Die Lust am Ehebruch
Emma, Anna und Effi heißen die drei großen Frauengestalten, die in den berühmten Romanen von Gustave Flaubert, Lew Tolstoi und Theodor Fontane als Ehebrecherinnen im Mittelpunkt stehen. «Madame Bovary», 1857 erstmals in Buchform erschienen, markiert dabei den Übergang vom romantischen Roman zum realistischen, eine literarische Zeitenwende. Wegen unmoralischer Verherrlichung des Ehebruchs wurde Flaubert denn auch prompt der Prozess gemacht, obwohl der beanstandete Vorabdruck in einer Zeitschrift bereits entsprechend zensiert war. Nach seinem Freispruch hat der Autor dem nun ungekürzt veröffentlichten Roman die Plädoyers von Staatsanwalt und Verteidiger sowie das Gerichtsurteil im Wortlaut beigefügt.
Die schöne Emma, aus einfachen, bäuerlichen Verhältnissen stammend, heiratet den farblosen Landarzt Charles Bovary, an dessen Seite sie sich ein besseres, aufregenderes Leben erhofft. Vergebens allerdings, der dröge, kleinbürgerliche Alltag ihrer Ehe bedrückt sie zunehmend, löst Depressionen bei ihr aus. In Léon, einem in der Nachbarschaft wohnenden Kanzleiangestellten, findet sich ein junger, wie sie selbst an Literatur und Musik interessierter Mann, der sie unbeholfen umschwärmt, ohne dass er sich traut, sich ihr zu nähern. Als er beruflich bedingt fortzieht, verfällt sie in einen hemmungslosen Kaufrausch, mit dem sie ihre unerfüllte Sehnsucht nach Liebe zu kompensieren sucht. Bis sie schließlich in Rodolphe, dem reichen Don Juan der Provinz mit eigenem Schloss, einen Liebhaber findet, mit dem sie sich in eine wilde Liaison stürzt. Als sie ihn zu Flucht überreden will, um der bedrückenden Enge ihres Lebens zu entfliehen, verlässt er sie kurzerhand. Im Theater von Rouen trifft sie einige Zeit danach Léon wieder, die Beiden beginnen eine heiße Affäre, die ihren Anfang in einer wahrlich meisterhaft erzählten Fiakerszene nimmt. Während die später im Hotelzimmer ausgelebte, anfangs hemmungslose Leidenschaft für Emma allmählich an Reiz verliert, nehmen zuhause die von ihr ausgelösten finanziellen Probleme immer bedrohlichere Ausmaße an. Als sie in äußerster Not Léon zu einer Straftat anstiften will, um der drohenden Pfändung zu entgehen, wendet Léon sich entsetzt von ihr ab. Verzweifelt nimmt Emma daraufhin Arsen und stirbt jämmerlich.
Die Vorliebe von Flaubert für seine «unmoralische» Thematik ist in seiner eigenen Biografie angelegt, er wusste aus leidvoller Erfahrung, wovon er schreibt. «Diese Moral brandmarkt die realistische Kunst, nicht weil sie Leidenschaften malt, […] sondern weil sie ohne Zügel malt, ohne Maß. Kunst ohne Regeln ist nicht mehr Kunst; das wäre wie eine Frau, die alle Kleider ablegt.» Auch wenn wir heute nur müde lächeln über diese Sätze aus dem staatsanwaltlichen Plädoyer, feiert Flaubert doch ziemlich unverhohlen den besonderen Reiz des Verbotenen in seinem Roman. Denn Emmas Leidenschaft speist sich zu einem nicht geringen Teil eben auch aus dem Tabubruch, den sie ganz bewusst begeht, eine insoweit hemmungslose Lebensgier, die sich partout keiner Moral beugt.
Fünf Jahre hat Flaubert an seinem Erstling gearbeitet, in seinem schier grenzenlosen Streben nach erzählerischer Perfektion ist ihm dabei ein Meisterwerk gelungen. Als personaler Erzähler enthält er sich aller Kommentare, beschreibt einprägsam und stimmig seine verschiedenen Figuren, erzählt mit viel Liebe zu Detail die wohldurchdachten Szenen seines Plots und überlässt seinen Lesern sämtliche Wertungen. Seine Sprache ist in Satzbau, Rhythmus und Wortwahl genial durchkomponiert, sie sucht als begeisternde Erzählkunst ihresgleichen bis in unsere Tage hinein. Dass Emma in ihrer Getriebenheit sozusagen mit dem Tode bestraft werden musste vom Autor, ist zweifellos auf die Entstehungszeit dieses großen Romans zurückzuführen, heutzutage könnte eine Selbstverwirklichung dieser Art, ein verzweifelter Ausbruch aus der als grausam empfundenen Mittelmäßigkeit, weniger moralinsauer durchaus auch anders enden, – damals undenkbar.
Fazit: erstklassig
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