Es ist das dritte Buch von Bernhardine Evaristo, das ich las. Hier stellt sie einen kleineren Kreis eng verflochtener Menschen vor, die in der westindischen Community in London leben. Jeder/m lässt sie ihre/seine Würde und Eigenheiten, Stärken und Schwächen. Neben den hier näher beschriebenen Protagonisten gilt das auch für die Töchter des Paares und den Geliebten Morris.
Am Anfang steht ein Spruch von James Baldwin, dass wir uns den Dingen stellen müssen, wenn wir sie ändern wollen.
Dazu ist der Protagonist, Barrington Jedidah Walker, Esq., erst mit Mitte Siebzig bereit. Nach einem halben Jahrhundert Ehe mit Carmel stellt er sich dem Wunsch, mit seiner Jugendliebe, Morris, zusammenzuziehen.
Das Buch beginnt in London im Mai 2010: Betrunken, und nach Zigarren stinkend, kommt er viel zu spät nach Hause, will sich unauffällig neben Carmel ins Bett schleichen, aber sie wacht auf und macht ihm, wie immer, eine Szene. Beim Einschlafen träumt er von seinem Geliebten. Das Kapitel endet mit dem Liebesgeständnis: von „meinem Morris-liebenden, süß verliebtem, blutvollen, glutvollen, bums fidelen, pochenden Ding von einem unbeherrscht, unentrinn-, unbezähmbar-männerliebenden Herz.“
Dann geht es ein halbes Jahrhundert zurück nach Antigua, wo die gerade angetraute Braut, stolz auf diesen schmucken Ehemann, sich in der Hochzeitsnacht etwas wundert, „er hat ihn nicht reingesteckt, hat sich nur an dir gerieben.“ Bestimmt nur deshalb, weil er ein echter Gentleman ist. So schön können Träume von Verliebten sein. Dabei wissen wir doch schon, wie es um das Paar bestellt ist.
Dann kommt wieder die Jetztzeit des Romans: Im Kapitel Die Kunst des Sonntagsessens kommt Morris zu Besuch, Carmel kann gut kochen, leider kommt sie nach der Kirche mit ihren Betschwestern und wir müssen deren Geschwätz ertragen, das in Teilen homophob ist.
So plätschert es dahin, wir wissen, dass sie immerhin zwei Töchter haben, einen Enkelsohn. Carmel hatte, schon in London, eine Ausbildung absolviert und in einer guten Stellung gearbeitet, sogar mal eine Affäre gehabt, (von der Barry aber nichts ahnt), aber nun sind ihre Betschwestern ihre Bezugspersonen.
Barry hatte immer nur Morris im Sinn, allerdings hat er gerne mit anderen Männern herumgemacht, und dafür auch kein Risiko gescheut. Er ist ein gebildeter Hedonist, hat über Abendschulen sein britisches Allgemeinwissen aufgebaut. Mit einem guten Riecher für Immobilien mit Gentrifizierungsprotenzial ist er sehr wohlhabend geworden – was würde Carmel wohl bei einer Scheidung für sich beanspruchen?
Der englische Text ist im westindischen Slang geschrieben, die Übersetzerin Tanja Handels verzichtet darauf, dies einzudeutschen, und einmal fragt Barry seinen Geliebten: „Wha rong wit yah, Morris?“ Obwohl ich die Bücher lieber auf Englisch lese, genieße ich die Übersetzungen von Barrys drolligen Sprüchen. Und manche Wörter habe ich gelernt, so sind Emanzen braburners.
Dass er Carmel in ihrer tiefen Frustration verachtet und als fett (diese hängenden Oberarme!) und trutschig abtut, stört mich, bis ich zum Schluss den Coup der Autorin genieße, indem sie es ihm heimzahlt, dass er ihr Leben zerstört hat.
Und bei den Gesprächen zwischen Morris und Barry geht es um die Entwicklung der Rechte homosexueller Menschen. Barry hält nichts vom „aufmerksamkeitsheischenden Gehabe dieser Schwulenbewegten.“ Morris geht da eher mit, könnte sich eine eingetragene Partnerschaft vorstellen.
Die letzten 70 Jahre haben Barry kein bisschen weise gemacht. Er ist ohnehin der Meinung, dass die Entwicklung der individuellen Persönlichkeit mit elf Jahren abgeschlossen ist. „Ich bin viel zu sehr daran gewöhnt, in meinem hausgemachten Gefängnis zu sitzen, Amtsrichter, Aufseher und armseliger Zellengenosse in einem.“ Bei so einem Mann war es dann kein Wunder, dass Carmel von seiner Homosexualität nichts ahnte.
Illustrated by Tropen Verlag