Der Traum, ein Star zu sein
“Candace kann singen – und zwar richtig gut. Nur weiß kaum jemand davon. Genauso wenig wie von ihrer Begeisterung für K-Pop. Heimlich nimmt die 15-Jährige an einem Casting teil – und ergattert prompt einen Trainee-Platz bei der weltgrößten K-Pop-Schmiede in Seoul. Eine Riesenchance!
Doch die Ausbildung ist hart, mit strengen Regeln und unerbittlichen Trainern, die Candance an ihre Grenzen bringen. Und als sie YoungBae kennenlernt, den sie wegen des strikten Dating-Verbotes eigentlich nicht treffen darf, beginnt sie zu zweifeln. Kann sie sich selbst treu bleiben und gleichzeitig ein K-Pop-Star werden?” (Inhaltsangabe des Verlags)
Unmenschlicher Drill
Die in sich abgeschlossene deutsche Erstausgabe hat es in sich, und zwar in mehrerlei Hinsicht. Das Cover deutet es schon an: Das, was man in der Öffentlichkeit zu sehen bekommt, ist leichtfüßig und soll gute Laune verbreiten – damit die Kasse klingelt. Wie das Pink und helle Blau im Cover ist es aber nur ein Bruchstück dessen, was K-Pop ausmacht: Der größte Teil (im Cover dunkel bis schwarz) ist der harte Teil des Trainings eines Trainees und später des unter (Knebel-)Verträgen stehenden Pop-Stars, dem letztlich keine Rechte zugesprochen werden. Er gehört buchstäblich seinem Label und seinen Fans.
Die Trainingsmethoden kann man ungeschminkt als Folter bezeichnen: permanenter Schlaf- und Essensentzug sollen vordergründig fitte und schlanke Tänzer*innen hervorbringen, hintergründig sorgen sie aber durch den permanenten Hunger und die Erschöpfung für ein Verhalten, das Aufbegehren unmöglich macht. Ebenso das konsequente Anbrüllen und Entwerten der Trainees, das ihnen das Selbstbewusstsein rauben und sie zu widerstandslosen Puppen machen soll. Der Schlaf- und Essensentzug ist perfide und gesundheitsschädlich: Nur 4 Stunden Schlaf pro Nacht wird den Jugendlichen zugestanden! Den Rest des Tages (und der Nacht) verbringen sie mit Unterricht und stundenlangem harten Training. Und das angeblich gesunde Essen besteht (v.a. für die Mädchen) aus Ei und Süßkartoffeln zum Frühstück, in der harten Variante nur aus einer Süßkartoffel, weil gerade die Mädchen angeblich zu fett sind!
Das muss man sich mal vorstellen: Die sich im Wachstum befindlichen Jugendlichen (v.a. die Mädchen, die sich entwickeln und ihre Periode bekommen) verhungern wegen Mangelernährung vor aller Augen bei den wenigen Kalorien, die sie zu sich nehmen dürfen und die sofort durch das extrem harte Training wieder verbraucht werden! Die Jungen werden zwar auch nicht mit Samthandschuhen angefasst, scheinen aber trotzdem mehr Privilegien zu genießen als die Mädchen. Diskiminierung ist anscheinend Alltag in der K-Pop-Schmiede. Der Psychoterror, dem die Trainees permanent unterliegen, tut sein Übriges zu der alles andere als gesunden Arbeitsatmosphäre, bei der jedes Menschen- und Kinderrecht, allen voran das der Würde, gebrochen wird. Mir kamen beim Lesen unwillkürlich Vergleiche mit den Arbeitslagern der diversen Ideologien.
Dazu ein paar Zitate aus dem Buch:
“Obwohl ich in meiner ersten Woche bestimmt nicht mehr als drei Stunden pro Nacht geschlafen habe, kann ich eigentlich nicht behaupten, dass ich müde bin. Ein Gefühl der Panik versetzt mich ständig in höchste Alarmbereitschaft.”
“Mr Choi gibt uns das Gefühl, Puppen zu sein, mit denen er spielt.”
“Ich fühle mich so beurteilt. Grelle, heiße Scheinwerfer sind auf mich gerichtet, ein berühmter Modefotograf verweist auf meine Makel, mustert jede meiner Bewegungen und Gesichtsausdrücke. Keines der anderen Mädchen macht den Mund auf und Managerin Kong ebensowenig: Sie tippt auf ihrem Handy herum. Doch der Hauptgrund: Ich bin verdammt hungrig und erschöpft. Diese ganze Schönheitssession hat so lange gedauert, dass wir Mittag- und Abendessen haben ausfallen lassen, und ich bin kurz davor umzukippen.”
“Niemals würde sie sich anmerken lassen, dass ihr vom vielen Bleichen die Kopfhaut brennt, ihr von den Kontaktlinsen die Augen jucken und sie unter den vielen Schichten ‘Natural Look’-K-Beauty-Makeup aussieht, als hätte sie seit Wochen nicht geschlafen – denn das hat sie nicht.”
“Dann dämmert es mir: K-Pop ist kein bisschen anders als Hollywood; es ist immer die Frau, die die Konsequenzen tragen muss. One.Js Namen wird nicht von Hatern skandiert, aber QueenGirl musste sich auflösen. Für HyunTaek und RubiKon läuft alles weiter wie bisher, während Iseuls Kariere ruiniert ist und WooWee nur verzweifelte Versuche unternehmen kann, um zu überleben.”
Erinnern an die Menschenrechte
Candace’ Mutter, von der ihre Tochter anfangs wenig hält, die sich aber im Laufe des Romans als starke Frau entpuppt, gibt ihr die entscheidenen Worte mit auf den Weg:
“Wenn dich hier irgendjemand schikaniert oder verletzt, dann finde bitte einen Weg, es mir zu sagen.”
“Vergewissere dich, dass sie dich wie jemanden behandeln, der das Wichtigste in jemandes Leben ist. Denn das bist du.”
Daran hält sich Candace. Sie beobachtet das Ganze, macht es bis zu einen gewissen Grad auch mit, bis sie erkennt, dass man andere Menschen so nicht behandeln darf und beschließt, ein solch menschenverachtendes System nicht mehr zu stützen. Damit ist sie Vorbild, um den Teufelskreislauf der “Hoffnungsfolter” (Hwemang Gomun) zu durchbrechen. Dieser Begriff meint, “dass die Hoffnung auf Erfolg aufrecht erhalten wird, einem aber immer mehr und mehr abverlangt wird, und man am Ende dennoch nicht weiß, ob man sein Ziel erreicht.” Auf dieser Hoffnungsfolter gründet das ganze ausbeuterische System der K-Pop-Industrie, das der Roman wunderbar offenlegt.
Durch die Figur von Candace verfolgen die Leser*innen bis ins Detail, wie die menschenverachtende K-Pop-Maschinerie funktioniert, wie sie am Laufen gehalten wird – und wie sie gebrochen werden kann. Denn auch die Fans sind Teil der Maschinerie, die das System am Laufen halten.
Fazit
Der Verdienst dieses Buches: Es macht den dunklen Sumpf, die üblen Missstände (im Buch bildlich dargestellt durch die von der Außenwelt abgesperrte Trainee-Etage, die einem trostlosen Bunker gleicht) sichtbar, dem die Trainees und Idole (v.a die weiblichen) permanent hilflos ausgesetzt sind. Die Hauptfigur Candace macht es vor, wie man sich verhalten sollte, wenn einem alle Rechte geraubt werden: Sie begehrt dagegen auf, prangert in aller Öffentlichkeit die Missstände an und steigt genauso öffentlichkeitswirksam aus. Sie nutzt ihre Beliebtheit, die sie sich schon erworben hat, um für Menschlichkeit zu kämpfen. Candace’ Mutter ist ebenso mutig: Sie stellt sich wie eine kampfbereite Bärin vor ihre Tochter, als der wütende CEO ihr an den Kragen will. Die Branche verhält sich gegenüber Frauen und Mädchen diskriminierend und im Buch sind es (wie im wahren Leben) die Frauen, die Stärke beweisen.