Windungen. Sechs Erzählungen

Gerhard Richter, bisher als vielseitiger und tiefgründiger Journalist bekannt, legt mit »Windungen« ein beeindruckendes literarisches Debüt vor. In sechs höchst unterschiedlichen Erzählungen demonstriert er sein sprachliches Können.

In »Lender Sparks« erzählt Richter die fesselnde Geschichte eines Jazz-Saxophonisten in einer Schaffenskrise. Nach dem unerwarteten Verschwinden seiner Frau und dem darauffolgenden Weggang seiner Tochter erleidet er einen emotionalen Zusammenbruch. Parallel dazu vertieft sich seine Tochter in die Erforschung eines riesigen Schleimpilzes in der New Yorker Kanalisation, der trotz fehlender neurologischer Strukturen erstaunliche Problemlösungsfähigkeiten zeigt. Diese ungewöhnliche Kombination inspiriert den Saxophonisten zu einem letzten großen Auftritt, in der Hoffnung, seine verlorene Liebe wiederzufinden.

»Die Eigenhund-Therapie«, eine makaber anmutende Erzählung, begleitet zwei Männer und einen dreibeinigen Hund auf einer Exkursion, die eine düstere Wendung nimmt und den Leser an die Grenzen des guten Geschmacks führt.

Ein absolutes Highlight ist »Setzbergs letzte Autofahrt«, eine satirische Science-Fiction-Erzählung. Lebendige Dialoge zwischen Mensch und Maschine entfalten sich, als eine Ampel dauerhaft auf Rot schaltet. Die detailreiche Schilderung des letzten Arbeitstages des Leiters eines vollautomatisierten Freizeitparks wird durch bildhafte Beschreibungen lebendig: »Die konzentrisch angelegten Buschreihen rund um die beiden Aussichtstürme schauten ihm nach wie ein hellsichtiges Augenpaar angesichts eines herannahenden Unglücks, die Fischgrätenmuster der Parkplätze schwammen hastig davon, die roten Ampeln leuchteten von den dunkelgrauen Straßen herauf wie Grablichter.«

Hörfunkjournalist Richter, der gerne als »Field Writer« durch die Natur streift, bindet seine Umgebung gekonnt in die Narration ein und schafft eine tiefe emotionale Verbindung zum Geschehen. Sein deskriptiver Stil malt die Szenen detailreich aus und webt subtil Andeutungen und Zusammenhänge ein, die sich oft erst auf den zweiten Blick erschließen.

Gerhard Richter fordert von seinen Lesern Geduld und belohnt diese mit einem tiefgehenden und inspirierenden Leseerlebnis. Eine gute Erzählung packt den Leser und wirbelt ihn atemlos herum, ohne dass er irritiert umherschauen und Halt suchen muss. Richters Geschichten wollen genau das: die Möglichkeit, einen neuen, ungewöhnlichen Raum zu betreten, der Neues und Ungewöhnliches bietet. Der Autor belohnt den geduldigen Leser mit einem inspirierenden Leseerlebnis.


Illustrated by Ultraviolett

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert