er sieht die Komik im Absurden. Allerdings kann man sich während der Lektüre des Eindrucks nicht erwehren, dass Frank Goosen seine Romane mittlerweile durchaus mit Blick auf die weitere mediale Verwertungskette schreibt. Goosens Werke sind ja zusehends zu einer Art Gesamtkunstwerk avanciert. “liegen lernen” wurde mit großem Erfolg verfilmt, “Radio Heimat” und “Sommerfest” sind gerade in der Kino-Mache, “So viel Zeit” wurde mit kommerziellem Erfolg am Theater Oberhausen dramaturgisch aufbereitet und fester Bestandteil seiner eigenen Bühnenprogramme sind seine Bücher sowieso.
“Förster, mein Förster” bereitet dies schon vor. In dem ohnehin sehr dialoglastigen Roman wurde die ein oder andere Passage direkt schon als Drehbuch geschrieben. Das Buch verliert so zwischenzeitlich an Schwung und liest sich streckenweise hölzerner, als man es von Frank Goosen gewohnt ist. Die besten Passagen sind jene, in denen Förster seinen Gedanken freien Lauf lässt oder sich die Freunde in bewährter Manier kabbeln, eben immer dann, wenn er frei von der Leber weg schreibt. (Wie auch auf der Bühne seine stärksten Momente immer die sind, wo er vom Skript abweicht.)
Dennoch: Goosens Werke und auch der neue Roman “Förster, mein Förster” sind Lichtblicke, weil sie ungebrochen hoffnungsfroh Zuversicht vermitteln. Seine Protagonisten kommen zwar bisweilen etwas melancholisch rüber, düstere Melancholie war jedoch noch nie Frank Goosens Ding. Bei ihm ist es eher eine sehnsüchtige, zuversichtliche Melancholie. Wenn irgendwann irgendwer in hoffentlich noch weit entfernter Zukunft in einer Retrospektive ein Fazit ziehen wird, was bleiben wird aus den Büchern von Frank Goosen: Es wird zum einen die fast schon mantrahaft vorgebetete Erkenntnis sein, dass Musik Leben nicht nur begleiten, sondern auch retten kann, zum anderen die Beschwörung der Kraft der Freundschaft. Der nach außen so kumpeligen, raubeinigen Freundschaft, die aber ohne jedes wenn und aber durch dick und dünn geht – Freundschaften eben, wie sie besonders im Ruhrgebiet gepflegt und zelebriert werden. Liebe auch – von Liebe ist auch immer wieder die Rede. Doch auch wenn Montagues und Capulets in allen denkbaren Entwicklungsstadien den Roman bevölkern, im Goosenschen Universum ist Liebe nicht das allein selig machende.
Zum guten Schluss feiert die Tanzkapelle Schmidt eine umjubelte Wiedervereinigung und Förster sieht zwei Dinge ein: Auch die Ostsee ist ein guter Platz und eine Welt,
in der “a horse with no name” die neue Oppa Musik ist, kann nicht allzu schlecht sein. So lässt sich doch am 50sten die “grundlose Schwermut des modernen Menschen” zelebrieren.
(Diese Rezension erschien – in gekürzter Form – bereits am Erscheinungstag des Romans, am 18.02.2016 in den Revierpassagen.de . Diese Version ist der gewünschte “Directors Cut”)