Ein eindrucksvoller Erlebnisbericht eines Kindes, das viel zu früh erwachsen wurde.
Hassan Ali Djan wurde 1989 als erstes Kind einer afghanischen Familie in dem kleinen Dorf Almitu geboren. In diesem Buch beschreibt er seine Geschichte, die eindrucksvoller kaum sein könnte.
Als er gerade mal elf Jahre alt ist, stirbt sein Vater und Hassan wird damit zum Versorger für seine Mutter und die jüngeren Geschwister. Er arbeitet als Hirte und für die ortsansässigen Bauern, trotzdem reicht das Geld hinten und vorne nicht. Deswegen beschließt er mit einigen erwachsenen Männern seines Dorfes in den Iran zu gehen, um dort als Tagelöhner zu arbeiten. Das verdiente Geld will er an seine Familie schicken. Dieses Unterfangen ist nicht nur gefährlich, weil lange nicht alle Iraner den Afghanen wohlgesonnen sind, es ist auch nicht sehr lukrativ. Für einen Jungen, der eigentlich noch ein Kind ist, ist es nicht leicht auf den Baustellen Teherans Arbeit zu finden.
Mit 15 beschließt er, nach Europa zu gehen um sich und seine Familie in Almitu versorgen zu können.
Mit Hilfe von Schleppern gelangt er über die Türkei nach Griechenland, mit dem Schlauchboot über das Meer, um hier festzustellen, dass es hier noch weniger Arbeitsmöglichkeiten gibt als in seinem Heimatort. Wie viele andere Flüchtlinge auch, lebt er am Hafen mehr schlecht als recht und immer in der Hoffnung, einen LKW nach Schweden, England oder sonst wo zu erwischen, als blinder Passagier natürlich. Nur nach Deutschland will er auf keinen Fall, hat er doch oft genug zu hören bekommen, dass die Flüchtlinge dort jahrelang nicht arbeiten dürfen.
Endlich schafft er es, stundenlang eingerollt in einem LKW-Ersatzreifen, weiter zu reisen. Und landet doch in Deutschland, ohne dies allerdings zu wissen.
Er wird in Massenunterkünften untergebracht und muss zwei Jahre lang auf sein Anhörungsergebnis warten, um dann seinen Abschiebebescheid in den Händen zu halten.
Glücklicherweise gibt es in den Heimen wohlwollende und hilfsbereite Sozialarbeiter, die ihm nicht nur schon während der Wartezeit zu einem Deutschkurs verhelfen, sondern ihn auch ermutigen, Widerspruch einzulegen.
Zwischenzeitlich erfährt er, was es mit dem Status der „Duldung“ auf sich hat, viele Bekannte hat dieses Schicksal getroffen. Das bedeutet, sie dürfen in Deutschland bleiben, aber erst mal nicht arbeiten und werden in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt, sobald sich die Lage dort beruhigt hat.
Hier zeigt sich auch, wie willkürlich dieses System doch manches Mal ist. Ein Freund Hassans bekommt trotz sehr ähnlichem Schicksal ein ganz anderes Ergebnis seitens der Behörden.
Viel Hilfe erhält Hassan von einer deutschen Patin, die ihm auch die Gepflogenheiten der deutschen Gesellschaft näher bringt und von einer afghanischen Familie.
Nach vielen Jahren des Hin und Hers bekommt Hassan die Chance, eine Ausbildung abzuschließen, er fällt auf durch unbedingten Ehrgeiz und den Willen zu lernen. Zeitweise gerät er dabei sehr an seine Grenzen: Ausbildung, Nebenjob, um seinen Schwestern das Studium zu ermöglichen, Einsatz für andere Flüchtlinge und immer wieder lernen, lernen, lernen.
Trotzdem hat er seinen Weg nicht verlassen, sich vom geflüchteten Analphabeten zu einem vollwertigen, steuerzahlenden Mitglied der Gesellschaft gearbeitet und sich allen Schicksalsschlägen zum Trotz immer wieder aufgerappelt.
Bemerkenswert sind in meinen Augen vor allem zwei Dinge: das Alter des Protagonisten und seine Art, die ganze Geschichte sehr sachlich darzustellen. Kein Gejammer, kein Selbstmitleid und insgesamt keine sehr emotionale Sprache, einfach eine Berichterstattung. Nur die wenigen Momente, in denen er sich wirklich über etwas freuen konnte, sind ein bisschen überschwänglicher beschrieben. Er übt keine Kritik an irgendeinem politischen System oder Personen, sondern beschränkt sich auf reine Deskription, gerade diese Sachlichkeit macht das Buch umso eindrucksvoller.
Die gesamte Geschichte liest sich wie ein Roman, zeitweise musste ich mich wirklich daran erinnern, dass ich nichts Fiktives, sondern einen Erfahrungsbericht lese.
Ich habe ein paar neue Dinge über andere Kulturen gelernt und ich habe verstanden, warum es manchmal zu Missverständnissen kommt, die sich jedoch ganz einfach aus der Welt räumen lassen, wenn man offen aufeinander zugeht. Ich habe vor allem aber auch bestätigt gesehen, was ich vorher wusste: Jeder Mensch, egal woher er kommt, hat das Recht auf ein würdevolles und erfülltes Leben, wir haben nämlich nur eins davon.




Die ersten Alzheimer-Symptome können durchaus noch alltäglich sein, vorübergehender Verlust von Gedächtnis und Orientierung, aufkeimende Schrulligkeiten. Es dauert seine Zeit, bis die sichere Diagnose vorliegt und man endlich aufhört, mit der Person zu schimpfen und eigentlich die Krankheit zu meinen. Über das was dann kommt hat der österreichische Schriftsteller Arno Geiger ein sehr persönliches Buch geschrieben. Es erzählt über die Alzheimer-Erkrankung seines Vaters, darüber, wie einem geliebten Menschen, für den er immer noch viel an kindlichem Aufblick übrig hat, das geistige Navigationssystem abhanden kommt. Das Buch beginnt mit Szenen aus dem ganz alltäglichen und doch nie wieder alltäglich werdenden Umgang der beiden miteinander. Es sind Momentaufnahmen einer wegziehenden Vernunft. „Früher hatte ich auch Katzen“ entfährt es dem Vater beim Anblick einer Katze „nicht gerade für mich alleine, aber als Teilhaber“. „ Es geschehen keine Wunder aber Zeichen. Ohne Probleme ist das Leben auch nicht leichter“, lautet die Antwort auf die Frage seines Sohnes, wie es ihm geht. Solche und andere, immerhin im mittleren Stadium getane Äußerungen geraten zu Kartengrüßen aus einer ganz neuen Welt. Es ist eine Welt in der die Grundgesetze der Sachlichkeit und Zielstrebigkeit nicht mehr gelten, in der es dem Vater aber dennoch gelingt, sich über längere Zeit mit bewundernswerter Leichtigkeit zu behaupten.