Mariam Lau beobachtet seit Jahren insbesondere die CDU und schreibt darüber in der ZEIT, manchmal tritt sie in Talk Shows auf. Auf der Rückseite des Buches steht ihre Fragestellung: Ein Konservativer im Aufbruch—oder auf Abwegen?
Das Buch sollte zur geplanten Bundestagswahl erscheinen, das Ampel Aus kam dazwischen; nun schreibt sie auch über das Hin und Her des –inzwischen–Kanzlers, über Wahlversprechen und wie schnell sie gebrochen wurden.
Dabei gibt sie, obwohl einige Jahre jünger als Merz, die verständnisvolle Mutter, die seine Schwächen sieht, und vermittelt: der gibt sich doch Mühe, das muss/kann noch werden.
Also fange auch ich als Rezensentin mit den Stärken an: Als der Wirtschaftsjurist, noch zu Kohls Zeiten, im Europaparlament tätig war, lernte er die Rolle der kleinen Staaten schätzen.
Er geht empathisch auf Gruppen zu, die weit außerhalb seiner Heimatblase leben.
Er sieht die Gefahren der Klimakrise deutlich, anders als sein US-Counterpart Trump. Als Transatlantiker erkennt er, dass die in den US-Regierenden Europa nun als Konkurrenten sehen, den es zu schwächen gilt, und er will Europa stärken, vor allem, um seine Verteidigung leisten zu können.
Und als er im Bundestag gegen die Kriminalisierung der Vergewaltigung in der Ehe stimmte, meinte er es nicht so—immerhin hat er die CDU dazu gebracht, sich eine Frauenquote zu geben.
Als Schwächen kommen immer mal unangemessene Ausrutscher, wie die “kleinen Paschas“, die er dann wortreich relativiert.
Dazu gibt es viele Beispiele, oft mit Zitaten, auch der Reaktionen darauf. So lernt man beim Lesen viele Akteure der Jetztzeit besser kennen. Da ist Frey (nur Positives!), Spahn, Strack-Zimmermann, Scholz, schmal lippisch und nicht bereit, Verantwortung zu übernehmen, aber auch Anja Rehlinger, die schon vor den Koalitionsgesprächen der aktuellen Koalition Wirtschaftswissenschaftlicher zusammenbrachte, die die Grundlagen für die neue Schuldenpolitik bereiteten.
Überhaupt, welche Richtung nimmt der als Ordnungsliberaler Bekannte ein? Im Vorwort seines 2008 verfassten Buch „Mehr Kapitalismus wagen“ heißt es: „Es ist die Politik, welche die Hauptverantwortung dafür trägt, dass aus dem selbstbestimmten und eigenverantwortlichen Menschen ein durch Bürokratie gegängelter und von Transfer Leistungen abhängiger Nutznießer eines an die Leistungsgrenzen gelangten Sozialstaats geworden ist.“ Linnemann und Amthor sähen es ähnlich, aber bewegt sich die CDU nicht auch in Richtung Keynes?
Besonders interessant fand ich die Auseinandersetzung mit der AFD-Brandmauer, als Mario Voigt in Thüringen ein Interview mit Höcke gewagt—und bestanden hatte.
Oder den Auf- und Abstieg vom BSW, die den Begriff des Friedens monopolisiert hatte, und als auch SPD-Minister der Ostländer in Richtung bedingungslosen Friedens argumentieren: Merz dazu:
„Frieden finden Sie jedem Friedhof. Es ist unsere Freiheit, die wir verteidigen müssen.“
Früher hatte Frau Lau auch viel mit den Grünen gesprochen und darüber berichtet. Hier sieht sie klare Positionen, etwa die Bedingungen für die Zustimmung zu neuen Schulden; und kritisiert das Grünen-Bashing von CSU, FDP, und den anderen. Aber dieses Wokesein…wird kurz angeschnitten.
Obwohl etwas lang, möchte ich aus dem letzten Absatz zitieren: „Die regelbasierte internationale Ordnung liegt in Scherben. Militärexperten nennen die aktuelle Phase „Vorkriegszeit“. „Wir wollen und wir werden den Wandel in der Welt für Deutschland mitgestalten“, hatte Merz zu Vorstellung des Koalitionsvertrages gesagt. „Die politische Mitte ist in der Lage, Probleme zu lösen.“ Jetzt muss er damit nur noch recht behalten.“