Der Garten über dem Meer

Corry_JDer_Garten_ueber_dem_Meer_139838

Ein alter Garten. Ein verlorener Ring. Ein schockierendes Familiengeheimnis. Zwei Frauen auf unbeirrbarer Suche nach dem Glück. Hört sich nach Schmonzette an? Oder doch eher nach gut gemachter Unterhaltungsliteratur? Ganz klar letzteres. Mit dem Roman “der Garten über dem Meer” legt die englische Autorin Jane Corry eine spannende Familiensaga in der guten Tradition englischer Erzählerinnen vor. Der Garten über dem Meer erzählt die Lebensgeschichten zweier Frauen, die durch den Ring und das Geheimnis verbunden sind. Die Geschichte vollzieht sich vor der Kulisse des malerischen Süden Englands auf zwei Zeitebenen, zum einen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, zum anderen in der Gegenwart.

Da ist zunächst die junge Mary Rose Marchmont, deren Mutter ihr 1866 auf dem Totenbett einen Rubinring anvertraut. Dieser Schutz gebende Ring wird seit Generationen über die Mütter an ihre Töchter weitergegeben. Doch gerät er in die falschen Hände, wird er Unglück über alle nachfolgenden Generationen bringen. Mary Rose ist noch sehr jung, als sie den Ring erhält. Zu jung. Sie kann weder verhindern, dass ihr Vater den Ring seiner zweiten berechnenden Frau gibt, noch kann sie das Unglück, welches über sie und ihre Familie kommt, verstehen oder gar aufhalten. Ihr innig geliebter Stiefbruder wird noch als Baby mit zertrümmertem Schädel aufgefunden, Mary Rose des Mordes beschuldigt und für 20 lange Jahre eingekerkert. Der einzige Halt in ihrem trostlosen Dasein werden bis zu ihrem Tod Sticktücher sein, die mit beachtlichem künstlerischen Talent angefertigt ihre Erinnerung an ihr verlorenes Zuhause wachhalten und in die sie kleine geheimnisvolle Botschaften einarbeitet.

130 Jahre später glaubt Mary Rose’ Ururenkelin Laura ihr Glück gefunden zu haben. Auch ihr Leben ist von einem tragischen Unglück überschattet. Lange hat sie sich in eine selbst gewählte Einsamkeit geflüchtet, bis sie sich Hals über Kopf in den Architekten Charles verliebt und diesen überstürzt heiratet. Sie wagt mit ihm einen Neuanfang in Devon in einem wunderbarem Haus mit einem alten Garten direkt über dem Meer. Doch Lauras Glück ist fragil. Es wird nicht nur von ihrem beharrlich gehütetem Geheimnis bedroht, sondern auch von Charles’ Töchtern aus erster Ehe, die sich mit der ganzen Raffinesse zweier pubertierender Mädchen gegen Laura stellen. In dieser Situation erbt Laura von ihrer Großmutter ein Sticktuch, auf dem sie ihren jetzigen Garten erkennt. Doch auf dem Sticktuch ist noch mehr zu finden (die Botschaften! ) und Laura beginnt zu recherchieren. Schon bald erkennt sie die Verbindung zu Mary Rose und zu ihrem eigenen Geheimnis. Sie ist fest entschlossen, Mary Rose’ Unschuld zu beweisen. In der Vorahnung, dass dieser Beweis auch die Schatten aus ihrem Leben vertreiben kann.

So verschieden Mary Rose und Laura selbst als auch ihre Lebensumstände sind, beide eint ihre Hartnäckigkeit und der unbedingte Wille, für sich, ihre Nachkommen und ihr Glück zu kämpfen. Und so wiederholt Geschichte sich manchmal doch. Wenn auch in diesem Roman unter umgekehrten Vorzeichen. Während Mary Rose das Unglück der verstoßenen Stieftochter erleidet, ist in der Gegenwart Laura in der undankbaren Rolle der Stiefmutter und läuft Gefahr, ihre Stieftöchter von sich zu stoßen. Durch ihre Recherchen schließt sich nach Generationen ein Kreis und es erwächst aus dem tief Bösen der Vergangenheit etwas Gutes. Laura erwirkt eine späte Wiedergutmachung, mehr noch eine Würdigung ihrer Urahnin und schafft es dadurch, ihre eigene Patchwork-Familie zusammenzuhalten.

Jane Corry, die schon mit ihrem Debüt “Perlentöchter” nicht nur in Großbritanien sehr erfolgreich war, erzählt ihre Saga bemerkenswert gut recherchiert und mit viel Liebe zu ihren beiden Protagonistinnen. Erfreulich unsentimental lässt sie beiden Geschichten ihr jeweils eigenes Tempo. Sie verzichtet auf billige Effekthascherei und baut ihre Spannung langsam, unaufgeregt, aber unausweichlich auf. Somit hat jede Geschichte, jede Zeitebene ihren ganz eigenen, ganz speziellen Reiz. Geschickt widersteht sie der Versuchung, ihre Heldinnen allzu rosarot zu malen und bringt sie gerade dadurch ihren Lesern nahe. So kann man Laura durchaus ansatzweise hysterisch finden, aber jede besorgte Mutter wird sich ehrlicherweise in ihr wiederfinden.

Der Garten über dem Meer erhebt den Anspruch, gute Unterhaltungsliteratur zu sein. Nicht mehr und nicht weniger. Schwierig genug. Selten genug. Doch der Roman erfüllt diesen Anspruch durchaus. Auf beiden Zeitebenen kommt man schnell gut rein in die Geschichte. Die Atmosphäre ist dicht gezeichnet, ohne überladen zu langweilen. Die Handlung ist nicht zu vorsehbar und interessant genug, um dem Leser an das Buch zu fesseln. Einiges mag in der Zusammenfassung klischeehaft anmuten, doch Corrys unsentimentale und pragmatische Ader hält die Geschichte vom Kitsch fern. Kurz – das Buch ist perfekt für den, der sich gerne von einer gut erzählten Geschichte in ein anderes Leben ziehen lassen möchte und gleichermaßen historische wie Gegenwartsromane mag.

Jane Corry war nach ihrem Englischstudium für The Times, The Daily Telegraph und andere Medien tätig. Eine Zeitlang arbeitete sie als Gefängnisreporterin in einem Hochsicherheitsgefängnis für Männer, was wohl ihren unsentimentalen Blick auf die Welt geschult hat. Heute lebt sie mit ihrem Mann und ihren drei Kindern an der Küste im englischen Devon. Die Liebe zu ihrer Heimat ist ganz sicher ein Teil des Geheimnisses der Jane Corry, ihre Leser so tief mit in die Atmosphäre ihres Romans zu ziehen.

Diskussion dieser Rezension gerne im Blog der Literaturzeitschrift 


Genre: Romane
Illustrated by Blanvalet

Wolfssonate

Wölfe und ungezähmte Frauen haben einen ähnlichen Ruf: Sie gelten als unberechenbar. Auch hinsichtlich Leidenschaftlichkeit und Mühsal weist die Geschichte der Wölfe merkwürdige Ähnlichkeiten mit derjenigen der Frauen auf. Wölfe und Frauen, so behauptet die Autorin der »Wolfsonate«, hätten schließlich gewisse psychische Eigenheiten gemeinsam: »Sinne, Spieltrieb und eine extreme Fähigkeit zur Aufopferung«.

Hélène Grimaud, eine der herausragendsten Interpretinnen von Brahms, Mozart und Bach, findet ihren Charakter in der Wolfsnatur wider und lässt deshalb in ihre literarisch ungewöhnliche Autobiographie immer wieder Fakten, Legenden und Mythen um dieses ungewöhnliche Raubtier einfließen.

Sie schildert ihre Kindheit als eine Periode der Verweigerung und des Nein-Sagens, bis sie im zarten Alter von neun Jahren das Klavier entdeckt, dem sie sich sofort mit Hingabe widmet. Bald wird sie ins Pariser Konservatorium aufgenommen, mit fünfzehn spielt sie ihre erste CD ein, und ein kometenhafter Aufstieg in den Himmel der großen klassischen Interpreten beginnt.

Die Autobiografie wirkt offen und relativ ungeschönt. So verschweigt Grimaud auch keine Niederlagen, die sie beispielsweise beim Moskauer Tschaikowski-Wettbewerb erlitt. Ihren künstlerischen Weg sucht sie allein, widerspricht dem Rat von Freunden und Förderern, akzeptiert die daraus resultierende Einsamkeit. Im Buch äussert sie das Bedürfnis »zu fliehen, weit weg, hoch, um allein meinen Weg zu finden«.

Gleichzeitig bemüht sich die Autorin, allzu private Details auszublenden und Beziehungen allenfalls anzudeuten. Jedenfalls folgt sie eines schönen Tages einem Herrn namens Jeff nach Florida. Die beiden leben in Tallahassee. Dort trifft die Pianistin bei einem nächtlichen Spaziergang einen Waldmenschen, der mit Alawa, einer Wölfin, zusammenlebt. Hélène findet spontan Kontakt zu dem halb domestizierten Tier und vergisst ab sofort die Musik, um sich Canis Lupus zu widmen. Mutterseelenallein zieht sie in kalte New York und gründet dort 1999 mit Helfern ihr »Wolf Conservation Center«.

Bald findet sie wieder zur Musik und lebt in ihrem Spiel die Animalität aus, die sie den Wölfen abschaut.

Das Klavier, Grimaud bevorzugt Steinway, ist für die Künstlerin ein unvergleichliches Instrument, »das schönste Werkzeug der Musik«, mit dem der Musiker seinen eigenen Gesang überträgt. »Auf der Klaviatur offenbart sich die gespielte Musik; der musikalische Plan bekommt Farbe und Flügel. Es handelt sich um eine lebendige Lektüre des Gesites, klangvoll für die Sinne, zu Herzen gehend.«

Im Ergebniss hat Hélène Grimaud ihren Weg gefunden,und die Pianistin ihren eigenen Ton. Die »Wolfssonate« lässt an dieser Entwicklung teilhaben, und sie leistet das in einer eigenen, fast mystischen Erzählweise, welche die Lektüre zu einem intimen konzertanten Erlebnis macht.

PS. Bei dieser Rezension bin ich befangen. Denn Hélène Grimaud habe ich mehrfach persönlich getroffen und bin ihrem Talent und ihrer Ausstrahlung erlegen. Wer sich für meine Begegnungen interessiert, findet auf meiner Homepage Interessantes über die großartige Künstlerin.


Genre: Biographien, Briefe, Memoiren
Illustrated by Blanvalet

Die Menschenleserin

Der wegen Mordes verurteilte Sektenführer Daniel Pell ist ein Manipulator ersten Ranges und auch in Gefangenschaft noch höchst gefährlich. Er hatte vor seiner Festnahme eine Gruppe von jungen AnhängerInnen um sich geschart und seine Taten (das Auslöschen einer fast kompletten Familie) erinnern fatal an die Morde von Charles Manson. Nun soll Pell im Zusammenhang mit einer weiteren Straftat von der Bundesagentin und Expertin für Verhörtechniken Kathryn Dance vernommen werden; ein Umstand, den der Bösewicht zu einer blutigen Flucht nützt. Schnell wird klar, dass der Ausbruch nur mit Unterstützung von außen gelingen konnte und so installiert man ein Team unter der Leitung der „Menschenleserin“, um den Entflohenen gleich wieder dingfest zu machen. Kathryn gräbt sich tief in Pells Vergangenheit ein, hofft sie doch, mit Hilfe der ehemaligen Sektenmitglieder Zugang zur Denkweise des Soziopathen zu erlangen. Der Plan ist zunächst erfolgreich, man kommt ihm rasch auf die Spur, aber der erfolgreiche Zugriff mag dennoch nicht gelingen. Etwas ist immer anders als es zu sein scheint und das gilt nicht nur für die Gegenwart…

Mit „Die Menschenleserin“ legt der Autor den ersten Roman mit Kathryn Dance in der Hauptrolle (sie hatte bereits einen Gastauftritt in „Der gehetzte Uhrmacher“) vor und es ist ein exzellentes Debüt. Die Protagonistin fasziniert mit ihrer außergewöhnlichen Fähigkeit als menschlicher Lügendetektor, sie erkennt an Haltung, Körpersprache und Stimme, wann jemand die Unwahrheit sagt.Allerdins ist das keine übernatürliche Wahrnehmung, sondern durchaus wissenschaftlich fundiert; der Fachausdruck dafür lautet Kinesik.

Das Buch ist mitreißend und spannend, intelligent geschrieben und – wie stets bei diesem Autor – voller unerwarteter Wendungen, die den Leser zwar staunend, aber nicht ratlos zurücklassen. Die Figuren sind komplex gezeichnet und damit ist der Grundstein gelegt für ihre künftige Entwicklung in weiteren Werken dieser Reihe, ähnlich wie bei den Lincoln-Rhyme-Romanen. Freunde ansprechender Kriminalliteratur dürfen sich also freuen, denn in einem Brief an die Leser hat Deaver versprochen, nach einem neuen Abenteuer mit dem gelähmten Forensikexperten ein zweites Buch mit Kathryn Dance folgen zu lassen. Bis dahin wäre es allerdings erst einmal angebracht, dass sich ein Verlag dazu entschließt, endlich „Garden of Beasts“ auch auf Deutsch zu veröffentlichen, ein packender Thriller, der in Berlin während der Nazi-Diktatur spielt.

Interessierten Lesern sei auch die offizielle Website des Schriftstellers empfohlen: http://www.jefferydeaver.com

Bitte kommentiere diese Rezension im Blog der Literaturzeitschrift


Genre: Thriller
Illustrated by Blanvalet