Eine Stilistin der Einsamkeit
Aus dem umfangreichen Œuvre der französischen Bestseller-Autorin Françoise Sagan ragt der Roman «Bonjour tristesse» besonders hervor. Ihr Erstling von 1954, den sie als siebzehnjährige Studentin in nur sieben Wochen geschrieben hat, ist nicht nur ihr erfolgreichstes, der Roman ist auch ihr bekanntestes Werk. In einer «Le Monde» Umfrage von 1999 nach dem besten Buch des Jahrhunderts liegt es auf Platz 41 der Bücher, die den 17.000 beteiligten Lesern im Gedächtnis haften geblieben sind. Man glaubt es kaum, dass dieser vielfach ausgezeichnete, millionenfach verkaufte, in viele Sprachen übersetzte und 1958 von Otto Preminger verfilmte Roman damals wegen seiner Unmoral heftiger Kritik ausgesetzt war, er verstieß gegen die drögen Moralvorstellungen konservativer Kreise in diesem katholisch geprägten Land.
«Ich zögere, diesem fremden Gefühl, dessen sanfter Schmerz mich bedrückt, seinen schönen und ernsten Namen zu geben: Traurigkeit». Der erste Satz enthält auch hier, wenn man Edgar Allan Poe folgt, schon die Quintessenz der erzählten Geschichte. Dem sorglosen Leben der 17jährigen Cécile, die mit ihrem Vater und dessen junger Gespielin Elsa unbeschwerte Sommerferien an der Cote d’Azur verbringt, droht ein jähes Ende, als plötzlich Anne auftaucht, eine Freundin der vor fünfzehn Jahren verstorbenen Mutter, die erfolgreich ihren Vater bezirzt. Spontane Heiratspläne der beiden Vierzigjährigen verändern schlagartig das bisherige dolce far niente, entfremden sie ihrem eine neue Ehe bisher strikt ablehnendem Vater, beenden auch abrupt das vertrauensvoll kumpelhafte Einverständnis zwischen ihnen, – Cécile ist unendlich traurig.
Aber sie ersinnt eine List, um die drohende Eheschließung zu verhindern, wobei die schmählich abservierte Elsa und der von Anne aus dem Haus verbannte, deutlich ältere Jurastudent Cyril, Céciles erste Liebe, bei dem sie gleich auch ihre Jungfräulichkeit verliert, die entscheidende Rolle übernehmen. Sie geben sich nämlich als verliebtes Paar aus, um Eifersucht und den Jagdinstinkt des casanovagleichen Vaters zu wecken. Der Frauenheld fällt auch prompt darauf herein und löst damit ungewollt ein dramatisches Finale aus. In Paris dann scheint das unbeschwerte Leben von Vater und Tochter weiterzugehen, alles ist wie früher, wären da nicht die nächtlichen Erinnerungen an diesen Sommer, bei denen etwas in Cécile aufsteigt, wie es im letzten Satz heißt, «das ich mit geschlossenen Augen empfange und bei seinem Namen nenne: Traurigkeit – komm, Traurigkeit». Ihr schlechtes Gewissen wird sie nun wohl ihr Leben lang begleiten, – vergleichbar perfide ist übrigens der intrigante jugendliche Held im deutlich amüsanteren Roman «Lob der Stiefmutter» von Mario Vargas Llosa mit gleicher Thematik.
Es ist die federleichte Sprache, in der diese melancholische Geschichte erzählt wird, aus einer fast noch kindlich naiven Perspektive der völligen Sorglosigkeit heraus, die ich besonders beeindruckend fand. Das Einfühlungsvermögen der Autorin in ihre damals gleichaltrige Protagonistin ist jedenfalls erstaunlich. Françoise Sagan zeichnet in kurzen Sätzen mit einfachen Worten, darin Hemingway ähnelnd, treffsicher ein psychologisch glaubwürdiges Bild ihrer sympathischen Romanfigur, deren entwaffnende Naivität ihre rücksichtslos egoistischen Ziele derart übertüncht, dass man ihr alles verzeiht als Leser. Der existentialistische Roman ist Ausdruck eines Lebensgefühls, welches die als «Stilistin der Einsamkeit» apostrophierte Schriftstellerin wie kein anderer mehrfach in ihren Werken beschrieben hat. Ihre von keinen Geldsorgen geplagten Figuren gehören der «armen, abgestumpften Rasse der Genussmenschen» an, wie es im Roman heißt, die damals, anders als in der Spaßgesellschaft unserer Tage, noch nicht derart dominant war. Insoweit ist «Bonjour tristesse» auch das Zeitzeugnis einer vergangenen Epoche, der schmale Band gehört ohne Zweifel zu den immer noch lesenswerten Klassikern der Weltliteratur.
Fazit: erfreulich
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