Ein Marketing-Trick des deutschen Verlegers
Wer hat da nicht drauf gewartet als eifriger Romanleser! Es gibt jetzt endlich ein Buch, das uns die schwierige Frage beantworten will, «was unterscheidet einen guten Roman von einem schlechten», wie es im Klappentext heißt. Geschrieben von dem englischen Kritikerpapst James Wood, bisweilen tatsächlich als berühmtester Literaturkritiker der Welt apostrophiert, zugleich Professor für Literaturkritik an der Harvard-University, was reichlich vorhandene Fachkompetenz erwarten lässt, aber selbstverständlich keine Unfehlbarkeit wie bei den echten Päpsten in Rom.
In einer präzisen Sprache ohne akademische Attitüde erfahren wir viel Wissenswertes zum Thema Erzählen in Schriftform, als Prosa natürlich. Bei seinem Bemühen, die verborgenen Geheimnisse der hohen Schreibkunst offenzulegen, führt uns Wood tief hinein in die Methoden der Textanalyse. Er erklärt kenntnisreich und an vielen Beispielen alle Aspekte der Erzähltechnik: Sprachstil und Ausdruck, erlebte Rede, Dialog, deskriptive Pause, Perspektive, runde und flache Figuren, Detailauswahl, Metaphern und Konventionen. Auffallend ist, dass dabei der Plot als essentieller Bestandteil einer Geschichte nahezu unbeachtet bleibt, was in ziemlichem Gegensatz zur Erwartungshaltung, ja zum Kennzeichen der persönlichen Lesebiografie der allermeisten Romanleser stehen dürfte. Stattdessen solle der Leser sein «drittes Ohr» sensibilisieren für subtile Anspielungen und historische Bezüge des Erzählten!
Was denn auch prompt einigermaßen schwerfällt angesichts Woods einseitiger Orientierung zum literarischen Realismus hauptsächlich des 19. Jahrhunderts, womit er sicherlich viele Leser ausgrenzt bei seinen klugen Erläuterungen, was «hohe» Literatur ist. Er beschäftigt sich besonders intensiv mit Flaubert, wenn er uns erklären will, worauf es sich zu achten lohnt. Zeitgenössische Autoren hingegen werden recht stiefmütterlich behandelt bei Wood, nur David Foster Wallace wird häufiger erwähnt. Der deutsche Leser gar wird sich verwundert die Augen reiben, Goethe, Fontane, Mann führen nur ein Schattendasein in Woods literarischem Kosmos, kaum der Rede wert. Warum das so ist, kann jeder leicht nachvollziehen, der in einer Londoner Buchhandlung mal nach Büchern dieser Autoren fragt, er wird nur erstaunte Rückfragen auslösen. Goethe what? Can you spell it out, please!
Womit das ewige Problem der Fremdsprachen deutlich wird, die unsere Literaturwelt in viele Sprachinseln aufteilen. Es werden also Übersetzungen erforderlich, bei denen dann manches, wie am Beispiel eines französischen Wortklangs demonstriert wird, einfach unübersetzbar ist. Die recht einseitig hauptsächlich Woods englischer Muttersprache zugewandte Buchauswahl hat jedenfalls zur Folge, dass vieles nicht nachvollziehbar ist, weil man die Konventionen nicht kennt, die dem Text zugrunde liegen. Aber auch, weil man die Autoren und ihre Romane nicht kennt, von manchen noch nie gehört hat, manches auch gar nicht in deutscher Übersetzung vorliegt. Damit fehlt, mir jedenfalls, häufiger mal die Verständnisgrundlage, ein ziemliches Manko für dieses ambitionierte Werk.
Das euphorische Vorwort von Daniel Kehlmann ist ein deutliches Indiz für die eigentliche Zielgruppe dieses Buches, für Leute die schreiben nämlich, die hier dann auch einen üppig bestückten literarischen Werkzeugkasten vorfinden samt detaillierter Gebrauchsanweisung. Reine Leser hingegen ziehen ihren Nutzen en passant, indem sie den Schriftstellern über die Schulter schauen quasi. Warum wir lesen und was das Lesen bewirkt, das findet man ziemlich versteckt in einer der vielen Anmerkungen im Anhang des Buches. Was aber gut ist als Roman, das müssen wir uns selbst zusammenreimen, das kann man nämlich nicht generell und für jeden passend definieren, da ändert auch dieses interessante Buch nichts dran. Insoweit ist die im Klappentext gleich mit dem ersten Satz versprochene Aufklärung für den erwartungsvollen Leser nichts weiter als ein Marketing-Trick des deutschen Verlegers.
Fazit: lesenswert
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