The Addams Family – Das Familienalbum

The Addams Family. “Man sagt, unter uns ist niemand, in dem kein Roman steckt.” Morticia, Gomez, Lurch, das eiskalte Händchen, Onkel Fester, Granny Frump und die lieben Kinderlein Pugsley und Wednesday: das ist die Addams Family! 1600 veröffentlichte Arbeiten gibt es von Charles Addams (1912-1988), die andere Hälfte liegt in privaten Händen oder Sammlungen.

Fröhliche Schauer des Gruselns

Für »The Addams Family: Das Familienalbum« hat Kevin Miserocchi etwa 200 Cartoons zusammengetragen und mit liebevollen Einführungsstories versehen, selbstverständlich für Fans und Neulinge gleichermaßen aufregend. Denn dass die zweite Staffel von “Wednesday” dieser Tage bei Netflix online geht, wäre ohne das Talent und die Inspiration von Charles unmöglich gewesen. Er war es, der die außergewöhnlichste Familie der Welt salonfähig gemacht hat. Die zwischen 1964 und 1966 ausgestrahlte Serie mit vierundsechzig Folgen, die Kinofilme und schließlich Wednesday für die Next Generation schafft Verbindendes zwischen inzwischen drei Generationen. Aber widmen wir uns doch als erstes gleich den beiden lieben Kinderlein, die so alles andere als artige Gesellen sind. Pugsley, der Bruder von Wednesday, hätte ursprünglich “Pubert” heißen sollen, aber dieser Name war eher eine Bezeichnung seines Tuns und wurde von den Produzenten einhellig abgelehnt.

The Addams Family – Das Familienalbum

Da wurde eben Pugsley, ein Fluß in der Bronx zum Namensgeber. Er sitzt vor seiner Spielzeugeisenbahn und lenkt prompt einen Schulbus Kinder auf die Geleise. Auf einem anderen Cartoon sieht man wie er sich hinter einem Busch eine Haiflosse anzieht, während die anderen Kinder im Fluß schwimmen. Aber auch Lurch hat ähnliche Ambitionen. Der zwei Meter Riese ist der wortlose Butler der Familie und kidnappt auch schon mal die kleine Wednesday bevor er sie in den vorbeifahrenden Schulbus wirft. Da ist Granny Frump (dt.: Vogelscheuche) geradezu harmlos, die meiste Zeit rührt sie mit einem Kochlöffeln in einem Gifttopf. Oder holt für ihre Enkerl Weihnachtskekse in Fledermaus- und Totenkopfform aus dem Feuer.

Eine Familie zum Fürchten

Einer der wohl am meisten geliebten und gleichzeitig fiesesten Charaktere ist sicherlich Onkel Fester. Da die Kinder alle anderen Erwachsenen ohnehin Tante oder Onkel nennen, heißt dies nun aber nicht, dass sie irgendwie verwandt wären. Fester geht schon mal fischen (mit Dynamit) oder fährt im Karacho durch das Parkgaragentor – ohne zu zahlen natürlich. Unter der Dusche dreht er “scalding” (brühend) voll auf und öffnet schon mal die Büchse der Pandora an einem belebten Strand. In ein Vogelschutzgebiet fährt er mit einem Kofferraum voller Katzen… Ihm macht eigentlich nur noch das eiskalte Händchen Konkurrenz. Es ist kein Hausangestellter, aber dreht eventuell die Schallplatte um. Ein eigenes Kapitel ist auch anderen, weiteren Verwandten gewidmet. “Ich finde ja bei Strahlung vor allem die Gedanken be(un)ruhigend, dass is in künftigen Generationen zu Mutationen kommt”, meint abschließend Morticia vor dem Kaminfeuer. Und das ja Weihnachten vor der Türe steht, sei noch besonders auf den Cartoon auf der letzen Seite verwiesen, bei dem die versammelte Addams Family am Dach ihres Gruselhauses mit einem siedenden Öltopf steht. Unten vor dem Haustor: die liebe Verwandtschaft.

Köstliches Amüsement erwartet alle Familienmitglieder unterm Weihnachtsbaum mit diesem Familienalbum der Addams Family. Eine gelungene Hommage an einen der größten Humoristen Amerikas und seine berühmt-berüchtigte Schöpfung, die wohl liebenswerteste amerikanische Familie. Frohe Weihnachten!

Kevin Miserocchi (Hg.)
Charles Addams. The Addams Family – Das Familienalbum
Herausgegeben von H. Kevin Miserocchi
Übersetzt von Conny Lösch
2023, Hardcover, 224 Seiten
ISBN 978-3-95614-567-4
Verlag Antje Kunstmann
Euro 30,00 €


Genre: Biographie, Cartoons, Familiengeschichte, Horror
Illustrated by Verlag Antje Kunstmann

Zur See

Zur SeeIn ihren anderen Büchern ging es um das Landleben und, wie Menschen sich ändern müssen, um dort zu leben: Im Alten Land suchen Vertriebene eine neue Heimat und bleiben fremd, in der Mittagsstunde flieht ein Einheimischer in die Stadt, aber kommt immer wieder zurück und beobachtet, wer und was sich ändert. (link Landlust und Landfrust) In Zur See bleiben die Inselbewohner der Heimat treu und erleben, wie das Meer auch andere in seinen Bann zieht. Aber auch, was sich hier alles ändert. Da sind alte Geschichten zu erzählen, von Männern, die zur See gingen und von großen Fluten. Wir leben mit den Menschen auch in der Winterzeit, sehen wie die Gewerke der Fischer und Bauern sich ändern und lernen, wie der Zeitplan der Fähre das Leben bestimmen kann.

Auf einer kleinen Nordseeinsel lebt Hanne Sander im Kapitänshaus mit ihrem Ältesten, einem wegen seiner Alkoholkrankheit ausgemusterten Kapitän, der gerne den kauzigen alten Seebären gibt, das lieben die Touristen, besonders weibliche. Das Haus ist seit Jahrhunderten im Familienbesitz. Darüber kreisen Drohnen, denn eine solche Immobilie würde jeder Makler gerne vermarkten. Es gelingt ihr gut, dies zu ignorieren, und wenn sie in Ruhe lesen will, dann versteckt sie sich hinten im Garten neben Komposthaufen und Mülltonnen, denn vorne laufen die Touris.

Ihr Jüngster feiert seinen dreißigsten Geburtstag, in seinem Atelier. Er war schon immer ein Aussteiger, hat die Insel nie verlassen, geht barfuß mit seinem Hund jeden Tag am Strand lang und sammelt Strandgut. Daraus schafft er Kunstwerke, die sich gut verkaufen, an die Städter, die ihre Zweithäuser damit schmücken. Bei der Party kennt sie nur den Pfarrer, die anderen Gäste sind Teil der Parallelwelt, Städter, die vom Meer angezogen wurden. Sie geben sich einheimisch, wenigstens schlurfen keine Tagestouristen mit Schlappen durchs Atelier. Aber auch dieser „zweite Stamm“ bleibt nicht, irgendwann finden sie, dass ihre Sehnsucht nicht gestillt wird, sie bleiben fremd und ziehen wieder zurück aufs Festland. Überhaupt hat sich der Tourismus gewandelt: Früher hat Hanne Zimmer vermietet, an Gäste, die in den Zimmern der Kinder schliefen, die Kinder wurden wegsortiert. Darüber hat sie auch Jens verloren, ihren Mann und Vater der Kinder.

Er zog vor über 20 Jahren aus, lebt als Einsiedler bei seinen geliebten Vögeln, die Zwergseeschwalben haben es ihm besonders angetan. Er kämpft für die Erhaltung der Natur, nicht nur ihm, auch anderen ist bewusst, dass der Meeresspiegel steigt, und größere Fluten kommen könnten. Eigentlich ist er zu alt, um so allein zu leben, zittert stark, seine Vorgesetzten sagen es ihm aber nicht, sie schicken „Prinzen“, junge, dynamische Vogelkundler mit Laptop. Mit dem letzten kommt er klar und mit ihm kann er wieder Menschen in seiner Nähe ertragen, sogar in einem Raum zusammen schlafen.

Tochter Eske ist Altenpflegerin, hört neben Heavy Metal gerne die Geschichten der Alten im Heim, begleitet sie in den Tod. Sie hatte die alten Sprachen der Küsten studiert, kam aber zurück. Sie gibt das Raubein, vertreibt gerne Touristen mit ihrem Auto an die Straßenränder. Eine Inselregel lautet: „Sei nie freundlich zu Touristen!“ Sie schämt sich, wenn die Einheimischen Touristenrummel veranstalten, wie bei der Hafenfeier.  Auch der Pfarrer kennt alle von früher, aus dem Konfa. Sein Glaube, auch an sich selbst, wird bedroht, gerade, als seine Frau aufs Festland zieht, natürlich nicht seinetwegen, sondern, um bei den Enkeln zu sein und er allein zurückbleibt.

In der größten Not … gibt es auch Veränderungen, die die Menschen wieder zusammenbringen, so kommt Jens zurück ins Kapitänshaus, denn schweigen kann er auch dort, bei Hanne.

Ich lese so etwas gerne: die richtige Balance zwischen Sehnsucht und Realität, etwas Spökenkiekerei und viel Empathie.


Genre: Deutsche Literatur, Familiengeschichte
Illustrated by Penguin

Der Duft der Kiefern

Eine wahre Geschichte über eine Mutter. In Liebe erzählt von ihrer Tochter. So lautet die Widmung in dieser Familienchronik der Kriegsgeneration als graphic novel inklusive Familienstammbaum im Anhang. Aber es ist nicht nur die Geschichte ihrer Familie, die Bianca Schaalburg hier erzählt, sondern auch ein großes Stück deutsche Geschichte. Die Geschichte eines Landes und eines Volkes repräsentativ dargestellt anhand einer typisch deutschen Familie.

Der Duft der Kiefern

Das Erbe, das die Protagonistin übernimmt, besteht zunächst in schweren Holzkästen und einer Spiegelkonsole aus den Dreißigern, in der Bianca sich und ihre Familie erkennt. Wie war das, eine Kindheit unter den Nazis? Kann sie die Erinnerungen an diese Zeit bald ebenso mit Kreide überschreiben wie die alten Türen des Nussholzkastens, auf den sie Worte der Schönheit und der Träume schreibt? Die Kienäpfel (Berlinerisch für Kiefernzapfen), die sie als Kinder in der Siedlung Onkel Toms Hütte unter den Kiefern einsammeln vermitteln schöne Erinnerungen und doch ist das eigentliche Erbe der Eltern und Großeltern schwer zu (er)tragen. Opa Heinrich war schon 1926 (!) in die NSDAP eingetreten, aber die noch lebenden Familienmitglieder wissen nichts mehr davon. Das Mantra „Wir. Wussten. Von. Nichts.“ Bekommt sie in ihrer Familie und Verwandtschaft öfters zu hören. Also macht sie sich selbst auf die Suche nach Antworten und rekonstruiert die Familiengeschichte der Bewohner ihres Hauses. „Diese Menschen können ihre Geschichte nicht mehr erzählen. Deshabl will ich ihnen eine Stimme geben.“, schreibt sie und tut es sodann.

Zeitgeschichte für jede Generation

Aber sie erzählt auch von den anderen ermordeten MitbürgerInnen, den ZwangsarbeiterInnen, den Erschießungskommandos und Hinrichtungen, die oft in drei bis sechs Stunden 2-400 Menschen ermordeten. „Dazu gab es Wodka, manchmal auch einen Imbiss“, ergänzt sie, denn das Morden war tatsächlich organisiert wie eine Kaffeefahrt. Die Toten wurden zu Tausenden aufeinander gestapelt und im Wald vergraben. Und was war Onkel Heinrichs Aufgabe in Riga? Auch diese Frage bleibt unbeantwortet. Aber wer damals auf einem Pferd vor einem Holzhaus saß, dem konnte es wohl nicht so schlecht gehen. Der war aber auch nicht unschuldig. „Wenn wir gewinnen, müssen wir nichts erklären, wenn wir verlieren, gibt es nichts zu erklären“, lautete die bizarre Logik des Zweiten Weltkrieges. Darüber hinaus erzählt die Autorin auch von der Teilung der beiden deutschen Staaten, der Stasi, dem Kalten Krieg und 1968. Ein deutsches Lesebuch also, das in einfachen Worten und Bildern den Schrecken unseres Jahrhunderts nacherzählt, ohne etwas zu beschönigen. Vielleicht kann man gerade durch so eine graphic novel auch die junge Generation für die Geschichte ihrer (Groß-)Eltern interessieren und so die Erinnerung wachhalten, damit das, was passiert ist, nie mehr passiert. Ein wichtiger Beitrag also!

Bianca Schaalburg
Der Duft der Kiefern
Text & Zeichnung: Bianca Schaalburg
2021, 208 Seiten, Hardcover mit Lesebändchen, 19,5 x 26,5 cm, vierfarbig
ISBN: 978-3-96445-058-6
Avant Verlag
26,00 €


Genre: Biographie, Deutschland, Familiengeschichte, Graphic Novel, Zeitgeschichte, Zweiter Weltkrieg
Illustrated by Avant Verlag