Iowa. Ein Ausflug nach Amerika

Iowa. Ein Ausflug nach Amerika. Nach “Statusmeldungen” und “Dicht. Aufzeichnungen einer Tagediebin” schon das dritte Buch der österreichischen Self-Made-Autorin Stefanie Sargnagel aus Wien beim renommierten Rowohlt Verlag. Mit dabei ist dieses Mal auch Christiane Rösinger besser bekannt durch ihre Bandprojekte Lassie Singers und Britta, sowie viele andere kulturelle Aktivitäten im Berliner Underground.

Iowa: Fette Malls, ranziges Essen

Stefanie Sargnagel hat sich im deutschsprachigen Raum bereits einen gewissen Kultstatus erworben. Ihr Ausflug nach Amerika glänzt durch bissigen Humor und Selfbashing – entwaffnend ehrlich eben. Auf Einladung eines amerikanischen Colleges in Grinnell, Iowa fliegt die muntere Autorin mit ihrer Freundin Christiane kurzerhand in die USA. Sie soll dort Creative Writing unterrichten und das ausgerechnet in einem 8000-Seelen Dorf. Das College erweist sich dann aber als multikultureller und diverser als der Ort und Iowa fortschrittlicher als man es erwarten würde. “Über die Realität legt sich ab jetzt ein beugebräunlicher Schleier. Das ist der vergilbte Teil der USA“, sind zwar ihre ersten Gedanken nach der Landung, aber bald bemerkt sie, dass das Örtchen keine Kulisse ist und dort tatsächlich richtige Menschen leben, auch wenn sie oft Klischees entsprechen, die man aus US-amerikanischen Serien selbst zu kennen glaubt. Tumbleweed. Vieles ist ihr dann auch tatsächlich schon bekannt, aus eben diesen Serien oder Filmen. Aber sie entdeckt auch bald die Segnungen des Kapitalismus: Dass ausgerechnet Walmart eine soziale Ader hat und arme Leute auf den Parkplätzen seiner Malls campen lässt, ist doch überraschend. Skurriler noch als unsere westeuropäischen Vorurteile sind auch Sargnagels Beschreibungen der Amish, Amana und Maharishi-Sekten, um nur drei der unzähligen Glaubensgemeinschaften dort zu nennen, auf die sie bei ihren Ausflügen stößt. Die Autorin hat darüber eigene Reportagen eingebaut, auch Chicago und L.A. besucht sie kurz im Mietwagen mit ihrer Mutter und auch wenn der eigentliche Höhepunkt des “Ausflugs nach Amerika” ausbleibt (oder ist es der Abschied von Christiane?) ist das eigentliche Thema ein ganz anderes.

Ausflug nach Amerika: Genug vom “Rumspringa”

Denn es wäre kein Buch von der Sargnagel, wenn man nicht auch sehr viel über sie selbst erfahren würde. So lernt man etwa den Alkoholmissbrauch der Österreicher von dem der Deutschen zu unterscheiden oder begreift endlich den Unterschied zwischen einem Egozentriker und einem Narzissten: “Nur der erstere ist zu wahrem Idealismus in der Lage“. Christiane und Stefanie erkunden die Umgebung im Mietauto oder mit dem Greyhound: Des Moines, die Hauptstadt Iowas, wird durch die Iowa State Fair und den zweitgrößten Skywalk nach Minneapolis beschrieben, der Mississippi durch einen Pelikanflug und Dubuque durch seine Zahnradbahn, die älteste Amerikas. Das Hundebashing und die Macht der Waffenlobby sind noch ein paar Roadside Attractions auf diesem munteren Ritt durch den Midwest der USA. “Wochenlanges zielloses Reisen empfinde ich aber seit ich nicht mehr jugendlich bin eigentlich als stumpfen Konsum privilegierter IdiotInnen“, schränkt sie ihre Neugierde dann aber doch etwas ein und ist dann irgendwie wieder froh, nach Grinnell zurückzukommen. “Aber mit dem Abschied vom Exzess bricht ein ganzer Teil der Wirklichkeit weg. Der Irrsinn der Nacht.”Dafür kann man sich dann – am Ende der Strasse – vielleicht nur noch für Mukbang interessieren? Bei den Amish dürfen die geschlechtsreifen Jugendlichen mit 16 Jahren auf die Pfalz, sie nennen das “Rumspringa“, erzählt Sargnagel und in dieser Zeit dürfen sie alles ausprobieren, was sie wollen: Sex und Drugs und R’n’R. Davon dürfte die Sargnagel, 1986 geboren, inzwischen wohl genug haben. Denn mit kaum etwas mehr als 37 Jahren hat sie schon ihr reifes Alterswerk geschrieben: Iowa. Ein unterhaltsamer, lesenswerter Roadtrip voller Sarkasmus bei gleichzeitig sehr viel Sympathie. Unaufgeregt, abgeklärt und unheimlich witzig.

Zu Lesungen des Buches mit der Autorin lädt der Rowohlt Verlag ab Januar 2024 in Wien, Graz, Köln und vielen anderen deutschsprachigen Städten!

Stefanie Sargnagel
Iowa. Ein Ausflug nach Amerika
Mit korrigierenden Fußnoten von Christiane Rösinger
2023, Hardvoer, 304 Seiten
ISBN: 978-3-498-00340-1
Rowohlt Buchverlag


Genre: Autobiografie, Gegenwartsliteratur, Reise, Reiseabenteuer
Illustrated by Rowohlt

Bodentiefe Fenster von Anke Stelling

Sie macht alles richtig, funktioniert immer, ist Mutter, Frau und Journalistin zugleich. Sie will es besser machen. Besser als alle anderen und vor allem besser als ihre Mutter. Die Hauptfigur des Romans Bodentiefe Fenster heißt Sandra, wohnt mit ihrem Mann und zwei Kindern in einem selbstverwalteten Gemeinschaftshaus und knickt unter der Last des Mutterseins nach und nach ein. „Sei glücklich“, schreit sich Sandra selbst Tag für Tag an, „sei glücklich, zufrieden und froh und vor allem ausgeglichen, ja, ausgeglichen musst du sein, denn deine Kinder brauchen eine glückliche, eine ausgeglichene Mutter.“ Dass derartige Zwangsgedanken auf Dauer nicht nur mürbe, sondern auch zynisch und abgestumpft macht, ist klar. Nur wie – das weiß man noch nicht. Weiterlesen


Genre: Gegenwartsliteratur
Illustrated by Verbrecher Verlag

Traumpfade

Wenn man sich mit den Klassikern der Reiseliteratur beschäftigt, landet man zwangsläufig früher oder später bei Bruce Chatwin, dem Autor der beiden Weltbestseller „Traumpfade“ und „Patagonien“.

Manche Leser weigern sich aus Prinzip, sich mit den Hintergründen eines Autors zu beschäftigen, um sich vom Werk selbst nicht ablenken zu lassen. Aber das Leben Chatwins ist durchaus bemerkenswert und schlägt sich zudem in seinen Büchern mit stark autobiografischer Note immer wieder nieder.

1940 in England geboren, hören sich die weiteren Meilensteine des Bruce Chatwin an, wie die Biografie eines Ernest Hemingway für Arme: permanente Ortswechsel während des Krieges, abgebrochene Studien in Architektur und Archäologie, Botenjunge bei Sotheby’s, dort aber nach vier Jahren Direktor der Abteilung für impressionistische Kunst, Anstellung bei der Sunday Times, zuerst als Kunstberater, dann als Reisejournalist (eine Position zu der er sich selbst ernannte, indem vor einer Sudan-Reise einfach ein Telegramm zur Info an die Redaktion schickte).

1983 und 1984 unternahm Chatwin zwei Reisen in das Innere Australiens, die als Grundlage des Romans „Traumpfade“ dienten, der in weiten Teilen faktisch eine modifizierte Reportage in Ich-Form ist.

Über etwa zwei Drittel des Buches schildert Chatwin das Leben und die Situation der Aborigines in der Zeit seiner Reise. Dieser Teil macht sicherlich den Ruhm des Bruce Chatwin aus, da er ein ganz hervorragendes Stimmungsbild erschafft – wer schon einmal in Australien und vor allem im Outback war, wird dies umgehend bestätigen. Der Leser sieht sofort die Kulisse mit der roten Erde, der ausgetrockneten Landschaft und den träge vor ihren Hütten und blechernen Wohnmobilen im dürftigen Schatten vor sich hindösenden Ureinwohnern. Dazu verwendet er keine farbintensiven Adjektive oder blumige Attribute, sondern er ist eher der Graphiker, der mit wenigen Kohle-Strichen treffsichere Skizzen erstellt.

In dieses Bühnenbild baut Chatwin das zentrale Thema ein – die Gründungs- und Abstammungsmythen der Aborigines, die er aus der Urbevölkerung trotz deren Verschlossenheit und Wortkargheit herauslocken und erfahren konnte, nicht zuletzt durch seine eigene Ruhe, Introvertiertheit und durch Verzicht auf bedrängende Invasivität. Einfach durch Geduld, Abwarten, Einfühlen und anscheinend unendlich viel Zeit.

Die Schöpfungsgeschichte der australischen Aborigines ist eine totemistische. In ihrer Genesis erschufen sich die Ahnen selbst aus Lehm und begannen durch das Land zu wandern. Ihren Weg erschufen sie sich durch Töne. Indem sie sangen und dadurch Schritt für Schritt und Ton bei Ton Dinge am Weg benannten, entstand ihre Welt und gleichzeitig eine Landkarte, die für jeden Clan über Jahrtausende spezifisch war und ihre eigene Identifikation erschuf. Dabei waren sie immer Teil der gesamten Natur um sie herum und diese wiederum Teil ihrer Familie, ihres Clans. Ein „Ding“ diente aber immer als Leitmarker, als Spezifikum. Das konnte ein Stein, eine Pflanze oder ein Tier sein, wie zum Beispiel das Wallaby beim Wallaby-Clan.

Diese Traumpfade oder besser „Songlines“ sind auch heute noch fester Bestandteil der Aborigines-Kultur. Und zudem Gegenstand anhaltender Dispute zwischen der australischen Regierung und der Urbevölkerung, da die Administration sich die längste Zeit weigerte, bei ihren Bau- und Umsiedelungsplänen auf die Songlines in irgendeiner Form (wie auch auf so vieles andere) Rücksicht zu nehmen. Sehr gut sind auch die Passagen in diesen ersten beiden Teilen des Buches, in den Chatwin die Parallelen zur Genesis anderer, auch westlicher Kulturen aufzeigt.

Das letzte Drittel des Romans besteht fast ausschließlich aus kurzen Notizen, Zitaten und Beobachtungen, was das Lesen eher schwierig, manchmal sogar fast unverständlich macht, da die Botschaften mitunter eher kryptisch sind. Durchgehend erkennbar ist einzig das Bekenntnis Charwins zum Nomadentum, das er als seine einzig akzeptable Lebensform definiert und bei sich auch fast schon genetisch verankert sieht, da mindestens die Hälfte der Männer in seiner Familie „horizontsüchtige Wanderer“ waren, „deren Gebeine in allen Winkeln der Welt verstreut“ liegen. Diese „Unruhe der Seele“ trieb ihn sein restliches Leben an, welches sicher extrem intensiv, aber durch den Tod an AIDS mit 49 Jahren genauso sicher viel zu kurz war.

Gerne werden Bücher über die Kulturen von Ureinwohnern zu flammenden Plädoyers für deren Interessen hochstilisiert. Manche versuchen dies auch bei Chatwins Buch Traumpfade. Wenn man jedoch seine Biographie vor Augen hat und den Tenor des Buches auf sich wirken lässt, spürt man, dass dies Mitte der 80er Jahre nur ein partielles Anliegen des Autors war. Ganz in Hemingway´scher Tradition schimmert da eher ganz oft der Reisereporter und Abenteurer durch, der in seiner ganz eigenen Gelassenheit und Wahrnehmung vor allem einem frönt – dem Entdecken neuer Kulturen durch ein bekennendes Nomaden-Leben. Aber das muss ja auch nicht schlecht sein.


Genre: Gegenwartsliteratur, Reisen
Illustrated by Fischer Taschenbuch Frankfurt am Main