Wenn es in unseren Zeiten ein schreibendes Gewissen gibt, dann trägt es den Namen Richard Powers. Es gab in den letzten Jahren kein heißes gesellschaftliches Eisen, das dieser Autor mit seiner intellektuellen Vielseitigkeit nicht angefasst hätte. Seine beruflichen Tätigkeiten als Lehrer an einer internationalen Schule in Bangkok und später als Programmierer sowie seine Studiengänge in Physik und Literatur waren neben seiner unbestreitbaren literarischen Begabung hervorragende Voraussetzungen, um naturwissenschaftliche und philosophische Themen für eine breite Leserschaft aufzuarbeiten. Erkenntnisse der Gehirnforschung und ihre psychologischen Implikationen zeigt er in „Das Echo der Erinnerung“ am Beispiel eines hirnverletzten Unfallopfers auf. In „Klang der Zeit“ verknüpft er seine Kritik am amerikanischen Rassismus und seine Sympathie mit der Bürgerrechtsbewegung geschickt mit einer Familiensage und breitet gleichzeitig seine fundierte Begeisterung zur Musik aus. In „Die Wurzel des Lebens“ kämpfen neun Protagonisten um den Schutz der Bäume vor Abholzung.
Und nun „Das große Spiel“.
Wieder hat sich Powers großen Themen verschrieben – der Rettung der Meere und der Künstlichen Intelligenz.
Die Freunde Rafi und Todd kann während ihrer Studienzeit nichts trennen, vor allem die Begeisterung für geistig herausfordernde Spiele wie Schach und Go schweißt sie zusammen. Daran ändert sich auch zunächst nichts, als die Polynesierin Ina Aorita zu Rafis Freundin wird. Erst als Ina sich bei Todd eine Brust zum Ausheulen sucht, Todd kurz danach mit der Erfindung eines Internet-Spiels zum Multimillionär wird (Mark Zuckerberg dürfte Modell gestanden sein) und Rafi an der Idee finanziell partizipieren möchte, geht die Freundschaft in die Brüche. Parallel dazu schildert Powers den Lebenslauf der Ozeanografin und begeisterten Taucherin Evelyn, die sich bis ins hohe Alter in den Tiefen des Ozeans am wohlsten fühlt. Auf der Südsee-Insel Makatea kommt es zu einer Art Showdown, weil dieses polynesische Eiland als Sprungbrett und Basis für die Besiedelung des Ozeans durch überdimensionale Plattformen auserkoren wurde.
Man merkt diesem Buch wie allen anderen Powers-Romanen an, dass hier ein Mann mit Sendungsbewusstsein unterwegs ist. Hier will jemand etwas bewegen, will aufzeigen, will Verständnis wecken, will aufwühlen, will aufrütteln.
Powers selbst wollte Ozeanograf werden. Er brilliert mit einem exzellenten Fachwissen über die Weltmeere und ihre Bewohner, die einen ein ums andere Mal in den Bann ziehen. Er lässt seitenlang Fische, Plankton und Kraken auftreten, beschreibt ihre Farben, ihre Eigenarten, ihr Verhalten. Das Buch wird zum Ozean oder zumindest zum Aquarium. Da muss wohl auch dem letzten klar werden – diese Ozeane muss man retten und nicht noch weiter zerstören. Die Meere spielen ökologisch und flächenmäßig so eine große Rolle, das dieser Planet nach Powers eigentlich nicht „Unsere Erde“ heißen dürfte, sondern „Unser Ozean“. Und den gilt es mit allen Mitteln zu retten. Okay, Botschaft angekommen.
Trotz des subtil erhobenen Zeigefingers kann Powers wie immer auch unterhalten. Genau das ist es ja, was einen mitzieht. Da sind die schön entwickelten Beziehungsgeflechte, die zwischenmenschlichen Konflikte, die scharf gezeichneten Charaktere.
Manchmal wirken die Plots jedoch etwas hölzern, etwas zu sehr konstruiert, sodass man sich als (kritischer) Leser unweigerlich die Frage stellt, was Powers wohl beim Schreiben wichtiger war – die Story oder die Message. Allzu oft scheint das Manöver leider etwas zu durchsichtig. Da ist dann doch wieder der Lehrer Richard Powers, der für seine Schüler/Leser den Stoff der heutigen Stunde in nette Geschichten gepackt hat. Aber das ist zugegebenermaßen ein Klagen auf hohem Niveau.
Einen faktischen Kritikpunkt kann man dem Autor – sorry, Richard! – jedoch bei diesem Roman nicht ersparen. Leider kommen immer wieder verwirrende und/oder störende Logikfehler vor. Warum soll Rafi für eine in einem belanglosen Gespräch fallen gelassene Randbemerkung Rechtsansprüche auf Todd’s Gewinn haben? Und sehr abstrus: Eher nebenbei erwähnt Powers, dass Rafi und Evelyn eigentlich schon lange tot sind, bevor sich alle auf Makatea dann doch treffen. Lebendig? Tot? Alles Fiktion durch KI? Oder wie jetzt? Auch ein Globus namens Ozean kommt nicht ohne Logik aus und gerade davon hat eine KI manchmal mehr als ein enthusiastisch-idealistischer Autor.