Einer meiner Bekannten hat sämtliche Folgen der »Lindenstraße« gesehen – und zwar von der ersten Sendung im Dezember 1985 an – und er schaltet immer noch ein. Es scheint da einen Suchtfaktor zu geben, der mich bislang verschonte, obwohl mir Süchte alles andere als fremd sind. Bislang habe ich jedenfalls noch keine Episode dieser Endlos-Reihe, die unter ihren Fans Kult-Status genießt, gewidmet. Schlimmer noch: Ich schaue mit gewisser Hochnäsigkeit auf diejenigen, die keine Tele Novela auslassen.
Diese Fremde mag einer der Gründe sein, warum ich zu diesem Text von Michael Meisheit, der seit 15 Jahren als Autor für die Serie tätig ist, gegriffen habe. Gleichzeitig aber spielte eine fette Portion Neugierde mit, zu erfahren, wie es denn wohl »hinter den Kulissen« einer Produktion zugeht, die Seifenopern schreibt. Denn da bietet »Soap« einen geradezu klassischen Einstieg ins Thema.
Der Autor versteht es, seine Erzählung formal mit 26 Kapiteln wie in einer Drehbuchstaffel zu komponieren, jede Menge Cliffhanger einzubauen und linear zu erzählen. Er schreibt darüber hinaus inhaltlich eine eigene Soap. Dabei geht es um den holprigen Einstieg eines Drehbuchautors in ein Produktionsteam. Der Neuzugang verliebt sich in eine wunderhübsche Kollegin, die aber wiederum in den Händen des Chefautors ist. Der reagiert auf den Rivalen alles andere als erbaut. Als Bonbon kommt eine vom Autor etwas antiquiert als »Sexbombe« bezeichnete blutjunge Schönheit hinzu, die dem Protagonisten verfällt. Weil er sie zwar leidenschaftlich gern besteigt, jedoch nicht »liebt«, will er sie loswerden, um sich für die andere Dame »frei« zu halten. Die Melange endet nach einigen Turbulenzen in einem wirklich schrägen Szenario, das der sexuellen Beziehung zwischen Siegmund und Sieglinde in Richard Wagners Oper »Die Walküre« entspricht. Also: Aus männlicher Sicht mit viel Bums erzähltes großes Theater!
Eigentlich ist es wurscht, wer bei Meisheit mit wem in der Horizontalen landet. Ihm geht es darum, den Leser bei der Stange zu halten, und das schafft er mit scheinbar leichter Hand. Gleichzeitig bringt er thematisches Hintergrundwissen ein und führt dies anhand seiner Figuren vor. Er behauptet zwar, »nur Stoiker oder Geisteskranke« würden den Beruf des Drehbuchautors wählen, lässt aber offen, zu welcher der beiden Gruppen er sich selbst zählt. Jedenfalls braucht ein Drehbuchautor ein dickes Fell, denn für das Herzblut, das er seinem Personal in die Worte legt, wird er pausenlos in Frage gestellt und sogar beleidigt. Lächelnd hat er dies anzunehmen, um dann nach Hause zu gehen und brav den mühsam erstellten Text ein- und umzuarbeiten. Ein Drehbuchautor muss wohl auch geborener Masochist sein.
Ein Schreiber von Fortsetzungsgeschichten muss sich bemühen, simple Probleme groß aufzublasen, mit denen sich Millionen Zuschauer später am Bildschirm identifizieren können. Eines davon illustriert Meisheit anschaulich in seinem Text: Ein Mensch liebt einen anderen, doch der erwidert die Liebe nicht. Dabei muss er den »Realitätsanspruch« erfüllen, der für das Schreiben der Serie gilt. Geradezu akribisch überwacht nämlich später der Zuschauer, ob der geschilderte Ablauf auch tatsächlich so oder so gewesen sein kann. Entsprechendes Gewicht kommt den Dialogen zu, die vieles erklären müssen, was schon aus Kostengründen nicht gezeigt werden kann. Dabei spielt der Subtext eine entscheidende Rolle, also jene Aussage, die zwar nicht direkt getätigt wurde, jedoch in den Köpfen der Zuschauer aufgrund des Spielgeschehens haften bleibt. »Eine Dialogszene«, so Meisheit, »ist immer dann besonders gut, wenn das Gesagte nicht mit dem Gemeinten identisch ist«.
Erzählt der Autor »zum ersten Mal die Geschichte eines Menschen mit einer eigentümlichen Krankheit, so ist einem das Wohlwollen der Kritiker sicher. Erzählt man zum hundertsten Mall, wie zwei sich lieben, die das nicht dürfen, dann hat man die Massen vor den Bildschirmen. Angst und Sensationsgier im Angesicht der drohenden Aufdeckung, der Nervenkitzel gepaart mit der über allem stehenden Kraft der Liebe: Das sind die Geschichten, die die Gemüter immer wieder aufs Neue bewegen.« – In »Soap« erzählt Meisheit nun genau eine solche Beziehungsgeschichte und lässt dabei nichts aus.
Stoiker, Geisteskranker oder Masochist? – Meisheits Alter Ego nennt als einen der Gründe, warum er Drehbuchautor geworden ist, seinen Wunsch, »viele Leben leben zu können. Nicht so, wie ein Schauspieler es tut. Ich stelle nicht dar. Nein, ich spiele diese Leben in meinem Kopf durch. Ich versuche zu verstehen, was in den Menschen vorgeht, versuche, ihr Leben mit ihren Augen zu sehen. Ihre Wünsche, ihre Ängste, ihr Leid, ihre Hoffnungen«. Und so wird der Autor »ein kleiner Gott. Ein Gott für seine Figuren, für sein Drehbuch. Für seine Serie.«
Es ist nicht leicht, ein Gott zu sein. Wer »Soap« liest, miterlebt die Irrungen und Wirrungen des Lebens in verdichteter Form. Altmeister Egon Erwin Kisch, Vorbild vieler Reporter, brachte es auf den Punkt: »Nichts ist verblüffender als die Wahrheit, nichts exotischer als unsere Umwelt, nichts phantastischer als die Wirklichkeit«.
Ob ich nach der Lektüre von »Soap«, die mir vergnügliche Stunden bescherte, die nächste Folge der »Lindenstraße« einschalte? – Ich bezweifele es, denn vom hohen Ross des Kritikers in die Niederungen der schlammigen Ebene der Gebrauchsliteratur abzusteigen, verlangt ein profanes Gemüt, das mir wohl fehlt, um es mit einem Augenzwinkern selbstkritisch zu sagen.
Insofern stellt sich mir auch weniger die Frage, wie der Autor von Fortsetzungsgeschichten seine Themen findet, denn die serviert ihm das Leben in mannigfaltiger Form. Mich fasziniert, wie man es als Autor schafft, derartige Themen so zu schreiben, dass eine Millionenschar unbedingt wissen will, wie es weiter geht und deshalb treu und brav die Glotze einschaltet, um den Fortgang der scheinbar unendlichen Geschichte zu verfolgen. Und zu dieser Frage hat mir »Soap« einige Antworten beschert.