Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch

 

EINE ETWAS ANDERE REZENSION

Cover der Lizenzausgabe für Bertelsmann, Reinhard Mohn OHG, 1972

Da lag es nun auf meinem Schreibtisch auf einem Stapel anderer Bücher. Wir hatten uns wieder einmal aufgerafft und versucht, unsere Bibliothek zu verschlanken. Viele Bücher konnten schon gar nicht mehr in die Regale eingeordnet werden und lagen, sofern es der Platz zuließ, oben quer über den anderen. Immer wieder nahmen wir uns ein, zwei Fächer vor, entnahmen die Bücher, auch aus der zweiten Reihe, saugten den Staub ab und sonderten die Exemplare aus, von denen wir meinten, sie entbehren zu können. Beim Buchstaben S angelangt hatten wir die früher noch nicht aussortierten Werke von Solschenizyn in der Hand. Der Archipel Gulag musste schon beim letzten Mal weichen und dieses Mal der Rest. So lag das dünne Büchlein „Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch“ oben auf. Weiterlesen


Genre: Romane
Illustrated by Bertelsmann Bielefeld

Montags sind die Eichhörnchen traurig

Eichhörnchen Montag Happy End. Die Guten haben ein verdient gutes, die Bösen ein verdient böses Ende bekommen. Alle sind glücklich.
Bis auf die Eichhörnchen und den Leser.

Nachdem wir 2011 die Welt mit den gelben Augen der Krokodile sahen und 2012 den langsamen Walzer der Schildkröten tanzten, ist der Leser in diesem Jahr nun mit den Eichhörnchen traurig. Traurig aus nur einem einzigen Grund: Weil er sich mit dem dritten Band der Josephine-Trilogie, mit der sich die französische Überraschungs-Erfolgsautorin Katherine Pancol in die Herzen von Millionen Lesern geschrieben hat, von liebgewonnenen Charakteren und wundersamen Geschichten verabschieden muss.

Aber vor die Trauer hat die Autorin das Lesen gestellt. Und zum dritten Mal in Folge enttäuscht sie nicht, wird den mittlerweile hoch geschraubten Erwartungen gerecht. Die ersten Rezensionen des dritten Teils, die im letzten Jahr aus Frankreich rüberschwappten, waren nicht eindeutig positiv. Keine Ahnung warum, vielleicht ist auch einfach mein Französisch zu schlecht. Ich für meinen Teil habe auf jeden Fall wiederum keine 20 Seiten Lektüre gebraucht, um vollends in den Bann der Geschichte gezogen zu sein und am liebsten die ganzen 823 Seiten in einem einzigen Rutsch zu lesen. Eichhörnchen sind zwar keine Schildkröten, aber Walzer tanzen können sie auch.

Einmal noch dürfen wir ein Wiedersehen mit der ganzen verrückten Sippschaft feiern. Diesmal steht kein einzelner Protagonist im Vordergrund, allen Charakteren wird gleichberechtigt Raum gegeben, alle Handlungsstränge werden zusammengeführt – schließlich ist es ja auch eine erkleckliche Menge an Geschichten, die zu Ende erzählt werden wollen, auf deren Inhaltsangabe hier aber aus Gründen des Lesevergnügens weitestgehend verzichtet wird.

Zu Beginn des dritten Teils spürt man die Nachbeben der schrecklichen Ereignisse, mit denen Band zwei endete. Die Wogen sind noch lange nicht geglättet, aber sie sind dabei, abzuebben. Josephine durchquert noch einmal ein Tal der Tränen, bevor sie zu sich selbst und ihren Bedürfnissen findet, als Vorbild dient dabei durchaus ihre ehrgeizige Tochter Hortense, der der Erfolg Recht gibt. Shirley muss sich von ihrem Sohn Gary abnabeln und umgekehrt, ihre verrückte Geschichte und das, was diese Geschichte mit ihr gemacht hat, bekommt breiten Raum. Nicht fehlen darf natürlich auch der naseweise Junior, seine knuddeligen Eltern und schon mal gar nicht die abgrundtief böse Mutter Josephines.

Es bleibt beim Charakter eines modernen Märchens. Ausgiebig wird wieder Stellvertreter-Gerechtigkeit geübt, die böse Hexe wird zwar nicht auf den Scheiterhaufen, aber immerhin aus ihrer Wohnung gezerrt. Einige wenige neue Figuren werden sparsam eingeführt, gerade diese tragen aber zur Katharsis bei. So wie Josephines ehrgeizige Tochter Hortense unermüdlich auf der Suche nach dem gewissen Etwas ist, so ist es auch die Autorin. “Manche Menschen leben wie hinter einem Nebelschleier und dieser Schleier muss sich erst heben. Aber alle haben – auch ohne es zu wissen – einen Platz hinter dem Nebel.”

Katherine Pancol hat ihren ganz eigenen, sehr besonderen Stil. Sie liebt Sprache und behandelt diese genauso sorgfältig wie ihre Charaktere und Geschichten. Man merkt, dass die Autorin sich viel Arbeit mit ihren Büchern macht. Bei aller Phantasie sind ihre Bücher immer sorgfältig recherchiert, die Geschichten an keiner Stelle hingeschludert. Wohlgemerkt, viel Arbeit! Keine Mühe. An den Worten, die sie Josephine über das Schreiben in den Mund legt, merkt man deutlich, wie viel Freude die Autorin an ihren Figuren und ihrer Erzählung hat. Genau dieses Fehler jeglicher Last zeichnet Pancols Schreibstil aus. Die Bücher – insgesamt fast zweieinhalbtausend Seiten – wirken an keiner Stelle bemüht, ihre Sätze sind mit leichter, froher Feder geschrieben. An keiner Stelle gibt sie dem heute üblichen Drang, alles zu verdichten, nach und gibt ihrer Geschichte Raum und Zeit. Ich bleibe dabei: eine Scheherazade im besten Sinne.

Fazit: Alle drei Bände dieser außergewöhnlichen Trilogie sind ein seltener Glücksfall für alle, die Schmöker lieben. Selten noch hat man so mitreißend über Erfolg, Demut, Lügen, Verrat, Familien, die Liebe und das Leben gelesen.

Kleine Bemerkung am Rande: Meiner Meinung nach eignen sich alle drei Bände außerordentlich gut für Lesekreise. Ich habe alle Bände zeitgleich mit einer Freundin gelesen und sich über die verschiedenen Charaktere und ihre Entwicklung auszutauschen, war noch einmal ein Extra-Vergnügen für sich.

Diskussion dieser Rezension im Blog der Literaturzeitschrift


Genre: Romane
Illustrated by Bertelsmann München

Warum fragt uns denn keiner

Melda Akbas, Warum fragt uns denn keinerIn fast allen Bundesländern sind die Sommerferien zu Ende und das neue Schuljahr hat begonnen. Neues Spiel – neues Glück? Manchmal scheint es so, als wäre Bildung Glückssache und als würde viel zu oft mit den Bildungswegen unserer Kinder gespielt. Deshalb gibt es passend zum Thema Schule eine der in diesem Blog seltenen Sachbuchvorstellungen: Warum fragt uns denn keiner? – Ein Buch von Melda Akbas, Untertitel: Was in der Schule falsch läuft.

Die Autorin ist von Haus aus Berlinerin, dort als Tochter türkischer Eltern geboren und zur Schule gegangen. Mit ihrem noch als Schülerin veröffentlichten Erstling So wie ich will – Mein Leben zwischen Moschee und Minirock war sie 2010 eine der jüngsten Bestseller-Autorinnen überhaupt. In ihrem neuen Buch nun also die umfassende Thematik Bildung. Eine Thematik, die zwar viele in dieser Republik bewegt, die aber allzu oft zum Gegenstand diverser Sonntagsreden verkümmert.

Die heutige Jurastudentin Melda Akbas weiß, wovon sie redet. Bis zum Abitur erlebte sie Unterricht bei insgesamt 51 Lehrern in 15.522 Unterrichtsstunden. Sie war stellvertetende Schulsprecherin und engagierte sich im Landesschülerausschuss. Es sind ihre Erfahrungen und die von vielen anderen Schülern, die sie in ihrem Buch zusammengetragen hat und die sie immer wieder auf eine Kernfrage zurückkommen lassen: Warum fragt denn keiner mal die Schüler? Schließlich sind sie es, für deren Zukunft in der Schule die Weichen gestellt werden. Die Schülersicht auf Unterrichtsgestaltung, Zensuren, Unterrichtsausfälle und den Umgang der Pädagogen mit ihren Schutzbefohlenen ist schon eine ganz andere als die in Sonntagsreden der Politik verkündete, als die Sicht der Schulbehörden und auch der Lehrer. Aber es fragt sie keiner, die Meinung derer, die betroffen sind, wird zu selten noch wahrgenommen, ernst genommen oft erst recht nicht.

Schulpolitik wird in Deutschland traditionell von Behörden, sogenannten Experten und Politikern gemacht. Selbst wenn man ihnen nicht unterstellt, die Interessen der Schüler und der Lehrer zu ignorieren, sie haben auch andere Dinge im Auge zu behalten, die mit Bildung an sich nichts zu tun haben. Entsprechend weit sind die Vorschläge, Maßnahmen und die immer wieder mit heißer Nadel gestrickte Reformen vom Alltagsleben der Schüler entfernt. So nimmt es nicht wunder, dass viele Schüler und Lehrer demotiviert und frustriert sind. Melda Akbas betreibt mit den in ihrem Buch dokumentierten Gesprächen und Berichten Ursachenforschung, die sie in ihrem Hauptkritikpunkt, der mangelnden Schüler-Mitbestimmung bestärkt.

Bei ihren Befragungen kommen Schüler/innen, Lehrer und Bildungsbeauftragte aus verschiedenen Bundesländern und Schulformen zu Wort. Dabei kommt auch dem Thema Integration immer wieder eine große Bedeutung zu. Es ist in Deutschland leider immer noch zu oft ein Tabu, dieses Thema im Klartext anzugehen. Melda Akbas scheut sich da weniger. Sicher gut, dass da mal von einer Autorin klare Worte kommen, die sich auch in der türkischen Gemeinde engagiert. Generell malen die im Buch dokumentierten “Zeugnisse” ein sehr viel klareres Bild vom Zustand der schulischen Bildung in unserem Land, als es sämtliche trockenen und rein theoretischen Berichte je könnten.

Melda Akbas ist dabei sehr bemüht, keine Einseitigkeit aufkommen zu lassen und den verschiedensten Blickwinkeln gerecht zu werden. Diese Vorgehensweise birgt naturgemäß die Gefahr der Schwammigkeit und dieser Gefahr erliegt die Autorin durchaus an manchen Stellen. Vor allem, wenn klar wird, dass es den alleinig selig machenden goldenen Weg wohl nie geben wird und dass einfach nicht alle Vorstellungen unter einen Hut zu bringen sind. Darüberhinaus ist ihre Herangehensweise sehr speziell, sie springt gerne zwischen Thesen und Erlebten hin und her, was dem Buch eine gewisse Unruhe und Unübersichtlichkeit gibt. So manche Lösungsansätze gehen schier unter in der Masse der Informationen. Da ist es gut, dass die Autorin zum Abschluß des Buches noch eine Sammlung ihrer Änderungsvorschläge dem Buch hintenanstellt.

Natürlich muss man auch sagen: Vieles von dem, was Melda Akbas fordert, gibt es schon. Viele Schulen bemühen sich sehr, Schüler mit einzubeziehen und die Schülervertretungen in ihrer Arbeit zu unterstützen, zu bilden und zu stärken. Doch bei allen Bemühungen bleibt dafür einfach nicht genug Zeit, da immer neue unausgegorene Reformen den Schulalltag erheblich erschweren. Man hat in der Tat den Eindruck, dass Schülerbeteiligung von “oben” zu oft belächelt und als unwichtig abgetan wird. Unterstützung erfahren die in dieser Sache Engagierten definitiv nicht.

Warum fragt uns denn keiner ist mit viel Herzblut, viel Engagement und persönlicher Betroffenheit geschrieben, das macht es glaubwürdig. Es bleibt das ungute Gefühl, welches beim Thema Bildung immer mitschwingt. Denjenigen, die dazu wirklich etwas zu sagen haben, wird nicht zugehört. Könnte ja ein Ende der ach so bequemen Flickschustereien bedeuten. Das Buch bietet gute Einblicke, die viele Beteiligte sicher bestätigen können. Es wäre wünschenswert, dass diesem Buch Aufmerksamkeit von richtiger Stelle geschenkt wird. Auch wenn man sich manche Lösungsvorschläge konkreter erhofft hätte: Warum fragt uns denn keiner ist eine wirklich gute Diskussionsgrundlage

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Genre: Erfahrungen
Illustrated by Bertelsmann München

Die Pfeiler des Glaubens

Die Pfeiler des Glaubens Mit Spannung erwartet. Der zweite Roman des Spaniers Ildefonso Falcones. Hält der Roman, was uns Falcones mit der “Kathedrale des Meeres “versprach ? Meiner Meinung nach ein entschiedenes NEIN: Ich war enttäuscht, ich habe mich gelangweilt, ich war mehrmals kurz davor, einfach nicht mehr weiterzulesen.

Falcones begibt sich diesmal ins Andalusien des Jahres 1568. Nach Jahren der Unterdrückung erheben sich die spanischen Muslime gegen ihre christlichen Peiniger. Unter den Aufständischen ist auch der junge Maure Hernando, der sein Volk und seine Kultur vor dem Untergang retten will. Doch die Revolte wird bald zum blutigen Glaubenskrieg, und angesichts der von beiden Seiten begangenen Grausamkeiten wächst in Hernando das Bedürfnis nach Frieden und Aussöhnung der Religionen – ein Ziel, dem er fortan sein Leben widmet.

Holzschnittartig konstruiert Falcones eine Geschichte, in der seine Protagonisten mal in die Berge, mal aus den Bergen, mal ans Meer, mal übers Meer flüchten, mal in der Kathedrale beten, mal in der Moschee, mal zuhause. Keine der Figuren erwacht zum Leben, keine wächst einem ans Herz. Die schier unglaubliche Detailfülle, mit der der Roman überfrachtet ist, hilft nicht im Geringsten. Das Buch verliert sich in unübersichtlichen und z.T. uninteressanten Einzelheiten, denen schwer zu folgen ist und erzeugt alsbald ein Gefühl des Überdrusses. Schade. Ich hatte mich gefreut auf diese Lektüre, war ich doch schon mehrmals in Granada und Cordoba, den Hauptschauplätzen und habe vieles noch genau vor Augen.

Falcones hat sich zuviel vorgenommen: den moralischen Zeigefinger heben, eine detailgetreue Abhandlung über geschichtliche Abläufe, eine Liebesgeschichte, und noch eine Liebesgeschichte, am besten direkt vermittels dieses Buches die bis heute zerstrittenen Religionen versöhnen, dazu noch dem Leser ein bißchen was über frühe Stierkämpfe uind die Anfänge der stolzen , spanischen Pferdezucht beibringen – 900 Seiten, die zwar einen roten Faden haben. Aber einen Faden, den man sich als Leser allzuoft wieder selbst zusammenrollen muss, 900 Seiten, in denen keine Spannung erzeugt wird, 900 Seiten, ohne dass ein Funke überspringt. Schade. Die Kathedrale des Meeres war so ein tolles Buch. Der Autor ist wohl wie so viele vor ihm an seinen eigenen Erwartungen und denen der Leser gescheitert.

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Genre: Romane
Illustrated by Bertelsmann München

Brendels Fantasie

Zwar steht der entscheidende Brief aus England noch aus, doch die Vorbereitungen für die Fantasie sind in vollem Gange. Der Unternehmer Höller hat den idealen Ort für die Aufführung von Franz Schuberts „Wandererfantasien“ gefunden: Das kleine Örtchen Castelnuovo in der Toskana bietet die besten Rahmenbedingungen für das anspruchsvolle Werk des eigenwilligen Komponisten. Es kommt nur selten zur Aufführung und soll nun von dem herausragenden Pianisten Alfred Brendel interpretiert werden. Höller ist todkrank, doch die ihm verbleibende Zeit nutzt er mit Konsequenz. Die Straße lässt er frisch asphaltieren, sein Anzug hängt maßgeschneidert bereit, die künftigen Saaldiener aus dem Altenheim werden sorgsamst geschult, und der Neubau des Gemeindesaales ist nur noch eine Frage der Zeit. Nichts bleibt dem Zufall überlassen. Auch an die Überführung des sensiblen Bösendorfer Konzertflügels aus Wien ist gedacht. Die Finanzierung ist kein Problem, denn Höller verkauft seine Firma gerade an die Russen. Zwar sind alle aus der Familie dagegen – seine Frau, eine Wiener Staranwältin, sein Sohn, ein geldgieriger Karrieremensch, und seine Tochter, eine weltfremde Möchtegernkünstlerin -, doch Höller verfolgt sein Ziel unbeirrt: Alfred Brendel wird aus England nach Castelnuovo kommen und die Fantasie spielen!
Der Druck in Brendels Kopf nimmt zu, die Aussicht auf das grandiose Konzert aber beflügelt den Todkranken. Alles andere wird unwichtig angesichts der Fantasie. Schmerzen und Schwäche, Vorurteile und Vorschriften, falsche Anschuldigungen und andere Hindernisse gilt es zu überwinden, rasch und effizient. Medikamente, Überzeugungskraft und Geld machen fast alles möglich. Rückschläge fordern den Musikbesessenen erst recht heraus. Nichts wird der Fantasie mehr im Wege stehen. Der Brief aus England muss jeden Moment eintreffen …
Günther Freitag erzählt die Geschichte eines Idealisten, der im Angesicht des Todes allen Konventionen trotzt, um seinen Traum zu verwirklichen. Der lakonische Schreibstil macht die bedingungslose Entschlossenheit und glühende Begeisterung Höllers besonders anschaulich. Die Schilderung der örtlichen Gegebenheiten, die Vorstellung der verblüfften Einheimischen bilden den originellen Rahmen einer großen Leidenschaft zur Musik. Faszinierend und mitreißend beleuchtet Freitag Menschenelend und Alltagsglück. Das Gleichnis vom Tod als Luxusgut untermalt dieses fantastisch zuversichtliche Endzeitszenario.


Genre: Romane
Illustrated by Bertelsmann München

Brendels Fantasie

Zwar steht der entscheidende Brief aus England noch aus, doch die Vorbereitungen für die Fantasie sind in vollem Gange. Der Unternehmer Höller hat den idealen Ort für die Aufführung von Franz Schuberts „Wandererfantasien“ gefunden: Das kleine Örtchen Castelnuovo in der Toskana bietet die besten Rahmenbedingungen für das anspruchsvolle Werk des eigenwilligen Komponisten. Es kommt nur selten zur Aufführung und soll nun von dem herausragenden Pianisten Alfred Brendel interpretiert werden. Höller ist todkrank, doch die ihm verbleibende Zeit nutzt er mit Konsequenz. Die Straße lässt er frisch asphaltieren, sein Anzug hängt maßgeschneidert bereit, die künftigen Saaldiener aus dem Altenheim werden sorgsamst geschult, und der Neubau des Gemeindesaales ist nur noch eine Frage der Zeit. Nichts bleibt dem Zufall überlassen. Auch an die Überführung des sensiblen Bösendorfer Konzertflügels aus Wien ist gedacht. Die Finanzierung ist kein Problem, denn Höller verkauft seine Firma gerade an die Russen. Zwar sind alle aus der Familie dagegen – seine Frau, eine Wiener Staranwältin, sein Sohn, ein geldgieriger Karrieremensch, und seine Tochter, eine weltfremde Möchtegernkünstlerin -, doch Höller verfolgt sein Ziel unbeirrt: Alfred Brendel wird aus England nach Castelnuovo kommen und die Fantasie spielen!
Der Druck in Brendels Kopf nimmt zu, die Aussicht auf das grandiose Konzert aber beflügelt den Todkranken. Alles andere wird unwichtig angesichts der Fantasie. Schmerzen und Schwäche, Vorurteile und Vorschriften, falsche Anschuldigungen und andere Hindernisse gilt es zu überwinden, rasch und effizient. Medikamente, Überzeugungskraft und Geld machen fast alles möglich. Rückschläge fordern den Musikbesessenen erst recht heraus. Nichts wird der Fantasie mehr im Wege stehen. Der Brief aus England muss jeden Moment eintreffen …
Günther Freitag erzählt die Geschichte eines Idealisten, der im Angesicht des Todes allen Konventionen trotzt, um seinen Traum zu verwirklichen. Der lakonische Schreibstil macht die bedingungslose Entschlossenheit und glühende Begeisterung Höllers besonders anschaulich. Die Schilderung der örtlichen Gegebenheiten, die Vorstellung der verblüfften Einheimischen bilden den originellen Rahmen einer großen Leidenschaft zur Musik. Faszinierend und mitreißend beleuchtet Freitag Menschenelend und Alltagsglück. Das Gleichnis vom Tod als Luxusgut untermalt dieses fantastisch zuversichtliche Endzeitszenario.


Genre: Romane
Illustrated by Bertelsmann München

Eragon

Der junge Eragon entdeckt beim Jagen einen geheimnisvoll schimmernden Stein. Der seltsame Fund entpuppt sich als Ei eines Drachens, das ihm die Magie des Zufalls in die Hände gespielt hat. Tatsächlich springt die Eischale auf und eine junge Drachendame schlüpft: Saphira. Mit Hilfe eines alten Geschichtenerzählers erfährt Eragon die Bedeutung seines Funds: er ist zum Drachenreiter bestimmt. Drachenreiter schienen ausgestorben und wurden vom regierenden Diktator Galbatorix vernichtet, der sich damit seine düstere Herrschaft sicherte.

Die Kunde von der Wiedergeburt der Drachenreiter weckt Hoffnung auf Befreiung. Sie lockt aber auch allerlei Gegner und Feinde, die Eragons Familie weitgehend auslöschen, um den Jungen in ihre Gewalt zu bekommen. Ihm bleibt keine andere Wahl, als zu fliehen. Auf seiner weiten Reise ins Unbekannte trifft er Menschen, Ungeheuer, Elfen, Zauberer und lernt im Umgang mit ihnen, seine Fähigkeiten zu schulen und zu entwickeln. Er befreit eine Elfenprinzessin und schafft es im letzten Augenblick, seinen blutrünstigen Verfolgern zu entkommen und bei den Zwergen und Varden Unterschlupf zu finden.

Doch bald greifen die Mächte der Finsternis seinen Aufenthaltsort an und führen einen gewaltigen Schlag gegen das Reich der Zwerge. Eragon muss alle Kräfte und Fähigkeiten einsetzen, um seinen neuen Freunden beizustehen und den sicheren Untergang abzuwenden.

Der erste Band der Fantasy-Saga liest sich trotz seiner 730 Seiten geschmeidig und spannend. Das Werk ist ein echtes Jugendbuch. Es empfiehlt sich für diejenigen Leseratten, denen Tolkiens »Herr der Ringe« zu intellektuell und Tad Williams »Shadowmarch« zu vielschichtig ist. Aber auch ältere Leser können viel Freude bei der Lektüre empfinden. Serviert wird spannende Unterhaltung, und wer den ersten Band verschlungen hat, wartet gespannt auf die Fortsetzung der dramatischen Odyssee.

Interessant ist, den Werdegang des Bestsellers zu beleuchten. Christopher Paolini verfasste den ersten Band seiner Saga im zarten Alter von fünfzehn Jahren. Seine Familie unterstützte ihn mit Lektorat und brachte den Band schließlich im Eigenverlag heraus. Gemeinsam mit seiner Mutter unternahm der junge Autor, der nie eine öffentliche Schule besucht hat, eine gigantische Leserreise durch die USA und gewann tausende begeisterte Anhänger. Schließlich entdeckte ein Großverlag das Buch und nahm es in sein Programm auf. Als schließlich der Buchkonzern Random House den Autor unter seine Fittiche nahm, konnte der weltweite Drachenflug Eragons starten. Inzwischen ist das Buch verfilmt und der zweite Band in deutscher Sprache erschienen.


Genre: Fantasy
Illustrated by Bertelsmann München