Afropäisch: Eine Reise durch das schwarze Europa

AfropäischAfropäisch: Mit einem Interrailticket reist der Autor durch Europa, startet an einem 1.10. und muss genau am 31.3. zurück sein, denn er reist auf eigene Kosten, schläft dabei in Hostels, manche Einschränkungen des Komforts inbegriffen. So wird er auch Menschen begegnen, die nicht zu den Besserverdienenden gehören. Nach Plan besucht er europäische Hauptstädte und kleinere Orte im Süden Frankreichs und Spaniens: er folgt damit „seiner afropäischen Achse“. Mal reist er wie ein Flaneur, lässt sich von Zufallsbekanntschaften Geschichten erzählen, deren Informationen wird dann nachgeforscht, mal flicht er eigene Erlebnisse und Gelesenes ein.

Ein Türöffner ist ihm die Musik: Sein Vater ist ein schwarzer Musiker aus Harlem, seit seinem Teenageralter in den Neunzigern in Sheffield kennt er Musiker und ihre Trends. Schon gleich in Paris fragt ihn jemand, nachdem er sich als Engländer bezeichnet hatte, wo er denn wirklich herkäme, die Frage, die viele Schwarze hören, das sei wie ein: „Mach Dich klein, Fremder und offenbare Dich“, allerdings ist hier der Frager ein Ghanese.

Er beginnt in Paris mit einer Führung über die Rolle Schwarzer in der französischen Geschichte. Sie sind zu fünft, alle außer ihm Afroamerikaner, auch die Führerin. Die Bedeutung schwarzer Bürger wurde hier gezielt geleugnet: Wussten Sie, dass Dumas eine creolische Uroma hatte? Oder: Nachdem die Truppen, die Frankreich von der deutschen Besatzung befreit hatten, zu zwei Dritteln Schwarze waren, drang nicht nur der General de Gaulle auf ein „blanchissement“ er erhielt auch drängende Schreiben seiner Kollegen aus den USA und dem UK: Bei der Siegesfeier auf den Champs-Élysées sollten sie nicht zu sehen sein …

Er trifft auf den Champs junge Schwarze, die gegen Rassismus eines Parfümherstellers protestieren. In den nächsten Tagen besucht er deren Bekannte in der Community außerhalb Paris, der Banlieue, er fragt sich, ob das Wort von „verbannen“ abgeleitet ist.

Hier kommt ein weiterer Blickwinkel, der sich durch das Buch zieht: die Architektur. Er zieht Parallelen zwischen Napoleon, Haussmann und Le Corbusier, reflektiert die Auswirkungen der Behausungen auf das Zusammenleben der Menschen. Die Gemeinschaften Schwarzer betrachtet er bei jeder Stadt, die er besuchen wird, und macht Fotos, die das Buch bebildern.

Die nächste Etappe bringt ihn nach Brüssel, von einer dortigen Musikerin hat der das Wort „afropäisch“, er trifft sich mit schwarzen Intellektuellen und Künstlern, man spricht über Tintin au Congo, und sie raten ihm, das Museum der Kolonialgeschichte in Tervuren zu besuchen, dort hätte Hergé seine Inspiration her. Er schafft es, bevor es zu langjährigen Überarbeitungen geschlossen werden wird. Es ist eine Zurschaustellung zusammengeraffter Gegenstände und auch menschlicher Überreste …

Hier möchte ich als Rezensentin eine kurze Ichbotschaft loswerden: Als ich vor ca. 50 Jahren das Buch Tintin au Congo las, ob es mir da gefallen hatte? Fand ich die grotesken Beschreibungen der Kongolesen etwa putzig? Inzwischen finde ich es abstoßend, wahrscheinlich muss ich mich schämen …

Pitts berichtet von der besonderen Brutalität des belgischen Kolonialismus, und wie Patrice Lumumba, der erste Staatschef nach der Unabhängigkeit, nachdem er bei den Sowjets Unterstützung gesucht hatte, von westlichen Geheimdiensten und mithilfe des späteren Diktators Mobuto umgebracht wurde.

Danach geht es nach Amsterdam, inzwischen ist das Wetter kalt und grau. Er berichtet von der Kolonialgeschichte der Surinamesen.

In Berlin gerät er in eine Antifa Demonstration, deren Vorhaben sich ihm nach Erläuterung erschließt, erst kamen sie ihm vor wie Rechte, er besucht das Berghain zu einer Afterdemoparty. In einem sudanesischen Restaurant lernt er einen Ghanesen kennen, der ihn zu einer Party in den YAAM Club für Jugendkultur bringt, wo er mit Westafrikanern feiert, die sich eines jamaikanischen Slangs bedienen, denn sie sind Rastas. So lernen wir Rastafari kennen, der als gottähnlicher King verehrt wird. Er wird für Gerechtigkeit sorgen, besonders für Schwarze, glauben sie. Das bringt Pitts zu der Frage: Was macht der King wohl mit einem wie ihm, der eine weiße Mutter hat? Dies als ein Beispiel für den aufgeweckten Humor von Pitts, wie ich ihn mag.

Auf Stockholm hatte er sich besonders gefreut, da hat er viele Bekannte, Schwarze, die erfolgreich im Kulturbereich tätig sind, im Zusammensein mit ihnen hatte er geglaubt, in Schweden gäbe es keine Rassendiskriminierung. Leider sind die Freunde über Weihnachten auf Urlaub in Jamaika und er wohnt in einem Hostel, wo er mit Saleh und Gus den Heiligabend verbringt. Er wird sein Bild von Schweden ändern. Gus ist ein griechischer Physikdozent, der auf eine Einreiseerlaubnis für seine Familie hofft und Saleh ein tunesischer Türsteher, der klare Wort findet: “All diese Leute meinen, sie würden den Immigranten einen Gefallen tun. Aber ihnen ist nicht bewusst, dass wir nur da sind, weil sie unsere Länder zerstören. Amerika ist ein großer Hund, Europa hat seine kleinen Hunde, Schweden liefert Waffen, Großbritannien hat im Irakkrieg mitgemacht — einem Krieg, um Öl zu stehlen. Und als der Irak ein Scheißhaufen war und die Iraker in die USA und Europa auswandern mussten, ließen sie sie nicht einreisen. Oder sie glauben, sie würden ihnen einen Gefallen tun, wenn sie sie doch einreisen lassen!”

Als er die somalische Parallelgesellschaft in der Nähe Stockholms in Rynkeby besucht, wird sein Gesprächspartner ein schwarzer Südafrikaner, der sich als Bruder Nelson Mandelas ausgibt, er musste sein Land wegen der Apartheidpolitik verlassen.

Die nächste Station soll Moskau sein, die Fähre über die Ostsee wird wegen des Wetters gestrichen, er muss fliegen. In Moskau sind selbst die schwarzen Studenten, die er in ihrer Community an der Uni sprechen möchte, nicht offen für Gespräche. Die Kälte (es ist Anfang Januar) kommt dazu. Er recherchiert, aus welchen afrikanischen Staaten kamen die Studenten, die in Moskau an der Patrice-Lumumba- Universität studieren durften? Auch ihre wechselnden Anzahlen im Laufe der Zeiten sind interessant. Nach dem Zerfall der UdSSR wird die Uni umbenannt in Russische Universität der Völkerfreundschaft.

Nebenbei erfahren wir etwas über die Wahrnehmung der Sowjetunion bei westeuropäischen und US-amerikanischen Kommunisten und deren Entwicklung im letzten Jahrhundert.

Schon im Nachtzug von St. Petersburg nach Moskau warnt ihn eine junge, englisch sprechende Einheimische vor Übergriffen auf Schwarze. Aber sie weist ihn auch auf seine Ähnlichkeit mit einem Volkshelden hin: Puschkin hatte einen afrikanischen Urgroßvater, der war als Kind in Zentralafrika gestohlen worden, um als Diener des Sultans in Istanbul zu arbeiten, dann aber vom Großvater Tolstois wegen seiner Intelligenz abgekauft. Sein Eindruck: Die afrikanischen Studenten in Moskau wollen nur weg hier, und er auch.

Einige Tage verbringt er als Tourist in Rom, arbeitet sich durch das Vatikanische Museum, beschreibt blonde Jesusbilder und berichtet von der Unterstützung des transatlantischen Sklavenhandels durch Papst Nikolaus V.

Danach besucht er wie Festungen geschützte Besitztümer in Südfrankreich, die König Leopold von Belgien und Mobuto gehört hatten. Dessen Villa gehört inzwischen einem russischen Oligarchen.

In Toulon gedenkt er Frantz Fanon, dem Franzosen aus d’outre-mer: als Kind hat er sagen gelernt „je suis francais“, so wie alle Kinder auf Martinique. Fanon ließ sich von De Gaulle zur Befreiung Frankreichs einladen, kämpfte als Franzose und erfuhr bei den Befreiungsfeiern in Toulon die gleiche Abfuhr wie die schwarzen Kämpfer, die nicht auf der Champs-Élysées gesehen werden sollten. Danach werden Fanon’s antikoloniale Schriften erläutert, wie schwarze Haut, weiße Masken.

Sein Lieblingsort wird Marseille, hier ist das ganze Mittelmeer vertreten, er findet Toleranz, da mag er nicht abreisen. Aber Ende März drängt und er nimmt den Nachtzug nach Lissabon.

Der portugiesische Kolonialismus hatte unermessliche Reichtümer angehäuft, deren Spuren heute noch Lissabon schmücken. Er hatte sich Jahrzehnte länger gehalten, wir lesen von der Rolle, die afrikanische Führer im Unabhängigkeitskrieg spielten, wie sie als portugiesische Akademiker im Untergrund arbeiten und wie Amilcar Cabral ermordet wurde.

Er möchte die europäische Favela Cova da Moura besuchen, dabei hilft ihm die von ihm eingerichtete Website Afropean.com. So findet er einen Führer in diese illegale Siedlung. Er sieht afrikanisches Leben; und weiß um seine Bedrohung: Diese Immobilie in der Nähe Lissabons wird von Maklern als Juwel beworben.

Zum Schluss hat er es eilig, er will noch nach Gibraltar, zwei Stunden bleiben, in denen er Afrika sehen wollte, der Nebel verhindert es. In Gibraltar, wo er als Engländer auch ein wenig Heimatgefühl zulässt, na ja, wenigstens sieht alles so aus wie in England in den Sechzigern, wird ihm sein Privileg als britischer Staatsbürger bewusst, ein Gefühl, wie er es schon in Calais empfand, als er dort einen Besuch im Ghetto machte.

Hier nun die Schlussworte: „Ich schaute noch einmal in den Nebel, der über dem Meer hing und Afrika verbarg, und schloss die Augen. Dann drehte ich mich wieder zu dem stürmischen alten Kontinent herum, auf dem ich geboren und aufgewachsen war, und ging dahin zurück, wo ich herkam.“

Fazit: Lesenswert und aufschlussreich, selbstbewusst und humorvoll


Genre: Afrikanische Geschichte, Gesellschaft, Imperialismus
Illustrated by Suhrkamp Frankfurt am Main

Ein Gedanke zu „Afropäisch: Eine Reise durch das schwarze Europa

  1. Liebe Eva! <Danke für diese gute Rezension.
    Ich hab es gleich in meiner Buchhandlung bestellt als Weihnachtsgeschenk für unseren Marius.Er wird ab 15. Dez, als Hilfspfleger im Oberlin Haus in Potsdam beginnen.
    Euch noch eine gute Zeit im Advent!
    Lieben Gruß
    Th und Ch

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