Der Leser im Hausarrest
Im Œuvre von Inger-Maria Mahlke ist «Wie ihr wollt» der dritte Roman, als Finalist des Deutschen Buchpreises 2015 hat er seine Autorin stark in den Fokus gerückt. Der Titel ist ein zeitlicher Hinweis auf Shakespeares «Was ihr wollt», anders als in dessen Lustspiel aber geht es hier um Anerkennung und Selbstbehauptung, Macht und Ohnmacht am englischen Hofe zur Zeit der Tudors. Eine durchaus tragische Geschichte, die von der Ich-Erzählerin ziemlich bös und grimmig erzählt wird. Diese Figur erinnert an Thomas Hettches «Pfaueninsel», auch hier eine kleinwüchsige Frau, räumlich extrem eingeschränkt lebend am Rande der höfischen Gesellschaft, deren Leben und Leiden den erzählerischen Stoff liefert. «Inger-Maria Mahlke erzählt ebenso unbarmherzig wie liebevoll.» schreibt Hettche über seine Kollegin.
Äußerst nützlich, um nicht zu sagen unentbehrlich für die Lektüre des vorliegenden Romans ist die im Vorsatzblatt abgedruckte Grafik, die die wechselvolle Thronfolge der Tudors verdeutlicht und die ergänzt wird durch eine nicht minder wichtige Figurenliste im Anhang. Denn unbekümmert um die historische Vorbildung ihrer Leser und deren kombinatorische Fähigkeiten versetzt die Autorin uns mitten hinein in den Hausarrest ihrer Protagonistin Mary Grey, die ohne Genehmigung ihrer königlichen Cousine Elisabeth I geheiratet hatte und in Ungnade gefallen war. In Tagebuchform, beginnend am 3. September 1571 und endend am 7. November desselben Jahres, zwei Monate umfassend also, berichtet die 26jährige Mary in dieser ersten Erzählebene über ihre bedrückenden Lebensumstände und ihren Kampf um Anerkennung ihrer legitimen Rechte. Sie hat einen theoretischen Thronanspruch als Enkelin der Schwester Heinrich VIII, im Roman «Wahrscheinlichkeiten» genannt, ein Blick auf die Grafik zeigt die ebenso verzwickte wie an Überraschungen reiche Thronfolge, bei der das Beil als grafisches Symbol für Hingerichtete recht häufig auftaucht. In kursiv gesetzten Rückblicken erzählt sie in einer zweiten Handlungsebene ihre Lebensgeschichte, wobei ihre Schwester Jane zunehmend in den Vordergrund rückt. Was eine Chronik der Tudorschen Herrschaft einschließt, in der die konkreten Thronaussichten von einer Art Geburtswettlauf bestimmt wurden.
Neu an dieser Art Geschichtsroman ist die untypische Erzählperspektive, hier werden die historischen Nebenfiguren in den Vordergrund gerückt, stehen nicht schillernde Herrscher oder bravouröse Helden im Mittelpunkt. Das Aufbegehren einer solchen Figur gegen die königliche Willkür des Ignorierens ihrer legitimen Ansprüche, gegen höfische Rituale und politische Ränkespiele führt bei Mary Grey letztendlich aber zu der bitteren Erkenntnis, dass sie selbst wie auch ihre eigene Familie sich ebenso über moralische Grenzen hinweggesetzt hat, die Gunst der Stunde nutzend, wo immer es ging. Bedrückend ist auch ihr Verhältnis zu Ellen, ihrer unverbrüchlich treuen Zofe, an der sie fast sadistisch ihre Frustration auslässt, was die Sympathie des Lesers für die unglückliche Heldin sehr schnell dem Nullpunkt zutreibt.
Sie habe sich einen historischen Stoff angeeignet, schreibt die Autorin in einer Anmerkung zum Schluss, sie sei keine Historikerin und ihr Buch kein historischer Roman. Trotz der erwähnten Hilfestellungen im Buch und parallelen Internetrecherchen verliert der Normalleser bei der Fülle von Adligen, Verwandten oder den geschichtlichen Ereignissen schnell die Orientierung. Wer oder was jeweils gemeint ist bleibt oft fraglich wegen der ebenso sprunghaften wie kryptischen Erzählweise, allenfalls unerschrockene Rätselfreunde dürften das goutieren. Man ist zunehmend verunsichert als Leser, vermisst eine nachvollziehbare Handlung, ärgert sich über eine spartanische Sprache, die das Lesen schnell derart freudlos werden lässt, dass ich am Ende heilfroh war, mich überhaupt bis dorthin durchgebissen zu haben, – der Hausarrest der armen Mary kann kaum schlimmer gewesen sein!
Fazit: miserabel
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