Venezia 500. Die sanfte Revolution der venezianischen Malerei

Kaum ein anderer Ort auf der Welt vereint auf so bewegende Weise schöpferische Kraft, Erfindungsgeist und die Sehnsucht nach Unvergänglichkeit“, bringt es Giovanni Liverani in seinem Grußwort auf den Punkt. Die Rede ist natürlich von Venedig, der Serenissima, die im 15./16. Jahrhundert im Bereich der Malerei eine unvergleichliche Blüte erreicht hatte.

Arkadische Sehnsucht

Das Venedig der Renaissance zeitigte Meister wie Bellini, Giorgione, Palma Vecchio und Tizian, die allesamt das Wesen von Mensch und Natur sowie deren Verhältnis zueinander mit nie dagewesener Intensität leuchtender Farben und Schatten darstellten und aufzeichneten. Anhand bedeutender Porträt- und Landschaftsdarstellungen zeigt der vorliegende Band die bahnbrechenden Neuerungen der venezianischen Malerei, die bis weit in die Moderne wirkten. Mit der Losung “Tintoretto war der Pollock des 16. Jahrhunderts” bringt uns Bernhard Maaz im Vorwort die bahnbrechenden und revolutionären Verdienste der venezianischen Malerei näher. Obwohl alle Gemälde dieses Ausstellungskataloges der Pinakothek venezianischen Ursprungs sind, steht doch nie die Lagnunenstadt im Mittelpunkt, sondern vielmehr die Porträt- und Landschaftsmalerei. So schweifen die Blicke über grüne Hügellandschaften und zu den Gipfeln der Südalpen, aber niemals über die kunstvoll erbaute Stadt im Wasser. Arkadische Hirtenphantasien oder die belle donne, die von der Liebeslyrik Petrarcas und der zeitgenössischen Traktatliteratur zu weiblichen Schönheit inspiriert sind, erhoben die Schöpfer dieser Bildnisse zur Sehnsucht nach göttlicher Schönheit und Erkenntnis, die weit über das irische, schmerzlich-unerfüllte Verlangen nach Liebe hinausgeht, so Andreas Schumacher. “Arkadische Sehnsüchte” nennt Chriscinda Hinda als mögliche Motivation für die opulenten Bildwerke, aber auch magnificentia und liberalitas, humanistische Tugenden.

Venezia 500: Eros und Vaghezza

Mit “Hy pin ich ein her, doheim ein schmarotzer” brüstete sich Albrecht Dürer, Teil eines venezianischen Kreises von Gelehrten, Musikern, Kunstkennern und Künstlern zu sein. Denn kein Geringerer als Gabriele Vendramin besaß zahlreiche Drucke Dürers. Im sog. ridotto versammelte Dieser Gabriele Vendramin im Venedig des 16. Jahrhunderts um sich. Der Begriff wurde schon im Cinquecento für musikalische und häusliche Treffen verwendet. Dabei seien aber nicht nur gebildete Herren, sondern auch Kurtisanen, Dichterinnen und Sängerinnen beteiligt gewesen. Anders als die auf den Darstellungen abgebildeten “belle” dürften jene real existierende Frauen gewesen sein. Die Frauen auf den Gemälden vielmehr Kompositbilder, die aus den Merkmalen idealer Schönheit und Poesie zusammengesetzt, die Erschaffung möglichst idealer Abbilder begehrenswerter Frauen zu kreieren, gleichsam als Paragone zwischen Malerei und Poesie, vermutet Theresa Gatarski in ihrem lesenswerten Beitrag “Eros und Vaghezza”. Aber auch Kurtisanen standen Modell, etwa Angela del Moro in Tiziano berühmter “La Bella”. Weitere behandelte Künstler sind Giovanni Bellini | Paris Bordone | Giovanni Cariani | Cima da Conegliano | Giorgione | Bernardino Licino | Lorenzo Lotto | Sebastiano del Piombo | Tintoretto | Tizian | Palma Vecchio u. a.

Hg. Andreas Schumacher
Venezia 500. Die sanfte Revolution der venezianischen Malerei
Mit Beiträgen von T. Gatarski, J. Grave, C. Henry, H. Kaap, A. Kranz, A. Mazzotta, J. Pawis, A. Schumacher, C. Whistler
2023, 256 Seiten, 166 Abbildungen in Farbe, 21,5 x 26,5 cm, Klappenbroschur
ISBN: 978-3-7774-4176-4
Hirmer Verlag


Genre: Kunstgeschichte, Malerei, Venedig
Illustrated by Hirmer

Jean-Michel Basquiat. Of Symbols and Signs

Basquiat – das Buch zur Ausstellung in der Wiener Albertina

Jean-Michel Basquiat. Of Symbols and Signs. “BLAM BOOM BANG. Wo bin ich?” Heißt es auf einem Gemälde des leider zu früh verstorbenen haitianisch-puerto-ricanischen Künstlers aus New York auf Deutsch. Gerne benutzte Basquiat Symbole und Zeichen, vor allem eben auch Buchstaben und Worte in seinen Bildern. “Der Widerstreit zwischen gestisch-malerischen und figurativen Elementen, Buchstaben und Wörtern versus rinnende Acrylfarbe und aufgesprayte Linien resultierte in einem höchst dynamisierten Bilgeschehen, einem Netz aus Markierungen und Bedeutungen, einem Spiegel der vibrierenden Downtown Manhattan und ihrer Kunstszene”, schreibt der Herausgeber in seinem Vorwort.

Basquiat: Der “tanzende” Maler

Basquiat begann als junger Graffiti-Artist und kreierte mit seinem Samo© ein fiktives Künstlerkollektiv, das die Kunstwelt verändern wollte. Aber er speilte auch als Musiker in einer New Yorker Garage-Band im typischen Stil der Achtzigerjahre laut und kraklig, experimentell. New York war in dem Jahrzehnt durch Punk und Untergangsstimmung geprägt, das Stadtzentrum verwahrloste und wurde so zum Spielplatz vieler junger Kreativer. Basquiat war einer davon, der sich von Graffiti aus bald Richtung Art Brut und Minimalismus entwickelte. Dazu bediente er sich sowohl des reichen kulturellen Schatzes seiner Ahnen, als auch seinem Alltag im New York City der traurigen 80er. Die Zeichnung war die Grundlage der künstlerischen Praxis, aber er liebte auch Buchstaben, Wörter, die er “wie Pinselstriche” benutzte, schreibt Buchhart. Einen “tanzenden” Maler sah etwa ein Künstlerkollege, Fan 5 Freddy, in Basquiat, wenn er mit seinen Stiften über die Leinwand oder andere Materialien huschte. Die vorliegende Publikation folgt der derzeit in der Wiener Albertina zu sehenden Ausstellung mit dem Titel “Basquiat. Die Retrospektive”. Sie ist dort noch bis zum 8. Januar 2023 zu sehen.

Prometheus der Moderne

Sein Werk changiert zwischen Expressionismus, Pop- und Conceptual Art, nimmt Anleihen bei den Cartoons und Comics seiner Jugend und ist stets engagiert und immer politisch. Mit dem Pinsel als Waffe kämpfte er gegen Polizeigewalt, Rassismus und Unterdrückung oder sogar den Konsumkapitalismus. Francesco Pellizi zeigt Basquiat in seinem Beitrag in vorliegendem Band als Erbe der amerikanischen Tradition der Simplifizierung: Pop-Art, Minimal Art und Konzeptkunst hätten ihn beeinflusst, seine “Opfergaben” eher Selbstaufopferungen im Geiste Lautréamonts, Rimbauds oder Kafkas nicht “ex voto aus dem Verlangen, sondern von der Verlassenheit, ex desolatione“. Sein Verdienst liege vor allem in der Einführung einer ethnisch und kulturell marginalisierten Blackness in den Mainstream der westlichen Kunst. Ein Interview mit Ouattara Watts über Basquiat schließt sich an Exzerpte aus Basquiats malerischem Werk oder einigen fotografischen Aufnahmen an. Im Anschluss werden einige Werk in Großaufnahmen gezeigt, die dazwischen mit Zitaten von Jean-Michel Basquiat angereichert werden. Im Anhang befindet sich noch eine Chronologie des Lebens des Künstlers, den die Götter – vielleicht aus Neid – viel zu früh zu sich holten. Denn Basquiat war ein Brückenbauer und Prometheus der neuen Zeit: er brachte den Menschen das Feuer und musste dafür geopfert werden.

Dieter Buchhart (Hrsg.), Antonia Hoerschelmann (Hrsg.), Klaus Albrecht Schröder (Hrsg.)
Jean-Michel Basquiat. Of Symbols and Signs
2022, Hardcover, Pappband, 216 Seiten, 24,5 x 30,0 cm, 85 farbige Abbildungen, 12 s/w Abbildungen
ISBN: 978-3-7913-7956-2
€ 45,00 [D] inkl. MwSt.
€ 46,30 [A] | CHF 61,00 * (* empf. VK-Preis)
Prestel Verlag

 


Genre: Kunst, Kunstgeschichte, Malerei, Popkultur
Illustrated by Prestel

Über Gemälde von Segantini

Über Gemälde von Giovanni Segantini

Giovanni Segantini (1858–1899) wurde im damals österreichischen Arco am Gardasee geboren. Als Siebenjähriger verlor er nicht nur seine Mutter, sondern auch seine Staatsangehörigkeit. Eine Halbschwester war dafür verantwortlich und so blieb Segantini sein Leben lang staatenlos. Schon sein erstes größeres Gemälde sorgte für Aufsehen: der gewählte Lichteinfall richtete den Spot(t).

Verkannter, zu Unrecht vergessener, staatenloser Heimatmaler

Was in Frankreich gemeinhin als Pointilismus bezeichnet wurde, nennt man im Falle Giovanni Segantinis Divisionismus. Krüger nennt es “Flechttechnik”, die ein Ineinanderweben von unzähligen Einzelheiten, die dennoch differenziert und Schaft gesondert aber als Einheit dargestellt wurden. Das Faszinierende an Segantinis Gemälden sind für Krüger aber nicht nur die Farben und Lichteinfälle, sondern auch die Tatsache, dass er als einer der wenigen Maler seiner Zeit Landwirtschaft auch als harte Arbeit darstellte. Die idyllischen Bilder anderer Maler suggerierten stets, dass die Natur uns von selbst ernähre solange man sie respektvoll behandle und nicht malträtiere (Krüger). Gerade darin seien Segantinis Bilder moderner und nähmen Sujets vorweg, die erst nach seinem Tod populär wurden.

Über Gemälde von Giovanni Segantini

Segantini habe das Schicksal erlitten, zwei drei Jahrzehnte als Maler europäischen Ruhm zu ernten, danach aber weitgehend der Vergessenheit anheimzufallen und heute in der Kunstgeschichte nur mehr am Rande erwähnt werde, zitiert Krüger den marxistischen Kunstkritiker Konrad Farner. Mitte der Sechziger sei es zudem nicht “diskursfähig” gewesen, einem Maler zu huldigen, der sich ins Hochgebirge zurückgezogen hatte und hauptsächlich Tiere und Pflanzen malte. Selbst die Kuh wird heutzutage als Treibgasproduzent unter Generalverdacht gestellt, wie Krüger ironisch bemerkt. Aber es braucht keiner Rechtfertigung die Bilder Segantinis zu betrachten, denn was Kunst und Kitsch unterscheidet ist einzige der Lauf der Zeit.

Faszination des Verlorenen

„Voglio vedere le mie montagne“ („Ich will meine Berge sehen“) waren die letzten Worte Segantinis, die über 70 Jahre nach seinem Tod Joseph Beuys zu der gleichnamigen Rauminstallation inspirierten. In vorliegendem Bildband betrachtet man etwa die “Vanità” (Eitelkeit), “la fonte del male” (die Quelle des Übels), aus dem Jahr 1897, das eine nackte Frau vor einem Bergtümpel zeigt, in dem sie ein Bad zu nehmen gedenkt. Es zeigt eine einfache, gebirgige Landschaft in aller Schlichtheit und mit eher düsterer Farbwahl, die der Szenerie etwas Geheimnisvolles verleiht. Der Tümpel in dem sie zu baden gedenkt könnte nämlich ebenso der Abgang in den Hades sein, der Eingang zum Styx, der Fluss, der die Toten von den Lebenden trennt. Viele weitere Gemälde Segantinis werden von Michael Krüger vorgestellt und kommentiert und so der Vergessenheit entrissen. Denn seiner Bedeutung als Maler waren sich seine Zeitgenossen durchaus bewusst und stellten ihn sogar neben Rembrandt van Rijn (Kunsthistoriker Carl Brun). Die Fasznition für Giovanni Segantini fasst Michael Krüger am Ende mit einer profunden Antwort in Worte: “Wahrscheinlich schauen wir die Bilder an, weil sie das sind, was von uns übrig bleibt, und das zeigen, was wir für immer verloren haben.”

Michael Krüger
Über Gemälde von Segantini
2021, 208 Seiten, 47 Farbtafeln. Format: 18,5 x 26 cm, gebunden. Deutsche Ausgabe.
ISBN: 9783829609517
Schirmer/Mosel
€ 38,-


Genre: Bildband, Kunstgeschichte, Malerei
Illustrated by schirmer/mosel