Brennevín oder Whisky
Als einer der bedeutendsten Schriftsteller Islands hat Indridi G. Thorsteinsson mit seinem Debütroman «Taxi 79 ab Station» 1955 auf Anhieb einen Klassiker geschaffen, den er innerhalb nur weniger Wochen geschrieben hatte. Der kurze Roman wurde 1962 verfilmt und liegt seit der Frankfurter Buchmesse 2011, nach mehr als fünfzig Jahren also, in deutscher Übersetzung vor. Thorsteinsson war längere Zeit auch journalistisch tätig und hat noch fünf weitere Romane veröffentlicht, außerdem sind Sammelbände mit Kurzgeschichten und eine Gedichtsammlung von ihm erschienen.
Der Titel des Romans erscheint ein wenig kryptisch, er zitiert jedoch nichts anderes als die Lautsprecheransage, die im Warteraum eines Taxiunternehmens in Reykjavík erschallt, wenn dem jungen Romanhelden Ragnar Sigurdsson, Fahrer des Taxis 79, eine Fahrt zugeteilt wird. Einen solchen Auftrag erhält er gleich zu Beginn der Geschichte, er muss einen sinnlos betrunkenen amerikanischen Soldaten zur US-Airbase in Keflavik fahren. Bei der Rückfahrt trifft er auf einen liegen gebliebenen Buick, dessen elegant angezogener Fahrerin er seine Hilfe anbietet. Zufällig hat er sogar einen Keilriemen dabei, mit dem er den luxuriösen Wagen der Frau wieder fahrbereit machen kann. Aus dieser flüchtigen Begegnung entsteht schnell eine leidenschaftliche Liebesbeziehung, die ihnen beiden als Ausweg erscheint aus wenig erfreulichen Lebensumständen. Die geheimnisvolle Gudridur, eine Lebedame, die ein wenig älter ist als er und von ihm Gógó genannt werden will, ist mit einem reichen, aber kranken Mann verheiratet, der nach einem Pferdetritt hirnverletzt in einer psychiatrischen Anstalt in Dänemark untergebracht ist und dort möglicherweise auch operiert werden soll. Ragnar lebt prekär als selbstständiger Taxifahrer, er ist nebenbei auch in den schwunghaften Alkoholschmuggel auf der Insel involviert. Als Habenichts erstarrt er in einer drögen Alltagsroutine, die Raten für sein klappriges Taxi erdrücken ihn beinahe, seine Zukunft erscheint ihm alles andere als rosig.
Der Anfang der 1950er Jahre angesiedelte Roman behandelt zum einen das Verhältnis der Geschlechter zueinander, die Sprachlosigkeit der beiden Liebenden ist symptomatisch für eine Fremdheit, die trotz aller Leidenschaft zwischen ihnen bestehen bleibt, sie wissen wenig voneinander außerhalb ihrer sexuellen Beziehung. Außerdem wird auch die Moderne thematisiert, dem technischen Fortschritt in der quirligen Metropole wird das Landleben als bessere Lebensform gegenüber gestellt. Ragnar, der vom Lande stammt, geht gern mit seinem besten Freund auf die Jagd nach Wildgänsen, taucht am liebsten ab in die archaische Welt der entlegenen Bauerndörfer Islands. Und es wird viel Alkohol getrunken in diesem Roman, Brennevín oder Whisky, – nur Hochprozentiges also, nichts anderes -, und zwar in abenteuerlichen Mengen. Zu seinem spröde realistischen Schreibstil hat Thorsteinsson einmal angemerkt: «Ich hatte niemals Lust, eine spezielle Erfahrungswelt zu schaffen, weil ich Fantasie nicht leiden kann».
Jagd, Rauchen, Saufen und Frauen sind literarische Zutaten, die auch Hemingway gern benutzt hat. Dessen journalistisch knappe Sprache findet sich ähnlich auch hier, sie ist jedoch um einiges anspielungsreicher, deutlich weniger lakonisch also. Das Finale der atmosphärisch dicht erzählten Geschichte ist nicht unbedingt vorhersehbar, der Spannung wegen soll hier auch nichts weiter ausgeplaudert werden darüber. Im Spannungsfeld zwischen beginnender Massen-Motorisierung und beschaulicher Naturliebe, zwischen Moderne und Tradition, erzählt der Autor uns eine autobiografisch geprägte, melodramatische Geschichte. Die ist thematisch zwar nicht neu, durch ihren besonderen Stil aber sehr angenehm und kurzweilig zu lesen, sie bringt dem Leser nebenbei auch die ureigene isländische Identität nahe, wozu insbesondere auch die punktgenauen, wortkargen Dialoge beitragen.
Fazit: lesenswert
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