Schon mal was von »unikalen Morphemen« gehört? Ein unikales Morphem ist ein Bestandteil eines komplexen Wortes (Morphem), das nur in einer einzigen Verbindung mit einem anderen Wortbestandteil vorkommt und bei der Zerlegung des entsprechenden Wortes übrig bleibt. Es ist so etwas wie eine Primzahl der Sprache und recht selten.
Man zerlegt ein Wort wie Himbeere, weil es das Element –beere enthält, das mit derselben Bedeutung auch im Simplex Beere sowie in den eindeutig zerlegbaren Wörtern Erdbeere, Stachelbeere, Johannisbeere, Brombeere usw. vorkommt. Him- muss ergo ein Morphem sein, das die Bedeutung von Beere zu der speziellen von Himbeere modifiziert: eine Himbeere ist eine bestimmte Art von Beere. Him- kommt aber nur zusammen mit -beere vor, ist also unikal, eine Art Atom der Sprache.
Ausgehend von derartigen unikalen Morphemen geht Giuliano Musio in seinen Wortbildungen von dem Bekannten auf die Suche nach dem Unbekannten, das oft nur eine Kopfdrehung danebenliegt. Warum bekommt der Tausendsassa mehr Aufmerksamkeit als der Hundertsassa? Was geschieht bei einer Entletzung, also einer umgekehrten Verletzung? Und wie lebt ein einzelnes Leut?
Musio entkleidet die Wörter ihrer Einzigartigkeit, indem er ihre heimlichen Verwandten in den Fokus rückt: die Mondschnuppe, den Erdikus und das Dünnicht, kunterschwarzweiß und klitzegroß. Die Illustrationen von Manuel Kämpfer vervollständigen diese Mängelliste für die Wörter und die Welt.
Die rund 100 Einträge des linguistischen Mini-Lexikons sind voller Sprachspiele, Witz und Wahnsinn, sie regen auch an, zu fragen, was das Ausgangswort und das neu gefundene eigentlich bedeuten und wie sich das alte durch die Spiegelung mit dem neuen wundersam wandelt. Es bietet sich an als Lesespaß für Menschen, die gern mit Sprache spielen und in die Hintergründe der Wortbildung blicken.
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