Wenig bereichernd
Der dritte Roman von Gila Lustiger mit dem Titel «So sind wir» wurde 2005 zu ihrem ersten Erfolg. Ein Familienroman, in dem die Autorin auf der Suche nach der eigenen Abstammung ihre Familiengeschichte erzählt. Sie ist die Tochter des Historikers Arno Lustiger, der als 15jähriger polnischer Jude ins KZ kam, sechsmal in andere KZs verlegt wurde und zwei Todesmärsche überlebt hat. Sehr zum Ärger seiner Tochter Gila wurde er später auf seine Rolle als Holocaust-Überlebender reduziert, als solcher hat er im Januar 2005 eine Gedenkrede für die Opfer des Nationalsozialismus im Deutschen Bundestag gehalten.
Der in sieben Kapitel aufgeteilte Roman beginnt mit Kindheits-Erinnerungen an ihren Vater, den sie als geradezu süchtigen Zeitungsleser schildert, der eifrig immer wieder einzelne Artikel heraustrennt und zum Sammeln beiseite legt, wo er sie dann vergisst. So merkt er auch nicht, dass mindesten einmal im Monat die resolute Mutter seine diversen Papierstapel beherzt entsorgt. So sehr er beruflich mit der Vergangenheit befasst ist, so sehr ist er privat an der Gegenwart und Zukunft interessiert, so als wolle er seine eigene Vergangenheit ausblenden. «Wir waren und sind eine Familie, die schonend über die Vergangenheit schweigt», heißt es im Buch. Erst als erwachsene Frau stößt die Autorin, die inzwischen in Paris lebt, in einer Schlüsselszene des Romans zufällig auf einen Aufsatz ihres Vaters, der aus seinen Rundfunkvorträgen entstanden war und ihr erstmals Aufschlüsse über seinen Leidensweg lieferte. Er hatte sich vierzig Jahre lang nie darüber geäußert. «Ich wollte meinen Kindern nicht zumuten, eine Sonderrolle zu spielen. Sie sollten mit ihren Klassenkameraden unbefangen spielen, unbelastet von meiner Geschichte», hat er 2006 in einem gemeinsamen Interview mit seiner Tochter im Magazin ‹Der Spiegel› gesagt. Und Gila Lustiger ergänzte zum familiären Schweigen, «wissen wollten wir es eigentlich nie so genau». Die durch ihren Fund ausgelöste Erschütterung könne man nicht biografisch nacherzählen, erklärte sie, «Da muss man eine Szene aufbauen und mit den Mitteln der Literatur arbeiten. Das heißt, es wird zu einer Szene, die weitgehend fiktiv ist».
Und so lies sich die Autorin hauptsächlich von den wenigen noch existierenden Fotos und Erinnerungsstücken der Familie zu ihrem Roman inspirieren, sie ergänzte die magere Quellenlage durch ihre Phantasie. Ihre klugen Reflexionen über die mitteleuropäischen Juden, die sie als Verlierer der Geschichte bezeichnet, beschäftigen sich sehr tiefgreifend mit den Fragen nach der jüdischen Identität. Dabei wird auch die Entstehung des Staates Israel aus Familiensicht geschildert, denn Gilas Mutter sei als Kind persönlich dabei gewesen, als David Ben-Gurion nach langem politischen Ringen 1948 den neuen Staat proklamiert hat. Die in Deutschland geborene Autorin ist vor dem Abitur nach Israel gegangen, wohin ihre Großeltern aus Polen geflüchtet waren, hat dort einige Jahre gelebt und gearbeitet, ehe sie nach Paris ging, wo sie heute noch lebt. Sie ist natürlich durch die deutsche Sprache geprägt, aber auch durch ihre jüdische Abstammung, und ihr Leben in Paris schließlich, wo sie seit 1987 wohnt, ist ebenfalls Teil ihrer Identität.
Insoweit ist ihr Roman ein sehr persönliches Werk, in dem sich alles um ihre ureigensten Empfindungen dreht. Die eingestreuten Erinnerungs-Schnipsel bilden keine stringente Handlung, häufige Zeitsprünge erschweren zusätzlich die Orientierung. Ziemlich deplaziert wirkt im zweiten Teil des Romans ein Treffen mit ihrer schwatzhaften Freundin Dominique auf einer Party, wo eine gelangweilte französische Schickeria den existenziellen Nöten der polnischen Juden zu Zeiten des Holocaust gegenüber gestellt wird. Sieht man von der sakrosankten Thematik ab, die hier wenig bereichernd als Narrativ dient, ist dieser oberflächliche Roman weder stilistisch noch mit seiner spärlichen Handlung unterhaltsam, er bietet insoweit auch kein Lesevergnügen.
Fazit: mäßig
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