
Das Bildnis des Dorian Gray
“Die Jugend lächelt auch ohne Grund. Das ist einer ihrer Reize“, so der Lebemann Lord Henry, der eine wichtige Rolle in dem Dark-Romance Klassiker von Oscar Wilde spielt, der zu einem Kultbuch seiner Generation und darüber hinaus wurde. Schließlich prägte er darin nicht nur den Begriff des Dandy, sondern auch den Verfall des viktorianischen Zeitalters.
Fin de siècle – Fin du globe
Dieses “hirnlose, schöne Geschöpf”, wie Lord Henry Dorian Gray bezeichnet, wird von Basil Hallward in einem unvergleichlichen Bild porträtiert. Aber das Gemälde entwickelt schnell ein Eigenleben. Statt dass das Modell, Dorian, altert, altert das Bild und legt sich wie ein Fluch über das Leben des jungen Adonis. Denn nicht nur dass er ewig jung bleibt, es schaden ihm auch keine Exzesse oder Versuchungen mehr, allein sein Porträt nimmt Schaden. Alsbald in den Dachboden verdammt spielt es die Rolle, die Freud dem “Es” zuteilte: in den Keller damit. Bei Oscar Wilde wird das Bild zum Sinnbild der Seele, der Lebemänner wie Lord Henry längst abgeschworen haben. “Das einzig Schreckliche in der Welt ist ennui, Darian. Das ist die einzige Sünde für die es keine Vergebung gibt”, ermuntert Lord Henry seinen jungen Schützling zu immer weiteren Exzessen. “Nein, wir haben den Glauben unseren Glauben an die Seele aufgegeben. Spiel mir etwas! Spiel mir ein Nocturne”, fordert Lord Henry Dorian Gray am Ende des Romans dann nochmals auf, bevor er zu einer Lobpreisung der Jugend ansetzt und Dorian in den White’s Klub einlädt. Denn die Jugend wird von Lord Henry wie ein neuer Gott angebetet, allein, sie bleibt auch für ihn unwiederbringlich, der den armen Dorian in seinen eigenen Abgrund mitreißt. Lord Henry ist aber auch die bunteste und schillerndste Figur des vorliegenden Romans. Seine Sinnsprüche und Weisheiten vor allem über die Frauen aber auch das Leben sind Legende. “Pünktlichkeit stiehlt einem nur die Zeit” sagt Lord Henry oder “Vielleicht sieht man nie so gut aus, wie zu der Zeit, in der man eine Rolle zu spielen hat”. Über das andere Geschlecht scheint er ganz besonders Bescheid zu wissen: “Frauen lieben uns wegen unseren Fehlern. Wenn wir derer genug haben, verzeihen sie uns alles, selbst unseren Verstand.” Oder: “Ein Mann kann mit jeder Frau glücklich sein – solange er sie nicht liebt.” Doch genau das geschieht mit Dorian, denn er verliebt sich in die junge Schauspielerin Sybil Vane, die sich wegen ihm das Leben nimmt. Daraufhin beginnt das Bild von Basil zu altern, denn jedes Mal dann, wenn sich Dorian Versuchungen und Sünden ergibt, nimmt nicht er Schaden, sondern das Porträt. “Eine wilde Angst vor dem Tod hatte ihn erfasst und dabei war ihm das Leben gleichgültig geworden”, schreibt Oscar Wild in Vorwegnahme der noch kommenden Ereignisse. Seinen Dark Romance Klassiker schrieb er auf einem Vulkan, 1891, wenige Jahre später versiegte er: 1900, die Jahrhundertwende erlebte er gerade noch. Für ihn wurde das Fin de siècle allerdings zum Fin du globe – dem Ende seiner Welt.
Ein Roman und seine Folgen
Oscar Wilde rächt sich aber auch an der Provinz und der dem Untergang geweihten Gesellschaftsschicht, dem Adel: “Auf dem Lande kann jeder gut sein, da gibt es keine Versuchungen. Das ist der Grund warum die Leute, die nicht in der Stadt wohnen, so ganz und gar ohne Kultur sind. Kultur ist eine Sache, die keineswegs leicht zu erreichen ist. Es gibt nur zwei Wege, zu ihr zu kommen. Der eine heißt Bildung, der andere Verdorbenheit. Die Leute auf dem Lande haben zu beiden keine Gelegenheit, darum stagnieren sie.”, lässt er Lord Henry sagen. Und seine Schwester, die Herzogin Gladys Wotton legt noch nach: “Wissen wäre verhängnisvoll. Die Ungewissheit reizt einen. Ein Nebel macht die Dinge wundervoll.” Die vorliegende Ausgabe des von Hedwig Lachmann und Gustav Landauer übersetzten Romans wurde von Benjamin Lacombe illustriert. Im Anhang befindet sich auch ein Bilderzyklus der zeigt, wie der Verfall des Gemäldes von Basil Hallward ausgesehen haben könnte. Außerdem wurde das lesenswerte Nachwort vom Neffen von Oscar Wilde, Merlin Holland, verfasst, der darin die Entstehungsgeschichte des einzigen vollendeten Romans seines Großvaters nachzeichnet. Oscar Wilde hatte ihn mit 35 geschrieben, verheiratet, zwei Kinder, von Rezensionen von Büchern und Theaterstücken lebend und – schwul. Für den Dorian Gray wurde er vom Vater seines Liebhabers Alfred Douglas, dem Marquess von Queensberry, der Sodomie beschuldigt. Wilde’s Klage ging nach hinten los und brachte ihn um seinen Ruf und seine Freiheit. Die vom Gericht inkriminierten Passagen, die ein homosexuelles Verhältnis zwischen Basil und Dorian suggerieren, sind in vorliegender Ausgabe in eckige Klammern gesetzt. Auch dadurch ergibt sich eine besonders delikate Lektüre. Gerade wenn man bedenkt, was Wilde in einem Brief geschrieben hatte: “Basil Hallward ist das was ich denke, Lord Henry ist das, was die Welt von mir denkt; Dorian Gray ist das, was ich gerne sein würde.” In den Bau ging Oscar Wilde schließlich nicht wegen dem Roman Dorian Gray, sondern wegen Unzucht. Aber Dorian hatte ihn davor auch nicht bewahren können: Oscar Wilde war gesellschaftlich ruiniert. Ihm fehlte die Bühne.
Oscar Wilde
Das Bildnis des Dorian Gray
Übersetzung von Hedwig Lachmann und Gustav Landauer
Mit Illustrationen von Benjamin Lacombe
Serie: Papillon Noir
2024, Hardcover, Halbleinen mit Kupferprägung. Mit transluziden Seiten und durchgehender Vierfarbigkeit
ISBN-13: 9783964282231
Verlagshaus Jacoby Stuart
€ 51.-