Mit 18 Jahren veröffentlichte die Autorin die Erzählung “Bonjour, tristesse”, die auch heute, 50 Jahre später, für das Selbstbestimmungsrecht der Frau steht. Das Klima in den 50ern war gezeichnet von einer Gesellschaft, die die Frauen hasste, schreibt Sibylle Berg in ihrem lesenswerten Nachwort zu vorliegender Neuübersetzung. Obwohl Frauen zwei Drittel der Gesellschaft ausmachten, mussten Frauen die Erlaubnis des Ehemannes einholen, um arbeiten gehen zu dürfen, und dann auch nur als „Dazuverdienerin“. Emotional, passiv und sozial sollten sie sein, die Männer dafür leistungsorientiert, durchsetzungsfähig und aktiv, so Berg. Sagans Protagonistin, Cécile, war in diesem gesellschaftlichen Klima „ein progressiv-feministischer Beitrag zu einem Wandel des Frauenbildes“. „Bonjour tristesse ist eine Reminiszenz an eine Zeit des Aufbruchs“, schreibt Berg, „als man von einer besseren Zukunft träumte“.
Vom Pochen des eigenen Blutes
Ausgehend von einem Gedicht Paul Éluards mit demselben Titel, beschreibt die junge, 18-jährige Protagonistin Cécile das Leben mit ihrem Vater Raymond. Sie beschreibt die „Tristesse“ als über die Wehmut und das Bedauern, die Reue hinausgehendes Gefühl, das sie umschließe wie Seide, „zermürbend und weich, und mich trennt von den anderen“. Ähnlich wie ihr Vater erlebt auch Cécile unterschiedliche Liebesabenteuer, als sie ihre Lust erstmals entdeckt: „Bis heute weiß ich nicht, ob sich hinter dieser Lust an der Eroberung ein Übermaß an Vitalität verbirgt, oder ob es das Verlangen ist, Einfluss auszuüben, oder aber das verstohlene, uneingestandene Bedürfnis nach Selbstbestätigung, nach Bestärkung“, denkt sich Cécile über ihre Abenteuer und Sagan beschreibt ihr Leben mit wunderbaren sprachlichen Bildern. Da sind einmal „die Sandkörner zwischen meiner haut und meiner Bluse“, die sie vor dem „zärtlichen Ansturm des Schlafes“ schützten oder das Herz ihres Liebhabers Cyril, „das im Takt der Wellen schlug, die sich auf dem Sand brachen (…) ich hörte das Meeresrauschen nicht mehr, aber in meinen Ohren das schnelle, fortgesetzte Pochen meine eigenen Blutes“.
Bonjour, tristesse: Intrige und Lust
Im zweiten Teil des Romans verändert sich die Konstellation, denn ihr Vater will heiraten und Cécile fühlt sich von der neuen verdrängt und so spinnt sie ihre Intrige mit einer alten Liebhaberin ihres Vaters, um wieder zu ihrem Recht, die einzige für Raymond zu sein, zu können. Denn alle Liebhaberinnen ihres Vaters waren bisher vorübergehend, nur sie, Cécile, blieb immer bei ihm. Plötzlich ahnt Cécile „diesen ganzen herrlichen Mechanismus der menschlichen Reflexe, diese Macht des Wortes“, sie ahnt sie im Moment der Intrige und sieht darin – auch wenn sie diese Erfahrung auf dem Weg der Lüge machen musste – ihre eigene Zukunft: „Eines Tages würde ich jemanden leidenschaftlich lieben, und ich würde auf diese (Hervorhebung JW) Weise einen Weg zu ihm suchen, behutsam, mit Zartheit und zitternder Hand…“. Ein Manifest der Intrige als letzte Waffe der Frau zu ihrem Recht zu kommen? Heutige Feministinnen wären mit Francoise Sagans Romandebüt wohl weniger zufrieden, denn alle Frauen kreisen immer um Raymond. Auch Cécile. Aber damals begann mit diesem Roman die Befreiung. So die Legende.
Francoise Sagan
Bonjour Tristesse
Aus dem Französischen übersetzt von Rainer Moritz
Mit einem Nachwort von Sibylle Berg
Ullstein Verlag, Internationale Literatur Literarische Wiederentdeckung
Hardcover mit Schutzumschlag, 176 Seiten
ISBN-13 9783550081385