Am 16. August 2020 würde der amerikanische Schriftsteller Charles Bukowski (eigentlich: Henry Charles Bukowski, Jr.) seinen 100. Geburtstag feiern. Der Sohn eines US-Besatzungssoldaten und einer Deutschen veröffentlichte ab 1960 Prosa und bis zu seinem Tod am 9. März 1994 mehr als vierzig Bücher (Romane, Gedichte, Prosa).
Im rheinischen Andernach geboren wurde Bukowski bald zum US-Amerikaner, da die Familie nach Los Angeles umzog. Seine Wanderjahre als Jugendlicher und junger Erwachsener brachten ihn aber auch in Städte wie New Orleans, Miami Beach, New York, Atlanta, Chicago und Philadelphia. Als physisch und mental untauglich für den Militärdienst eingestuft und nach Psychiatrie- und Gefängnisaufenthalten fing Bukowski im Alter von 34 Jahren an zu schreiben. Er arbeitete als Briefsortierer bei der Post von Los Angeles und lebte in East Hollywood deren Bewohnerinnen und Bewohner er in seinen Kolumnen für The Outsider oder Open City liebevoll porträtierte. Im deutschen Sprachraum erschienen diese gesammelten Kurzgeschichten unter dem Titel „Aufzeichnungen eines Außenseiters“ (Notes of a Dirty Old Man) erstmals bei Fischer 1970.
Bukowski “Mädchen für alles”
Aus seinem umfangreichen Werk habe ich mir drei Romane ausgesucht, die sich jeweils einem bestimmten Jahrzehnt seines doch etwas kurzen Lebens widmen. Der 1975 im amerikanischen Original und 1977 bei dtv auf Deutsch erschienene Roman „Faktotum“ zeigt den Gossendichter als „weißen Penner im Negerviertel“ in seiner Jugend, in der er sich mit „Studentenjobs“ abplagt, da er gerade von zuhause rausgeworfen wurde. Voller Ironie beschreibt er das Verhältnis zu seinen Eltern, wenn er über den Rauswurf schreibt: „Ich konnte mir die Preise im Elternhaus nicht leisten“. Sein Vater verrechnete ihm alle Ausgaben extra. Sein alter ego Henry Chinaski veröffentlicht aber bald seine erste Kurzgeschichte und die Weichen für sein künftiges Leben werden gelegt: „Trinken und ins Bett steigen, das war wirklich alles, was wir tun konnten“. Mit lakonischem Humor arbeitet sich Chinaski durch diverse frustrierende Jobs, aber er erzählt auch von Solidarität, als ihm ein paar Mitarbeiter bei einer Jalousienwette zum Sieg gegen den ausbeuterischen Barbesitzer verhelfen. Bukowski schreibt also durchaus auch von Hoffnung und Menschlichkeit in düsteren, aussichtslosen Zeiten. „Faktotum“ bedeute im Amerikanischen übrigens so viel wie „Mädchen für alles“.
Dilemma: Trinken oder Frauen
In „Das Liebesleben der Hyäne“, 1978 im Original und 1989 bei dtv, ist Henry Chinaski bereits in seiner zweiten Lebenshälfte angelangt und hat schon einige schriftstellerische Erfolge hinter sich, sodass er nicht mehr bei der Post (beschrieben in: Der Mann mit der Ledertasche) arbeiten muss und sein Hobby zum Beruf machen kann.
Als roter Faden zieht sich seine Beziehung zu Lydia Vance durch den Roman, die sich aber bald über seine mangelnden „Steherqualitäten“ beschwert. Der Alkoholismus, dem er seit seinem 40. Geburtstag frönt, fordert seinen Tribut. „Wäre ich als Frau zur Welt gekommen, wäre ich mit Sicherheit Prostituierte geworden“, schreibt er an einer Stelle, denn sein Seelenleben war ihm wichtiger als eine Beziehung. „Frauen, die etwas taugten, machten mir angst, weil sie irgendwann etwas von meiner Seele wollten. Und was mir davon noch geblieben war, wollte ich selbst behalten. Also hielt ich mich an Flittchen und Prostituierte.“ Also widmet sich Chinaski lieber doch dem Alkohol. „Wenn etwas Schlimmes passiert, trinkt man, um es zu vergessen. Wenn etwas Gutes passiert, trinkt man, um zu feiern. Und wenn nichts los ist, trinkt man, damit etwas passiert.“ Wenn man an 300 Tagen im Jahr verkatert aufwacht, werde man eben paranoid, so Bukowski über Chinaski. Seine US-Lesetourneen – von denen dieser Roman hauptsächlich handelt – sorgen jedenfalls immer für Nachschub seines Lebensinhalts: Frauen und Alkohol.
Von Andernach nach Hollywood
Sein Roman „Hollywood“ ist Barbet Schroeder gewidmet und man weiß gleich, dass es hier um sein Drehbuch zu „Barfly“ (1987) mit Mickey Rourke in der Hauptrolle gehen wird. Bukowski ist inzwischen um die 60 Jahre alt und kann sich endlich auf seinen Lorbeeren ausruhen. Er kann sich mit seiner Frau sogar ein Haus kaufen und bewegt sich im Umkreis von reichen Franzosen, die in den Slums von L.A. leben. „Das Leben beginnt mit 65“, schreibt er 1985. 10 Jahre später, im Alter von 73 Jahren starb der “deutsche Dichter“ Charles Bukowski an Leukämie in einem Krankenhaus in L.A..
Eine “zeitgenössische” Interpretation seiner Werke findet sich auch in Form von Musik und Text bei Steinbach auf der CD “Charles Bukowski. Ein Maulwurf im Karton. Songs und Gedichte” mit Gerd Wameling/Steffen Weßbecher-Newman (62 Min., Juli 2010, ISBN: 978-3-86974-055-3, 17,99 €)