Von einem Paradies ins andere
Ingo Schulze hat mit seinem Roman «Adam und Evelyn» einen Wende-Roman geschrieben, der die Zeit vor und nach dem Mauerfall aus östlicher Sicht thematisiert. Das Buch wurde 2008 für den Frankfurter Buchpreis nominiert und zehn Jahre später verfilmt. Erzählt wird die Geschichte eines Liebespaares in der DDR, wobei sich der Autor, wie zuvor schon in anderen seiner Werke, auch hier wieder als Spezialist für die Befindlichkeiten der Deutschen hinter Mauer und Stacheldraht erweist. Denn das junge Paar lebt wahrlich nicht im Paradies, auch wenn ihre biblischen Namen das suggerieren.
Der Held mit Spitznamen Adam, seines markanten Adamapfels wegen, ist ein 32jähriger, von den Frauen verehrter Damenschneider, dessen Künste in dem von trister Mode in schlechter Qualität geprägten DDR-Bekleidungsangebot sehr gefragt sind. Die zehn Jahre jüngere Evelyn durfte nach dem Abitur im Arbeiter- und Bauernparadies nicht ihr gewünschtes Studium antreten und arbeitet frustriert als Bedienung. Kurz vor der geplanten gemeinsamen Urlaubsreise an den Balaton im August 1989 ertappt sie ihn nach einer Anprobe in flagranti beim Sex mit einer drallen Kundin. Erbost fährt sie mit ihrer fluchtwilligen Freundin und deren Cousin aus dem Westen allein nach Ungarn. Adam folgt ihnen reumütig mit seinem uralten, liebevoll gepflegten Wartburg, den er ‹Heinrich nennt›. Er ist ein phlegmatischer Gemütsmensch, der sich pudelwohl fühlt im ererbten Haus mit dem Garten drum herum und nichts vermisst im sozialistischen Deutschland. Er lebt zufrieden vor sich hin, ist immer gut drauf, und wenn es mal wieder an irgendetwas mangelt, nützt er seine guten Kontakte zu solidarischen Helfern.
Im Stil einer Roadnovel erzählt Ingo Schulze von den Liebeswirren des ungleichen Paares, das über verschiedene Zwischenstationen und mit mancherlei Pannen schließlich am Plattensee eintrifft. Evelyn und der Cousin der Freundin beginnen ein Techtelmechtel, er will sie zu sich nach Hamburg mitnehmen, in den Westen, der für sie ein Paradies darstellt, in dem fast alles möglich zu sein scheint. Adam hat unterwegs Katja aufgegabelt, die auf der Flucht in den Westen gescheitert ist und beinahe in der Donau ertrunken wäre. Sie hat dabei alles verloren, er hilft ihr selbstlos als unfreiwilliger Fluchthelfer und nimmt sie vorerst mal mit nach Ungarn. Im Grunde passiert nichts Dramatisches in dieser Erzählung von unpolitischen kleinen Leuten, die hier das Figuren-Ensemble bilden. Sie sind keine Revoluzzer und erleben lediglich die Auswirkungen der politischen Veränderungen auf ihre private Situation. Der auktoriale Erzähler entwickelt seinen rasant vorangetriebene Plot weitgehend in dialogischer Form. Die Gespräche und Diskussionen seiner Figuren sind in ihrer Banalität schon fast peinlich, wirken gerade dadurch aber authentisch. Die große Politik bleibt völlig ausgeblendet, allerdings bindet er auch Kontemplatives mit ein bis hin zur Religion. Adam liest aus Langeweile erstmals die Bibel und ist erstaunt über deren intellektuelle Zumutungen.
Das Paar wird überrascht von den Nachrichten aus der deutschen Botschaft in Budapest und nutzt die Lockerungen der Grenzkontrollen zur Flucht nach Bayern. Als am neunten November die Mauer durch die denkwürdige ‹Revolution von unten› fällt, sind sie schon eine ganze Weile dabei, sich im vermeintlichen westlichen Paradies zurechtzufinden. Während Evelyn problemlos ihr Wunschstudium aufgenommen hat, ist für Adams Schneiderkünste kein Bedarf, hier kauft man die industriell hergestellten Kleider ‹von der Stange›. Alle Figuren sind stimmig beschrieben, wobei insbesondere Adam als stets freundlicher, genügsamer Ossi sehr sympathisch wirkt. Orientierungslos müssen die Beiden ihr Leben ganz neu aufbauen, was besonders Adam schwer fällt, «Der läuft hier rum wie Falschgeld» klagt Evelyn. Das Besondere jedoch ist die private Perspektive, aus der hier fast beiläufig über eine Glückssuche erzählt wird, von einem Paradies ins andere.
Fazit: lesenswert
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