Tage in August

Hier erscheint die deutsche Übersetzung einer Neuauflage, die 2021 erschien. Geschrieben hatte die Autorin das Buch 1953, mit siebzehn Jahren. Sie legte die Handlung in die letzten Jahre des 2. Weltkrieges. Es erschien dann 1962 und wurde ein Erfolg. Im Vorwort von 1998 schreibt die dann über Fünfzigjährige, dass sie es nun wie ein Jugend Foto betrachte.

Und so liest sich Vieles, als schaute man in ein Fotoalbum vergangener Jahrzehnte: Der Vater fährt mit zwei Kindern weite Strecken mit dem Motorrad, Abschiedsfotos werden im Fotostudie gemacht—und am Abend des nächsten Tages abgeholt. 

Und wichtig sind die Mahlzeiten, obwohl aufgrund des Krieges Vieles entbehrt wird, werden die Menüs zubereitet und in Gesellschaft verspeist. Und wichtig ist der Kaffee, selbst aus Zichorien, der dann als Getreidebrühe beschimpft wird. Alle rauchen und bieten sich Zigaretten an oder bitten um Feuer. 

Und für Kinder ist es die inzwischen nun vergangene Rolle des Katholizismus. Anna und der kleine Bruder Giovanni werden für die Ferien, der italienische Titel ist „la vacanza,“ aus dem Nonnenkloster abgeholt. Sie müssen dort seit dem Tod der Mutter leben. Sie leiden unter der Kälte der Gefühle der Nonnen und den ungeheizten Räumen, dem schlechten Essen und vor allem unter der Frömmelei, wenn alles, was interessant scheint, eine Sünde ist. Auch während der Ferien kommen Anna immer wieder Erinnerungen an Erlittenes zurück. 

Kurz vor der Ankunft berichtet der Vater, dass sie nun Nina, seine Partnerin, kennenlernen werden. Giovanni fremdelt trotzig, Anna guckt sich alles an. Und sieht eine Welt der Männer. Das beschreibt sie  akkurat und nimmt es, wie es ist. 

Mit dem kleinen Bruder kommt sie in dessen Kreise rivalisierender kleiner Machos. Eigentlich will sie ja erfahren, was Sex, die Rückseite des Buches nennt es Liebe, ist, aber wenn Burschen sich ihr wild nähern, wehrt sie sich heftig. Mal steigt sie mit Gigio ins Auto, muss hören, dass er Jungens mag und Frauen gar nicht. Immerhin zieht er ihr die Bluse aus, lobt und streichelt ihren schönen Rücken.

Ganz beiläufig berichtet er, dass er Bühnenbildner ist und gerade in Rom eine Bühne für Francesca di Rimini baut, für die Deutschen, die er mag, weil sie die italienische Oper mögen. Und immer wieder fliegt ein Flugzeug über sie hinweg.

Natürlich gibt es auch Frauen, Nina, die Giovanni bemuttert und für alle kocht, mal versucht, Tipps für Aussehen von Anna zu bekommen und gerne Poker spielt. Oder die Frau Pompeo, die mit ihrem Mann zum Poker kommen. Deren Sohn Armando (Jahrgang 1925) wird eingezogen; dann streiten sich die Eltern: der Vater ist stolz, denn nun wird er ein Mann, die Mutter behielte das Söhnchen lieber für sich. Und als Vorbilder spielen ja die Nonnen keine Rollen.

Sie geht gerne ins Strandbad, schwimmt im Meer, das jeden Tag andere aussieht—und immer wieder kommen Flugzeuge. Armando, der Kettenraucher, hört am Klang, dass es Amerikaner sind. Hier an der Küste ist man sicher, sie fliegen alle nach Rom. Ob man dahin noch zurückkann?

Aber, ob sie nun weiß, was Sex ist, bleibt ein verschämtes Geheimnis. Einmal will Armando, dass sie sich auszieht, und flieht dann ins Meer. Wenn sie einen alten reichen Mann in dessen Wohnung besucht, wird nur berichtet, dass sie ihre Kleider ablegt und er ihr dann im Album zeigt, wie schön er damals war. 

Im italienischen Original, das ich auch las, ist Anna elf Jahre alt. Dacia Maraini hat gewünscht, dass sie für diese deutsche Ausgabe vierzehn sei. Nun habe ich, die Rezensentin, nicht in der Vierziger Jahren des letzten Jahrhunderts mit einem italienischen Mädchen sprechen können, aber zu Annas Verhalten passte das Vorpubertäre besser.

Im erwähnten Vorwort schreibt die Autorin: „Bin ich wirklich dieses junge Mädchen, das die Welt aus dieser distanzierten und erstaunten Perspektive erzählt, oder bin ich es nicht? Was ist aus diesem Stil geworden, der Vorliebe, die Details haargenau zu schreiben, ohne sie als Teil eines großen Ganzen zu begreifen?“

Was ist das große Ganze? Auch wenn auf der Rückenseite des Buches von „dunklen Schatten“ eines flirrenden italienischen Sommers geschrieben steht und von „den gierigen Blicken der Männer,“ so stört sich Anna nicht daran. Sie will wissen, wie diese Welt ist und sucht ihren Platz darin.

Da ist aber ein Krieg, die Familie und ihre Freunde sind auf Seiten Mussolinis, sie achten die Deutschen und fürchten sie auch.  Angst hat man vor den Alliierten mit ihren donnernden Flugzeugen und vor Partisanen.

Und als die Kinder ins Kloster zurückgebracht werden, auf dem Motorrad im strömenden Regen,

begegnen sie einem Barista, der anlässlich vom Zichorienkaffee über den Krieg schimpft. Nach einem Gespräch warnt der Vater ihn, er könne Gott danken, dass er kein Spion ist. „Ich habe keine Angst. Die Zeit für Euch Faschisten ist abgelaufen.“

Aber Anna und Giovanni hilft das erstmal nicht, sie müssen zurück zu den Nonnen.


Genre: Roman
Illustrated by Unionsverlag

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